00:00 Ich bin mit 18 nach Paris gezogen, um dort der große Maler zu werden, den ich in mir spürte und hab dann Araber kennengelernt. Und die haben immer so komisch miteinander geredet und ich war irgendwie neugierig, ob sich das lernen ließe. War überzeugt, dass nicht, aber wollte einfach mal wissen, dass es nicht geht.
00:24 Und dann habe ich angefangen und es ging! Im März ’78, als ich nach Paris kam, gab es ständig irgendwelche telephones detraquées, das waren Telefone, die funktionierten, ohne Geld zu verlangen. Irgendwie gab es ein System, die auszutricksen. Und wenn eins in diesem Zustand war, erkanntest du es an einer langen Schlange.
00:48 Und diese langen Schlangen waren eigentlich so mein Sozialleben, weil da habe ich mich auch immer dazugestellt, hab nette Leute kennengelernt… Unter anderem auch meine erste große Liebe, welche Tunesier war. Die erste große Liebe ist ja in der Regel die Schlimmste, das war fürchterlich. Araber sind ja ziemlich homophob.
01:07 Es hat einerseits geklappt und andererseits war es ziemlich mühsam. Mit einem homophoben Liebhaber, das ist nicht lustig. Aber er war halt natürlich wunderschön und irgendwie war halt auch die ganze Fremdheit spannend.
01:40 Ich heiße Achmed von Wartburg. Achmed heiße ich eben genau seit 1980. Ich habe im Dezember 1979 in Kairo arabisch studiert und dort auf einer islamischen Universität. Und bin deshalb auch zum Islam übergetreten und man hat mir angedeutet, dass es dann in dem falle üblich sei, einen arabischen Namen zu tragen. War der erste, der mir eingefallen ist, passt aber ganz gut. Achmed von Wartburg hat einen schönen Rhythmus. Die Intuition macht manchmal das Beste.
02:13 Und dann Mitte Juli, Anfang August bin ich dann wieder in die Schweiz zurückgekommen und habe davon profitiert, dass nirgendwo ein Achmed von Wartburg gemeldet war, weil ich ja noch Lukas Martin heiße. Als allererstes habe ich den angefangen zu quasi als Kriegsnamen zu benutzen, während der Bewegung.
02:36 Ich bin eben erst am 6. September an meine erste Demo, sie haben glaube ich am dritten September das AJZ das erste Mal geschlossen. Und das hat mich unheimlich wütend gemacht, weil ich wollte das ja sehen! Die erste Demo war glaube ich eine ziemliche Massendemo am 6. September, zwischen 5000 und 10.000 Leuten, gewaltfrei. War eine tolle Stimmung und ich fand… ja.
03:03 Und dann habe ich eben dort rausbekommen, dass jeden Mittwoch Vollversammlung ist im Volkshaus, das hat die sozialdemokratische Partei immer gemietet für die Bewegung, damit die ihre basisdemokratischen Vollversammlungen abhalten können. Und dann gingen wir einfach jeden Mittwoch ins volkshaus, hat sich überlegt unter welchem Vorwand man wieder die Bahnhofstraße in Scherben legen könnte, dann am Samstag.
03:28 Es war klar: demonstrieren gehen wir sowieso, aber ein Motto wäre noch schön, ging aber auch ohne zeitenweise. Ich war aber für die Bewegung eigentlich schon einer der Älteren. Die meisten waren unter 20. Aber nicht so alt, dass ich nicht mehr dazu gehört hätte, wie die Leute die zwei, drei Jahre älter waren als ich.
03:50 Ich habe in den 70er Jahren eben anderes als Jugendkultur gemacht. Ich war bei der Besetzung Kaiseraugst dabei, 1975 mit 15 Jahren und dann habe ich mich eben der Malerei und dem Arabisch gewidmet und bin dann irgendwie ins kalte Wasser des Punks gesprungen. Von der Koranuniversität ins AJZ, direkt. Das war meine Pilgerfahrt.
04:16 Und in der Zeit wurde eben auch Punk populär. Punk hat zwei Phasen in Zürich gehabt, die erste war so ein bisschen eine künstlerisch-intellektuelle von Kunstgewerbeschule, 80 Prozent davon schwul. Da waren es ungefähr 20 oder 30 in ganz Zürich. Und dann gab es noch zehn in Luzern und so… also waren ganz wenige und die meisten haben auch in Bands gespielt.
04:39 Und die anderen waren aber alle eher noch so Ausläuferhippies. Und dann im Winter 80/81, wo das AJZ geschlossen war und man immer demonstrieren ging, da ist Punk unter diesen Leuten ganz stark aufgekommen. Innerhalb von kürzester Zeit haben sich alle eine Lederjacke gekauft, paar Nägel reingeschlagen, sich die Haare kurz geschnitten und gefärbt und waren Punks.
05:02 Für mich war Punk nur politisch, vor allem politisch. Genau das war ja das Politische an uns, dass wir Punks waren und dass wir eben mit dem Verkünden von No Future und mit Gewalt auf der Straße und so… wir waren super politisch und dann waren die meisten eben auch hetero, weil es eben sich verzehnfacht hat. Nachher waren es 200, 300 oder mindestens 150.
05:31 Und da waren hat dann viel mehr Heteros dabei. andererseits, Bisexualität war eigentlich fast obligatorisch. schon wegen der Frauen, die fanden das unheimlich scharf, wenn Jungs miteinander rumgemacht haben. normalerweise finden es die typen ja scharf, wenn Frauen miteinander rummachen. Frauen haben das dann in der Punkbewegung aufgegriffen.
05:52 Es gab sowieso nicht allzu viele Frauen, weil bei so viel Bier trinken, muss man ständig pissen gehen, das ist für Jungs halt einfach mal einfacher. könnte auch einer der Gründe mit sein, oder vielleicht irgendwie… also das Verhältnis war sicher 4:1, Männer: Frauen.
06:07 Was aber durch auch gelöst wurde, dass einige Mädels zwei oder drei Freunde hatten, die sich dann meistens sehr gut vertragen haben untereinander, zum Teil sogar auch Sachen miteinander gemacht haben, während die Freundin mit einem dritten beschäftigt war.
06:20-5 Man hat systematisch die ganzen bürgerlichen Werte zerrupft und dadurch ja auch untersucht. Und man hat grundsätzlich mal das Gegenteil von allem gemacht, was man beigebracht bekommen hatte, was zu tun sei und wie man sich verhalten soll, hat man von allem das Gegenteil gemacht.
06:39 Bei einigen Sachen, da bleibst du dabei, ein Leben lang. Und bei anderen Sachen, das machst du einmal und nie wieder, weil du merkst, nein, das passt mir jetzt also doch nicht, ist mir zu unhygienisch oder ist mir zu langweilig oder ist mir zu kaputt oder so. Aber du hast wenigstens mal ausprobiert.
06:57 Das war natürlich auch meine große Befreiung irgendwie, weil so als Arabischstudent oder in Paris oder so, da wusste ich noch nicht so sehr wie mit dem umgehen. Und da habe ich noch nichts gehört gehabt von Stonewall und so Sachen, die waren ja in der Gesellschaft noch nicht sehr verbreitet, dieses LGBT Bewusstsein.
07:16 1982 bin ich an die erste Gay Pride gegangen. Ab 75 gab es welche, aber das waren nationale, die waren noch nicht pro Stadt. Sondern an der nationalen Gay Pride 82 waren 300 Leute aus der ganzen Schweiz. Damals sich an so einer Gay Pride zu zeigen, hätte durchaus auch Verlust von Beruf und so bedeuten können. Also das war noch ganz andere Zeiten.
07:42 Und ich war natürlich in einer Position, aus der heraus ich überhaupt auf gar nichts Rücksicht nehmen musste. Von dem her konnte ich eben auch sehr militant irgendwie mit dem Thema umgehen. Auf meiner Lederjacke waren zwei Männerzeichen, die ineinander verhakt waren und drunter stand „schwul ist cool“.
08:00 Und dann haben wir Kiss-Ins in den Trams gemacht, unter Jungs. Wenn die Leute geguckt haben, haben wir zu den älteren Herren gesagt, was? Hast du noch nie einen Mann geküsst? Solltest du mal machen, du verpasst ja was! Für viele Leute war unser Auftreten sehr unangenehm, das gebe ich heute zu.
08:19 Aber auf der anderen Seite hat es auch irgendwie eben diesen Aufbruch der kulturellen Verkrustungen in unserem Land, den haben wir auf diese Weise gemacht. Da kann man nicht irgendwie sanft und angenehm bleiben, wenn das Eis gebrochen werden muss. Allein, dass das Wort schwul heutzutage eine Bezeichnung für eine Orientierung ist, eine wertfreie, und eigentlich von allen Leuten benutzt wird, ist eine Errungenschaft der Bewegung.
08:47 Vorher war das ja ein übles Schimpfwort. Und wenn ich so Heranwachsende irgendwie hemmungslos schwul rumtun sehe, in aller Öffentlichkeit, finde ich: Gott sei Dank hast du dafür gekämpft, dass die das heute können. Weil wenn das immer noch so wäre wie es damals war, das wäre ja sowas von scheiße.
09:06 Ich freue mich so für die, dass die es toll haben. Und mein Mitbewohner ist voll schwul, ich war ja 30 Jahre bi. Er hat gefunden ja, er fände das natürlich toll, dass wir da die Wege geöffnet hätten und dass wir uns eingesetzt hätten und so, aber andererseits, er verspüre überhaupt kein Bedürfnis irgendwie sich gesellschaftlich zu engagieren, um was zu verbessern. Nicht es sei schon alles gut, aber er hat einfach nicht das Bedürfnis danach.
09:32 Das hätte ich mit 22 natürlich überhaupt nicht akzeptiert. Aber heute bin ich schon so weit, dass ich sage, es gibt verschiedene Leute und er hat ein sehr gutes Herz und das ist ja die Hauptsache.
10:09 Auf mein späteres Leben hatte die Bewegung natürlich auch einen gewissen Einfluss, wo ich dann als Underground Tangosänger in Buenos Aires weilte und selber anfing, Tangos zu schreiben und zu komponieren, da sind mir natürlich Themen in den Sinn gekommen, die Argentinien bis jetzt noch nie in den Sinn gekommen waren.
10:32 Unter anderem habe ich Tangos gemacht über Mehrfachpartnerschaften, also Polyamorie und der Ursprungstango lebt ja eigentlich von der eifersucht und vom verlassen sein. also ich habe da völlig andere Dinge gemacht. Und was ich mit großem Stolz auch sagen kann: Ich bin der Autor des ersten schwulen Tangos der Geschichte und er heißt „Himno Al Morocho Argentino“ – flor di amor en mi camino.
11:20 Ich hatte in der Zeit wo das AJZ zugrunde ging, zwischen Januar, Februar 1982 hatte ich auch meinen Wahlkampf. Erst wollte man 1000 Leute aufstellen, damit einfach niemand mehr auf die langen Wahllisten noch jemand Vernünftigen findet, weil die einfach untergehen, die normalen Politiker. Hat aber kein Mensch mitmachen wollen!
11:41 Ich war am Schluss der einzige. Grund war eigentlich der: Während dem wir da eben jeden Samstag losgezogen sind gegen die Bankenschaufenster, hat der wohlwollend-zurückhaltend passive Teil der Bevölkerung gefunden, aber mein Gott, wir haben doch eine Demokratie! Wieso tut ihr euch nicht einbringen in die Demokratie und eure Ziele demokratisch vertreten?
12:06 Und da fand ich, na ja, die werden sich noch wundern, wenn wir mit der Demokratie uns beschäftigen, die werden sich wundern. Und dann wurde eine Partei gegründet, DNC, Das Nackte Chaos hießen wir. Der Name geht zurück auf eine Aktion bei der Jungbürgerfeier 80.
12:26 Und dann waren ungefähr 80 Leute da und haben die Veranstaltung in unserem Sinne gestaltet und dann haben wir ein Strip hingelegt. Körpereinsatz war sehr beliebt, weil das generiert immer Aufmerksamkeit. Und dann am nächsten Tag war ich splitternackt auf der Frontseite des „Blick“ und drunter stand „Das nackte Chaos an der Zürcher Jungbürgerfeier“.
12:52 Und ich fand der Name ist doch irgendwie ganz gut für eine Partei, Das Nackte Chaos, das passt doch wirklich, genau das ist unser Programm. Und dann gingen wir rein in die Wahlveranstaltung und ich setzte mich dann in der Regel aufs Podium und ergriff das Wort.
13:08 Die normalen Politiker sind dann meistens auch gegangen. Die Veranstaltungen ließen sich irgendwie nicht mehr seriös durchführen und am Schluss fanden keine mehr statt. Und dann natürlich hat sich die Presse darauf gestürzt, Fernsehen kam… so wurde ich bekannt. Ich habe dann noch Kleber gemacht und zwar ganz große, so orangerot, signalrote Kleber mit meinem Kopf.
13:37 Die waren eigentlich gedacht, dass man sie auf alle Köpfe draufklebt. Die meisten sind in irgendwelchen WG-WCs gelandet. Und dann habe ich noch viele kleine Kleber gemacht. Im Herbst vorher waren wir in Griechenland, haben so ein paar gute Fotos am Strand aufgenommen, nackt natürlich.
13:54 In griechischen Posen. Dann wurden die mit guten Sprüchen versehen, zum Beispiel, „Mit Achmed zu neuen Ufern“ oder „Ein ruhender Fels in tobender Brandung“, ich irgendwie so über den Wellen vom Meer. Und eben natürlich immer „Wählt den schönsten – Achmed for president“.
14:10 Mit 21 hat der Rest der Mitbewerberschaft ab 40 nicht viel Chance gegen mich. Also ich versprach 365 Sonnentage im Jahr. Ich versprach, die Limmat und das Seeufer mit Palmen zu bepflanzen und Nilpferde anzusiedeln im Zürichsee. Ich versprach LSD ins Trinkwasser, jeden Tag ein anderes Viertel und niemand weiß wo, damit sich niemand drücken kann.
14:59 Das Schöne an dieser Bewegung war ja, dass sie nicht sich in reellen Dingen verheddert hat, sondern, dass sie eigentlich voll auf Poesie gegangen ist. Also z.B. die Slogans waren ja nicht irgendetwas Vernünftiges oder Verhandelbares, sondern zum Beispiel „Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer“ oder „Machet ussem Staat Gurkesalat“, was jetzt SVP und FDP in der letzten Legislatur aufgegriffen und ziemlich gut realisieren.
15:29 Also eigentlich haben wir das gar nicht so weit kommen lassen wollen. Andererseits erlebt man den Staat ja in dem Alter auch noch vor allem als behindernd und repressiv. Und das war er natürlich auch in der Zeit, wirklich. Es hat sich auch dank uns einiges sehr geöffnet und sehr geändert.
15:47 Wobei viel von dem jetzt auch schon wieder irgendwie am Abbröckeln und Verlorengehen ist. Es ist halt schon zu lange her, dass die Leute wirklich unter Druck und unter Repressionen und unter Einschränkungen gelitten haben, als dass sie die Freiheit noch zu schätzen wüssten.
Interview:
Boni Koller > Text | > Audio
Christoph Schuler > Text | > Audio
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Olivia Heussler > Text | > Audio
Josy Meier > Text | > Audio
Christian Egger > Text | > Audio
Sara Schaer > Text | > Audio
Markus Punky Kenner > Text | > Audio
Freddy Meier > Text | > Audio
Rams Ramseier > Text | > Audio
Nacktdemo > Text | > Audio
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Schonogeil > Text | > Audio
Radikalisierung > Text | > Audio