DAS SCHULDGEFÜHL

August 9, 2022 | | No Comments

CHF 10.00

Christoph Fischer
Fern Liberty Kallenbach Campbell
Alex Diel
Julia Trachsel
Jan Bachmann
Céline Guichard
Fred Fivaz
Nicolas Sourvinos
Christiane Haas
Marco Arrigoni
Luisa Zürcher
Ruedi Widmer
Manuel Stahlberger
Silvano Frei
Vanessa Hatzky
Herbert Weber
Lika Nüssli


Beschreibung

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EDITORIAL

Ich habe Schuldgefühle gegenüber diesem Word-Programm, welches ich überhaupt nicht beherrsche, und auch gegenüber dem Computer, der ohne mich vermutlich alles viel besser erledigen könnte. Der Katze gegenüber habe ich solche Gefühle weniger, diese Tiere werden überbewertet, aber dafür können sie nichts. Also doch eher der Hundetyp, werden sie jetzt denken. Nein, nein und nochmals nein! Tiere gehören in meiner Welt nicht ins Haus, draussen sind sie doch bestimmt viel glücklicher. Ich würde sogar sagen: Pflanzen, toll! Aber wieso abschneiden und in eine Vase stellen?
Gemäss Definition setzt ein schlechtes Gewissen Selbstreflexion voraus, denn nur so erkennen wir Widersprüche zwischen unserem Handeln und unseren mora­lischen Massstäben. Das bedeutet natürlich auch, dass ein schlechtes Gewissen eine sehr persönliche Sache ist. Wer hohe Wertvorstellungen hat, dem fällt es unter Umständen schwer, diesen gerecht zu werden und Schuldgefühlen zu entgehen.
Im Internet kursieren diverse Texte über das Phänomen des schlechten Gewissens. Mancherorts wird sogar davon abgeraten, auf die eigenen Gewissensbisse einzugehen, denn das Schuldgefühl sei kein gesunder Antrieb. Viel findet sich auch in der Erziehungsliteratur, vor allem über das schlechte Gewissen von Eltern gegenüber ihren Kindern. Auch in diesem Heft finden sich mehrere Beiträge dazu — Familie und Kindheit bieten anscheinend reichen Nährboden für Gewissensnöte jeglicher Art.
Erwachsene haben scheinbar mehr Mühe mit ihrem schlechten Gewissen als Kinder. Klar, mehr Entscheidungen, mehr Verantwortung. Ist ja auch schwierig: Das Kind in uns findet Fliegen einfach cool, aber — na ja, Sie wissen schon — CO², Flugscham et cetera. Genauso beim Essen: Wo kann man heute denn noch nicht-vegetarisch leben, ohne dafür ein schlechtes Gewissen aufgetischt zu bekommen? Falsche Frage? Shame on me. Oder doch eher shame on you? Nun, lassen wir das …

Hoppla, schon wieder viel zu lange auf Instagram prokrasti­niert. Also jetzt weiter im Text. Wobei, hey: Insta — eigentlich ein Superbeispiel für Gewissensgeisselung im Alltag, oder wie sonst soll man auf eine Nachricht wie diese reagieren: BESORGNISERREGENDER MARKT FÜR AFRIKANISCHE GRAUPAPAGEIE WÄCHST. Eigentlich reichen schon fünf Minuten lockeren Scrollens und man hat ein brennend schlechtes Gewissen, nicht gegenüber Instagram, aber allem anderen gegenüber — sich selbst, der unaufgeräumten Küche und den afrikanischen Graupapageien.

Ah, jetzt weiss ich auch wieder, wieso ich überhaupt auf Insta gelandet bin. Eigentlich wollte ich einen Text über Hometrainer lesen. Schlechtes Gewissen, weil er seinen Trainingsplan zu lange hat schleifen lassen, denken Sie jetzt vielleicht. Aber nein: Vielmehr frage ich mich, ob man sich so was in der heutigen Zeit überhaupt generell noch anschaffen darf. Strom verbrauchen, um zu trainieren? Weil man zu bequem ist, um draussen joggen zu gehen? Na ja, wie oben erwähnt, wird man im Netz aber auch schleunigst wieder davon abgebracht, sich von derartigen Gewissensqualen leiten zu lassen. Marketingexpert*innen und vermeintlicher Fortschritt wissen solche kaufhemmenden Gefühle gekonnt zu umschippern. In diesem Sinne: Schiff ahoi und God bless America!
Die Möglichkeiten, um Schuldgefühle zu entwickeln, sind heutzutage grenzenlos. Schauen Sie sich in diesem inspirierenden Heft um, es ist für jede*n was dabei. Und falls Sie am Ende das Bedürfnis haben, sich durch einen kleinen Ablasshandel vom Gewicht des schlechten Gewissens zu befreien, dann unterstützen Sie unsere Arbeit und werden sie einfach STRAPAZIN-Abonnent*in. So geht das.

Herbert Weber
 

Der Dekalog

 
 

PFLICHT LEKTüRE


Cyril Liéron/Benoit Dahan: «Im Kopf von Sherlock Holmes. Das Rätsel der skandalösen Eintrittskarte»

Spring (Hrsg.): «Spring #18 — Freiheit»

Sylvia Asmus/Jessica Beebone: «Kinderemigration aus Frankfurt am Main»

Birgit Weyhe: «Rude Girl»


Alessandro Tota: «Fratelli»

Einathan John/Àlàbá Ònájiné: «Lagos — Leben in Suburbia»

Stefan Haller: «Schattenmutter»

Matthias Lehmann: «Parallel»


Can Dündar & Anwar: «Erdog˘an»

Reinhard Kleist: «Starman — David Bowie’s Ziggy Stardust Years»

Matt Madden, «Ex Libris»

Miguel Vila: «Fiordilatte»


Cy.: «Radium Girls»

Tomi Ungerer: «It’s all about freedom»

Andreas Kiener: «Unvermögen»

Jared Muralt: «The Fall. Kapitel 8: Dunkle Wasser»

 

Biografien

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