Interview Olivia Heussler

137 < Züri brännt!
Olivia Heussler

00:00 Ich war schnell, wie ein Wiesel und hab fotografiert. Ich habe sogar Leute auf dem Fahrrad gefragt, ob sie mich auf dem Gepäckträger mitnehmen, weil ich wusste, an der Langstraße geht’s ab. Das hat man dann gehört.

00:19 Ich dachte, OK, ich bin Fotografin, ich muss an die Front. Ich muss dort sein wo es passiert. Und bin dan zum Teil einfach klingeln gegangen und habe gefragt, darf ich auf Ihren Balkon? Dann haben sie mich reingelassen und ich habe Fotos von oben gemacht, weil ich dachte, ich muss sie von oben machen und muss es sehen.

00:40 Habe mich dann aber wiedergefunden von irgendwelchen Detektiven von der Stadtpolizei neben mir. Die wussten genau, wer ich bin und ich wusste wer sie sind. Es gab sich die Spitzel. Es gab ganz gezielte Angriffe auf mich.

01:00 Ich bin Olivia Heussler, ich bin jetzt 62. Ich bin Mutter einer 22-jährigen Tochter. Ich bin immer als unabhängige Fotografin durch die Welt gereist. Angefangen habe ich in Amerika. Und zwar bin ich das erste Mal 1978, damals mit Laker Airways, da konnte man Standby fliegen für 70 Dollar von London nach New York. Da war ich ein Jahr lang dort unterwegs und habe in New Orleans bei einer Fotografin gewohnt.

01:38 Da hat ein anderer Fotograf gewohnt, der für Time Magazine gearbeitet hat. Der musste damals den Muhammed Ali Boxkampf fotografieren und ich hatte ein Auto, weil ich durch ganz Mexiko, Lateinamerika mit dem Auto wieder raufgefahren und wollte es in New Orleans verkaufen.

01:58 Ich habe ihn herumgefahren und dachte oh hallo, was der macht, kann ich auch. Und dann haben wir zusammen meine erste Spiegelreflexkamera gekauft. Ich habe auf der Reise angefangen zu fotografieren. Bin dann auf einem Bananendampfer zurückgekommen nach Europa, 1979.

02:18 Und 1980 hatte ich schon angefangen zu fotografieren. Aber ich war eigentlich durch Zufall für Zeitungen unterwegs. Ich stand am Limmatquai und habe gesehen, dass POCH, damals eine linke Partei, eine Aktion gemacht hat, um gegen das erste Limmatparking zu demonstrieren.

02:39 Ich bin aus dem Kino gekommen, habe das gesehen und dachte, jetzt muss ich die Kamera holen und habe das fotografiert. Da stand eine Journalistin vom Tagesanzeiger neben mir und sagte, kannst du uns ein paar Bilder bringen?

02:52 Und dann bin ich schnell nach Hause, hab die entwickelt und bin mit den Fotos zum Tagesanzeiger und von da an habe ich regelmäßig für den Tagi gearbeitet, oder für Keystone. So hat es angefangen. Ich war aber immer als unabhängige Fotografin unterwegs, habe immer meine eigenen Themen gesucht.

03:12 Ein Bild, das, das da hinten steht, das ist ein ganz berühmtes Bild von mir. Dazu könnte ich eine Geschichte erzählen. Ich zeig es euch am Computer. Schau…

03:28 Das ist das Bild… zeigt die damalige Stimmung, auch den Körperkontakt mit der Polizei. Das kam zustande im Juni 1980. Das war eine Demonstration, die anfing mit einem Sit-In vor dem Rathaus am Limmatquai. Die Idee war, dass man aufs Rathaus zugeht, das besetzt als Demonstration und ein AJZ fordert.

04:02 Strapazin: AJZ – Autonomes Jugendzentrum?

04:04 Olivia Heussler: Genau. Das war die Idee, dass man dort die Politiker blockiert und nicht durchlässt. Und dann waren wirklich hunderte Leute da. Nach einer Weile kam die Polizei, die sind entlang dem Rathaus gelaufen. Ich stand am Eingang vom Rathaus als blutjunge Frau, Fotografin, und hatte den besten Ort, um das zu fotografieren.

04:40 Ich war nah dran, habe alles wirklich filmmäßig, den ganzen Ablauf abfotografiert. Sie hatten noch die Schilder und haben den Leuten ins Gesicht geschlagen und haben einen Keil durch die Menge getrieben. Da auf dem Bild bin ich. Siehst du, da stehe ich.

05:04 Das hat jemand von der Keystone Press gemacht, das Bild. Die Polizei… das war bevor die Polizei gekommen ist. Und dann wollte Keystone Press, dass ich für sie arbeite, weil ich einfach den besten Platz hatte, das war für sie ein Zeichen, dass ich es schnalle und gute Bilder machen kann. Das war der Clou.

05:30 Bei dem Bild sieht man auch die Zeit, das ist ja heute nicht mehr so mit den Schildern. Ist auch total lächerlich mit den Bastkörbchen, wie die aussehen. Da gab es das AJZ noch nicht, dafür quasi jedes Wochenende große Demonstrationen. Jedesmal bei den Demonstrationen für ein Autonomes Jugendzentrum gab es Verhaftete, man hat eine Demo gemacht, um die Verhafteten herauszupressen…

06:00 Es war eigentlich wie die Klimademonstrationen. Regelmäßig, aber mit zehntausenden Leuten. Und mega kreativ. Es war eine verrückte Zeit. Es war nicht so wie in der 68er Bewegung, wo man als Leninist oder Marxist auf die Straße gegangen ist und gegen den Vietnamkrieg demonstriert hat, sondern man wollte eine kreative Bewegung.

06:24 Man kam aus Was, aus gemeinsamen Gruppen und es gab Nester in der ganzen Stadt Zürich, von Was, die extrem kreative Ideen hatten. Zum Beispiel wurde an einer Demo einen Eisberg aus Styropor mitgetragen. Ich habe das alles fotografiert.

06:49 Sprite hatte eine Werbung mit kleinen aufblasbaren Eisbären. Die hatten alle eine Sprite-Dose in der Hand. Dann hat jemand im AJZ die Sprite-Dosen rot angemalt als Bombe. Die haben sie dann mitgetragen, die aufblasbaren Eisbären, weil wir ja in einer Eiszeit gelebt haben.

07:12 Wir hatten keine Kultur, kein AJZ, kein Zentrum, wo wir hätten autonom entscheiden konnten, was wir wollten. Es gab damals schon Gemeinschaftszentren, die GZs. Die waren aber durchstrukturiert, das wollten wir nicht. Wir wollten selber entscheiden und selbst einen Raum haben, wo wir kochen können und eine Kneipe betreiben.

07:35 Es gab verschiedene Arbeitsgruppen und so weiter. Das AJZ wollten schon meine Eltern. Damals in den 50er Jahren hat das schon gefehlt: Ein Ort, wo man nicht immer konsumieren musste, wo man Ideen austüfteln konnte. Heute braucht man fast kein AJZ mehr, weil es gewisse besetzte Häuser gibt, die das übernommen haben.

08:05 Oder es gibt Möglichkeiten, alte Fabriken zu besetzen oder zu mieten. Aber mit der Zeit wird der Raum nicht mehr zahlbar sein. Das wird in der Stadt Zürich ein riesiges Problem werden. Die Nischen gibt es praktisch nicht mehr, wie es sie in den 80ern und 90ern gab. Oder auch die illegalen Bars, die es damals gab, das ist glaube ich nicht mehr so möglich.

08:35 Viele Räume wurden institutionalisiert oder kommerzialisiert.

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Interview:
Boni Koller > Text | > Audio
Christoph Schuler > Text | > Audio
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Olivia Heussler > Text | > Audio
Josy Meier > Text | > Audio
Christian Egger > Text | > Audio
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Markus Punky Kenner > Text | > Audio
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