FAN-ART
CHF 20.00
Frank Schmolke
Lea Gross
Fabio Viscogliosi
Xenia Landolf
Janne Marie Dauer
Tommi Parrish
Christina Baeriswyl
Wyclef Jean
Amythyst Kiah
Sarah Böttcher & Lina Ehrentraut
Jan Bachmann
Luca Schenardi
Simone Baumann
Beschreibung
SHARMILA BANERJEE
MOMO GORDEN / For sale by owner
JAN SOEKEN / Masters
ANNA HAIFISCH
HANNE JATHO
SQUASH Comics e.V. / Gays Anatomy
DOMI WENDLAND /
Definitiv nicht Garfield
ANNINA BRELL
HANNE JATHO
EMMA FILIPPA HARKÄMPER /
Schillernde Liebe
ALEX KROKUS / Die Methode
FANART KOLLEKTIV
ATALJA TAPIS / The GraphicDesignStudent
WHITHEY BURSCH / Tim Kossible ungewöhnliche Taktik
TONI STAKENKÖTTER
THOMAS WELLMANN / Census
DOBRO WITCZAK /
My very own silly symphony
AMELIE LIHL / Es war einmal…
ALEX MAGES / Punk never lived
YUKA MASUKO / Staub des Saturn
STEFANIE LEINHOS
–
–
work in progress….
–

Wie es uns gefällt
weiter...
.
subversive
kreative
ermächtigende
verbindende
tröstliche
.
Potenzial von Fan-Art
.
Ich lese seit über 20 Jahren Fanfiction und genauso lange schäme ich mich dafür. Schäme mich, in den immergleichen Geschichten, Figuren und Welten festzustecken. Schäme mich, keine «echte» Literatur zu lesen und nichts Eigenes zu schaffen. Schäme mich für den ganzen Blumenstrauss an Vorurteilen, den Fanfiction und Fan-Art mit sich bringen: banal, kitschig, unoriginell, pornografisch, peinlich.
.
Sollte man sich also schämen, dieses Heft in den Händen zu halten? Sich schämen, daran mitgewirkt zu haben? Schämen, dass sich hier zu allem Überfluss auch noch die beiden Schmuddelliteraturen Fan-Art und Comic ihre klebrigen Hände reichen? Während der ein oder andere Comic inzwischen als Kunst abgenickt wird — wie auch immer man das bewertet — stösst Fan-Art zumeist noch auf Verwirrung und Geringschätzung. Deswegen dieses Heft, deswegen dieser Text. Er ist ein Plädoyer für Fan-Art als Leidenschaft und Kunstform. Fan-Art hat das Potenzial, uns zu ermächtigen, zu befreien und miteinander zu verbinden. Sie kann ein subversives Werkzeug sein und hilft uns, Welten zu gestalten, wie es uns gefällt. Und Scham? Gefällt mir nicht.
.
The Rules of Fan-Art
.
Fan-Art — das klingt nach Bildern, aber wenn ich in diesem Text über Fan-Art schreibe, meine ich jede Form von Fanwork. Texte, Gedichte, Geschichten, Cosplay, Video-Edits, Animationen, Zeichnungen, Comics, um nur wenige Beispiele zu nennen der unendlich vielfältigen Formen, die Fans erschaffen. Und darüber hinaus meine ich den schöpferischen Prozess, aus dem diese Arbeiten entwickelt werden: neues Material zu erschaffen, basierend auf Filmen, Büchern, Serien oder realen Personen.
.
Fan-Art ist heute eine stark systematisierte Form des kreativen Ausdrucks, geprägt von Regeln, Codes und Netzwerken. Fans organisieren sich in Fandoms, sie shippen Charaktere, diskutieren über Canon, sind immer noch nicht über Destiel hinweg und verteilen Kudos. Viele dieser Codes sind universell und gelten unabhängig davon, welchem Fandom man angehört. Ebenso entwickeln einzelne Fandoms, aber auch spezifische Memes, Running Gags und Konventionen wie Shipnames, eigene Bezeichnungen für jedes ihrer möglichen Pärchen.
.
Fandoms — also der Zusammenschluss von Fans eines bestimmten Werks — funktionieren ausschliesslich durch das Engagement und die Selbstverwaltung dieser Fans. Sie übernehmen die Verantwortung für den Umgang miteinander und für die Inhalte, die sie produzieren. Methoden wie das detaillierte «Taggen», also vorab Hinweisen auf Inhalte, zeigen, wie stark Selbstkontrolle und gegenseitige Regulierung in den Gemeinschaften verankert sind. So sind Fandoms zu einem Raum geworden, der gleichzeitig extrem kreativ wie auch stark reglementiert ist.
.
Alle im Wunderland
.
Als Kind vom Land waren mir Fandoms und ihre Regelwerke völlig unbekannt. Bis ich in den 2000ern als frischer Manga-Fan (RTL2 sei Dank) mit neu installiertem Internetmodem auf Animexx stiess. Auf der deutschen Plattform für Manga- und Anime-Fans entdeckte ich zum ersten Mal Conventions, Cosplay, Fan-Art und eben Fanfiction. Fanfiction zu lesen war gleichermassen aufregend und tröstlich. Ich kannte und liebte die Figuren, die Settings, die Geschichten — und auf einmal gab es mehr davon, viel mehr. Und es war mitreissender, romantischer, wilder, als ich mir je zu träumen gewagt hätte. Ich war in ein Loch gefallen, wie Alice ins Wunderland, we’re all mad here — we’re all into tragic queer romance. Join the party.
.
Diese Party läuft schon seit einigen Jahrzehnten. Es ist schwierig nachzuvollziehen, wann Fan-Art sich als kulturelle Praxis etabliert hat. Als wichtiger Ausgangspunkt gilt das Star-Trek-Fandom der 2000er-Jahre, in dem vorwiegend weibliche Fans Zines erstellten und verschickten. Diese Hefte mit Geschichten, Essays und Zeichnungen erweiterten das Star-Trek-Universum und schufen ikonische Erzählungen, insbesondere um die Beziehung zwischen dem rationalen Mr. Spock und dem aufbrausenden Captain Kirk. Mit dem Internet wuchsen
Fan-Communities rasant: Über Ketten-E-Mails, Foren, Livejournal oder Tumblr verbreiteten sie Werke, während Plattformen wie DeviantArt, Fanfiction.net (online seit 1998) und später Archive of Our Own (AO3, seit 2008) ganze Netzwerke für Fanwork schufen. Heute spielen auch Instagram, TikTok und Co. eine zentrale Rolle, insbesondere für Cosplayer*innen und Bildkünstler*innen.
.
Wie Phönix aus dem Kanon
.
Für viele Kunstschaffende ist Fan-Art der Einstieg in ihre kreative Arbeit. Das Imitieren, Adaptieren
oder Weiterentwickeln geliebter Geschichten bietet ein ideales Übungsfeld. Fan-Art nimmt den Druck, etwas Neues schaffen zu müssen, liefert klare Regeln zur Orientierung und bringt eine Community mit sich, die Unterstützung und Austausch ermöglicht. Sie bedeutet höhere Reichweite, mehr Feedback (Kudos an die Betas!), weniger Einsamkeit — einen Raum, um leidenschaftlich zu sein. Besonders wirkungsvoll wird Fan-Art darüber hinaus, wenn sie nicht nur eine Wiederholung oder Nachahmung ist. Stattdessen kann sie auch in den Canon, das Ursprungsmaterial, eingreifen, es bearbeiten und Ergänzungen oder sogar Korrekturen vornehmen.
.
Das Fanfiction-Archiv AO3 wird von der ehrenamtlich agierenden Organisation of Transformative Works betrieben, die genau diesen Mechanismus in ihrem Namen trägt. Fan-Art ermöglicht uns, aus etwas Altem etwas Neues zu gestalten und ist daher transformative Arbeit und künstlerische Praxis. Sie ermächtigt uns, Lücken zu schliessen, Welten zu erweitern und Figuren neu zu gestalten, so wie wir sie sehen wollen. Es entstehen Remixes, Aneignungen und neue Universen: Fanon, die von Fans geschaffenen und in der Community übergreifend akzeptierten Erweiterungen oder Alternativen zum offiziellen Material. Hier werden neue Perspektiven und Narrative eingebunden oder auch Aspekte und Erzählstränge des Originalmaterials kollektiv zurückgewiesen.
.
Kanon vs. Fanon
.
Fan-Art ist Wunscherfüllung auf jeder Ebene. Sie fragt oft und gerne: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn Harry Potter bisexuell und verliebt in seinen Erzfeind Draco Malfoy wäre (asking for a friend)? Was wäre, wenn Princess Peach diesmal Mario rettet? Oder stattdessen mit Bowser durchbrennt? Oder die beiden einfach mal sich selbst überlässt und ein neues Leben im Einklang mit der Natur und den Goombas beginnt?
.
Mit all dem stellt sich Fan-Art zudem die Frage: Was wäre, wenn wir bekommen, was wir uns wünschen? Was, wenn die Medienlandschaft unsere Lebensrealitäten, unsere Wünsche oder Fantasien abbilden würde?
.
Fan-Art ist deshalb so wirkungsvoll, weil sie auf bekanntem Material aufbaut. Durch die Umkehr vertrauter Erzählungen können wir Probleme aufdecken, Konventionen infrage stellen und ihnen etwas Neues entgegensetzen. Der kritische Umgang mit dem Canon ist dabei zentral. Problematische Phänomene wie Queerbaiting, Tokenismus oder fehlende Diversität werden herausgefordert. Es ist nicht ungewöhnlich, Teil eines Fandoms zu sein und es gleichzeitig zu kritisieren. Oft wächst ein Fandom auf diese Weise über sein ursprüngliches Material hinaus — wie im Fall von Harry Potter: Während die Autorin J.K. Rowling durch ihre transfeindlichen Äusserungen untragbar wurde, hat sich das Harry-Potter-Fandom zu einem lebendigen und kämpferischen Veto für progressive Erzählungen entwickelt. Fans, die sich von der Autorin distanziert haben, beanspruchen Aspekte des Canons für sich. Das «Marauders Fandom» zum Beispiel erzählt die Geschichte, um die Elterngeneration von Harry Potter neu und transformiert konservative Figuren zu queeren, repräsentativen Charakteren. Die Fans ergänzen selbst, was ihnen im Canon fehlt und verarbeiten gleichzeitig die eigene Wut und Enttäuschung. Ein beliebter Spruch innerhalb der Fandom-Community lautet: «If canon won’t give it to us, fanon will gift it to us.»
.
They break it, we fix it
.
Das hat etwas Wildes, Lustvolles, oft auch Humorvolles. Es hat aber auch eine Dringlichkeit. Fan-Art bedeutet, die eigenen Seh- und Lesegewohnheiten zu hinterfragen — die Geschichten, die uns geprägt haben, und diejenigen, die wir für erzählenswert halten. Es bedeutet auch, uns selbst und unsere Bedürfnisse ernst zu nehmen und ist dabei stets liebevoll, bejahend und ermächtigend. Fan-Art stattet uns mit einer Wunscherfüllungsmaschine aus, die leicht zugänglich, kostenlos und kollaborativ ist.
.
So ist Fan-Art zutiefst subversiv. Sie fordert uns heraus, die bekannte Welt anders zu betrachten — und sie zu gestalten. In einer Zeit, die häufig absurd trostlos erscheint, ist sie ein Mechanismus der Kritik und des Begehrens zugleich: ein kreativer Akt der Selbstermächtigung und ein Spiegel der Sehnsucht nach einer besseren, gerechteren und vielfältigen Welt. Fan-Art lässt uns diese Welt zumindest für einen Moment wahr machen. Also lasst uns einander die klebrigen Hände reichen und uns nicht mehr schämen.
.
PFLICHT LEKTüRE
Sike: «Kartographie»

Stadt als Körper
Der Titel einer Studie des US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett über die Rolle des Körpers für die Entwicklung von Städten spricht Bände: Fleisch und Stein ist eine Geschichte der Stadt,
die durch die körperlichen Erfahrungen der Menschen hindurch erzählt werden soll: «wie Frauen und Männer sich bewegten, was sie sahen und hörten, die Gerüche, die in ihre Nase drangen, was sie assen, was sie trugen, wann sie badeten, wie sie sich liebten», schreibt Sennett darin. Ohne den Körper ist die Stadt für den Soziologen nicht zu denken; Kartographie des argentinischen Zeichners Sike erscheint wie eine
in das Medium Comic übertragene Reflexion über diesen von Sennett beschriebenen Zusammenhang von Fleisch und Stein. Der Stadtplan von Buenos Aires verbindet sich darin mit dem Leben und den Gedanken des Protagonisten und seiner Freunde, verschwimmt zu einem einzigen Körper: «Ich denke an all die Menschen, die in den letzten Jahren hier gelebt haben, und stelle mir alle ihre Körper gleichzeitig vor. Ich will nicht zu sehr ins Mystische verfallen, aber ist das Gedächtnis eines Ortes für diejenigen wahrnehmbar, die seine Geschichte nicht kennen?
Schwebt die Erinnerung in der Luft?».
.
Die in leuchtendem Orange und dunklem Blau gestalteten Comic-Seiten, die passend zum Thema immer wieder eine Street-Art-Ästhetik annehmen, lösen sich häufig von einer klaren Panelstruktur, öffnen sich hin zu ganzseitigen Zeichnungen oder kleinteiligen Stadtansichten, bieten neue Wege und Umwege an, Gedanken und Reflexionen über die Veränderung einer Stadt wie Buenos Aires, über steigende Mieten und Proteste gegen Gentrifizierung Gentrifizierung (bei einem solchen wird der Protagonist von der Polizei bewusstlos geschlagen), über Cyborgs und andere Formen der künstlichen Überschreitung des menschlichen Körpers, die Geschichte der Kartographie und deren politische Implikationen — wann etwa wurden im Londoner Stadtplan Gefängnisse und Armenhäuser bewusst nicht abgebildet? Seit Erscheinen von Kartographie in Argentinien 2019 dürften sich einige der beschriebenen Konfliktlinien um Wohnraum und Verdrängung unter der Regierung Javier Milei noch einmal verschärft haben, sie nehmen in Illustrationen: Sophie Nicklas Kartographie bereits viel Raum ein.
.
«Es mag abgedroschen klingen, aber ich glaube wirklich, dass es zwischen Körper und Stadt Analogien gibt», so der Protagonist. Möglichst viele Facetten des Organismus Körper wie auch des Organismus Stadt scheint Sike anschneiden zu wollen, eingebettet in eine lose Geschichte um das soziale Gefüge des Protagonisten, das sich nach und nach auflöst.
.
Kartographie ist ein autofiktionaler, philosophischer Comic-Essay, in dessen Fragen man sich ebenso verlieren kann wie im Strassengewirr einer Grossstadt.
Jonas Engelmann
.
Sike: «Kartographie».
Aus dem Spanischen von Lea Hübner,
avant-verlag 2024, 128 S.,
Hardcover, farbig,
CHF 38.90 / EUR 25
.
Hannah Brinkmann: «Zeit heilt keine Wunden. Das Leben des Ernst Grube»

Zwei deutsche Leben
Schon auf der ersten Seite ihres Comics Zeit heilt keine Wunden über das Leben von Ernst Grube lässt Hannah Brinkmann die Leser tief in das Innere des von ihr porträtierten Mannes blicken, der als sogenannter «Halbjude» erst von den Nazis und später als Kommunist von der BRD-Justiz verfolgt wurde. Und dieser Blick in das Innere ist durchaus im wörtlichen Sinne zu verstehen: Die Bilder dringen in den Körper ein, zeigen ihn als verletzlich, seine Adern und Organe als fragiles Gewebe, dessen Wunden niemals heilen können. «Oft denken die Menschen, man müsse sehen können, was die Gewalt der Nazis anrichtet.
Doch die Gewalt der Nazis lässt dich innerlich zerbrechen», erklärt Ernst Grube, während die begleitenden Bilder von Brinkmann das Innere seines Körpers in Einzelteile zerlegen.
.
Ernst Grube, geboren 1932 in München als Sohn einer jüdischen Krankenschwester und eines protestantischen Malermeisters, wurde von den Nationalsozialisten als «Halbjude» anfangs 1945 zusammen mit Geschwistern und Mutter von den Nazis in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, wo sie aber kurz darauf von der Roten Armee befreit wurden. Nach dem Krieg engagierte sich Grube in München gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und wurde Mitglied der KPD, die 1956 in Folge der sich verhärtenden Fronten des Kalten Krieges in der BRD verboten wurde. Als Kommunist wurde Grube schliesslich von dem einstigen NS-Richter Kurt Weber zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Hannah Brinkmann macht mit ihrem Comic sowohl die Kontinuitäten der Verfolgungserfahrung wie auch die Integration ehemaliger NS-Funktionäre in das BRD-Justizsystem deutlich. Sie präsentiert in Zeit heilt keine Wunden die Lebensläufe von Grube und Weber, bis diese 1956 aufeinandertreffen und sich zu einer Geschichte verweben, was Brinkmann auch ästhetisch reflektiert: Die Lebensgeschichte Grubes, der nach wie vor in Schulklassen als Zeitzeuge zur Aufklärung über den Nationalsozialismus auftritt, ist in warmen Farben gezeichnet, während das mit «Eine deutsche Karriere» überschriebene Kapitel über Weber nur in Beige koloriert ist. Im Gerichtssaal, in dem die beiden Männer 1959 aufeinandertreffen, ist einzig die Figur Grube farbig zu sehen, er hebt sich ab von der Farblosigkeit der deutschen Justiz, die das Opfer der Verfolgung erneut zum Opfer macht. Auch wenn man dem Comic seine Funktion als Teil der Bildungsarbeit — er ist eine Auftragsarbeit des NS-Dokumentationszentrums München — in manchen Passagen anmerkt, bleibt er doch in seiner Ästhetik und in seiner klaren antifaschistischen Haltung ein wichtiges Beispiel der Möglichkeiten, im Comic über den Nationalsozialismus zu sprechen.
Jonas Engelmann
.
Hannah Brinkmann: «Zeit heilt keine Wunden. Das Leben des Ernst Grube».
avant-verlag 2024, 272 S.,
Hardcover, farbig,
CHF 43.90 / EUR 30
.
R.Giulivo, J.Rebelka:
«Der letzte Tag des Howard Phillipps Lovecraft»

Malerisches Grauen
Das Grauen lauert in der Dunkelheit der Nacht genauso wie in den Weiten des Universums, seine Namen befeuern die schlimmsten Ängste. Das ist die Welt, die Howard Phillips Lovecraft in den amerikanischen Groschenheften der Zwischenkriegszeit mit fast wissenschaftlicher Akribie beschwor. Anders als zu Lebzeiten ist Lovecraft heute kein Unbekannter mehr. Autor*innen wie Jorge Luis Borges, Joyce Carol Oates, Michel Houellebecq oder Stephen King würdigten ihn, und verschiedene Comic-Künstler*innen haben seinen Cthulhu-Mythos interpretiert (z.B. Gou Tanabe, Reinhard Kleist, Daria Schmitt, Alan Moore, Jacen Burrows, Neil Gaiman oder Philippe Druillet, dessen Interpretation in Frankreich neu aufgelegt worden ist; und 2025 folgen weitere).
.
In diese Reihe fügt sich Der letzte Tag des Howard Phillipps Lovecraft des französischen Autors Romuald Giulivo und des polnischen Zeichners Jakub Rebelka ein. Ihre Graphic Novel unterscheidet sich von früheren Lovecraft-Adaptionen dadurch, dass sie keine Erzählung illustriert, sondern Lovecrafts Werte und Wesen ins Licht rückt. Giulivos Skript trägt stark metafiktionale Züge, da er Lovecrafts schriftstellerische Entwicklung, seinen Schreibprozess sowie seine kreativen Überzeugungen reflektiert. Eine Schlüsselrolle spielt Lovecrafts Einstellung zum Tod: «Wer will schon unsterblich sein? Nichts ist besser als das Vergessen, denn im Vergessen kann es keine unerfüllten Wünsche geben.»
.
Die Graphic Novel spielt 1937, als Lovecraft, unheilbar an Krebs erkrankt, im Spital liegt. Ein letztes Mal ziehen Stationen und Begegnungen seines Lebens vorbei, und solange er seinen Stift halten kann, schreibt er seine Gedanken über Krankheit, Würde und Bedeutung in einem gleichgültigen Kosmos ohne Sinn und Ursache in ein «Todestagebuch».
Der letzte Tag des Howard Phillipps Lovecraft leitet das existentielle Unbehagen aus Lovecrafts Leben her, aus seinen Zweifeln, seiner Enttäuschung, seiner Abgeschiedenheit und Kompromisslosigkeit. Hier formt ein Autor ein Werk aus seinen Ängsten, selbst wenn es sich finanziell nicht auszahlt. Mit seinen malerisch-traumhaften Bildern ist Rebelka ein kongenialer Partner für Giulivos vielschichtigen Text. Die gemalten Panels pendeln von Wahrnehmung zu Wahnsinn und erinnern an den Argentinier Alberto Breccia, der einst selbst einen «Lovecraft»-Comic schuf. Die Art, wie Rebelka seine Porträts über viele Schichten aufbaut, gleicht der Technik, die Alberto Giacomettis Porträts berühmt machte, wenngleich er mehr von Moebius beeinflusst ist.
.
Giulivo und Rebelka schaffen eine hintergründig lodernde Welt voller Anspielungen. Kurz vor seinem Ende sagt Lovecraft, seine Sicht auf die Welt sei nun klar und rein — er selbst jedoch bleibt unnahbar und rätselhaft. Dieses Geheimnisvolle macht den Reiz von Giulivos und Rebelkas Graphic Novel aus, denn es verführt zum Träumen in einer wissenschaftlichen Welt, die das Unerklärliche nicht beseitigt, sondern an ihren Rändern beflügelt.
Florian Meyer
.
Romuald Giulivo, Jakub Rebelka:
«Der letzte Tag des Howard Phillipps Lovecraft».
Splitter-Verlag, 144 S.,
Hardcover, farbig,
CHF 37.90 / EUR 25
.
Gabe Fowler «Rescue Party: A Graphic Anthology of COVID Lockdown»

Comics — Ein Rezept gegen die Pandemie
Während des weltweiten Lockdowns aufgrund der Pandemie im Jahr 2020 begannen einige von uns zu malen, andere machten Yoga, wieder andere nähten Masken. Einige von uns lernten, Craft-Cocktails zu mixen, einige von uns tranken zu viel, einige Unglückliche litten unter schwerer Einsamkeit und dem Verlust von lieben Menschen, die sie liebten (ich verlor meine Mutter und einen guten Freund). Unsere Familie sah sich jeden Tag nach der Zoom-Schule mindestens einen Film an.
Gabe Fowler, Inhaber des legendären Comic-Shops Desert Island in Brooklyn, zog in eine abgelegene Hütte in den Wäldern Neuenglands (war es zu schwierig, eine echte einsame Island zu finden?) und verschickte Anfragen nach Original-Comics über die Pandemie («Wir alle brauchen etwas Positives, an
das wir denken können, und viele von uns haben Zeit.
Wer möchte etwas gestalten?»). Das Ergebnis ist die ebenso magische wie grossartige Anthologie Rescue Party: A Graphic Anthology of COVID Lockdown, eine Sammlung von Flaschenpost-Nachrichten, die in die seltsam veränderte Welt von Covid-19 geschickt werden sollen.
Einige Leser von STRAPAZIN erinnern sich vielleicht an Comix 2000, das vor Rescue Party die wohl berühmteste Comic-Anthologie gewesen sein muss, die aufgrund eines globalen Ereignisses erstellt wurde. Comix 2000 war eine zweitausend Seiten umfassende Sammlung von stummen Schwarzweiss-Comics aus aller Welt, die anlässlich der Jahrtausendwende zusammengestellt wurde. Rescue Party ist mit etwa 150 Seiten etwas bescheidener, aber doch in leuchtenden Farben gehalten — mit Buntstiften, Collagen, digitalen Kunstwerken und wer weiss, was noch für Medien — jedenfalls ganz anders als die meisten Comics des letzten Jahrhunderts.
Rescue Party ist auch ein Buch voller Optimismus. Fowlers Vorgaben waren einfach: Die Beiträge sollten eine einzelne Seite in einem klassischen 9-Panel- Raster umfassen und Hoffnungen und Träume für eine Rückkehr zum «normalen Leben» nach der Pandemie vermitteln. Die Ergebnisse (oder zumindest die rund 150, die Fowler aus mehr als 250 Einsendungen aus über 50 Ländern ausgewählt hat) strotzen nur so vor Positivität, Freundlichkeit und Fürsorge. Die Pandemie brachte bei vielen Menschen das Schlimmste zum Vorschein — von Kleinlichkeit über Egoismus bis hin zu Gemeinheit — und wurde durch eine Massenmigration in das allgemein eher toxische Medium der sozialen Medien noch verschlimmert, aber davon ist hier nichts zu spüren. Tatsächlich wurde Fowlers Aufruf zwar über Instagram verbreitet, aber in nur wenigen dieser Geschichten wird das Internet überhaupt erwähnt. Und das Ergebnis ist keine Facebook-Gruppe oder Website, sondern eine Feier unserer Menschlichkeit durch das menschlichste und humanste Medium, das Buch.
Rescue Party ist auch eine Zeitkapsel des Zustands der Comics im ersten Fünftel des 21.Jahrhunderts.
Ich halte mich für einen Comic-Kenner, aber ich hatte von nur drei der über 140 Mitwirkenden überhaupt gehört. Tatsächlich sind viele der Mitwirkenden bisher unveröffentlichte Amateure. Das zeigt, wie sehr sich Comics zu einem wirklich universellen Medium entwickelt haben und wie gut Gabe Fowler darin ist, neue Talente zu finden.
In einem der Textabschnitte des Buches stellt Fowler fest, dass Covid uns «in unserer Isolation zusammengebracht» hat. Niemand, der noch am Leben ist, hat jemals etwas Ähnliches erlebt, wie das, was die ganze Welt getroffen hat. So Gott will, wird es keiner von uns jemals wieder erleben — aber wenn doch, kann Rescue Party als Inspiration dienen, um die Kreativität und das Mitgefühl zu nutzen, zu denen unsere wankelmütige Spezies fähig ist.
Mark David Nevins
.
Gabe Fowler (Herausgeber),
«Rescue Party: A Graphic Anthology of COVID Lockdown».
Pantheon, 2024, in englischer Sprache, 192 S.,
Hardcover. farbig,
$ 25.
Vincent Zabus, verschiedene Zeichner*innen: «Les petits métiers méconnus»

Falten-Schmeichlerinnen und Hundekot-Sammler
Im Paris des 19.Jahrhunderts erfanden «kleine Leute» Tätigkeiten, mit denen sie ein bisschen Geld verdienen konnten: Die einen klaubten Zigaretten- stummel auf und verarbeiteten die Tabakreste zu neuen Fluppen, andere zündeten Leuten auf der Strasse Zigarren oder Zigaretten gegen ein paar Münzen an, wieder andere sammelten Hundekot, der zum Gerben von Leder benötigt wurde. An solche aus der Not erfundenen «kleinen Berufe» mag der belgische Comic-Autor Vincent Zabus gedacht haben, als er
seine Serie Les petits métiers méconnus («verkannte kleine Berufe») für das Comic-Magazin Spirou schrieb. Der Spirou-Verlag Dupuis veröffentlichte die gesammelten Geschichten im Herbst 2024. Und weil Zabus die zeichnerische Umsetzung jeder Folge je einer Zeichnerin oder einem Zeichner anvertraute, bietet Les petits métiers méconnus nicht nur zauberhafte Ideen, sondern auch den Genuss der stilistischen Vielfalt von 15 Zeichner*innen, die zur Crème de la crème der frankobelgischen Comic- Szene gehören: Hippolyte, Efa, Alexandre Clérisse, Thomas Campi, Antoine Carrion, Pierre Maurel, Valérie Vernay, Christian Cailleaux, Javi Rey, Amélia Navarro, Piero Macola, Christian Durieux, Jean-Denis Pendanx, Alfred und Charles Berberian.
.
Das Titelbild stammt wie die Rahmenhandlung von Hippolyte und setzt mit zarten Aquarellwolken und sanften Nachtschatten den poetischen, liebevollen und doch skurrilen Charakter dieser Comic- Geschichten. Nur einige Beispiele: Die «Strassen- Souffleuse» hat einen riesigen Schatz von literarischen Zitaten verinnerlicht, die sie denjenigen Mitmenschen diskret einflüstert, denen es akut an Schlagfertigkeit fehlt. In Szene gesetzt hat diese Geschichte Alexandre Clérisse (Das Imperium des Atoms) in seiner stylischen, schablonenhaften Art ohne Umrisslinien. Ein anderes Beispiel: Pierre Maurel setzte eine Geschichte um einen «Panel-Rand-Anstreicher» mit flüchtigen Tuschelinien und gedeckten Farben um, in der wundervoll mit der Erzähltechnik des Comic gespielt wird, vor allem mit der Funktion der Panel-Ränder. Ob die «Erinnerungsrestauratorin», der «polymorphe Briefeschreiber», der «Führer im Museum der Anonymen» oder die «Falten-Schmeichlerin» — in all diesen Berufen geht es letztlich um Freundlichkeit gegenüber den Mitmenschen. Ein Comic mit Potenzial zum «Coup
de Coeur».
Barbara Buchholz
.
Vincent Zabus, verschiedene Zeichner*innen:
«Les petits métiers méconnus».
In französischer Sprache, Dupuis, 128 S.,
Hardcover, farbig,
ca.CHF 28 / EUR 25
.
Reinhard Kleist: «Low: David Bowie’s Berlin Years»

Eine Ode an Berlin und Bowie
Mit Low: David Bowie’s Berlin Years legt Reinhard Kleist den abschliessenden zweiten Teil seiner Auseinandersetzung mit David Bowie vor. Von 1976 bis 1979 lebte Bowie in Berlin und nahm seine bahnbrechende Berlin Trilogy auf: Low, Heroes und Lodger. 1977 produzierte er ausserdem zwei Meisterwerke von Iggy Pop, The Idiot und Lust for Life. Diese fünf Alben sind Schlüsselwerke der Popmusik. Sie entstanden parallel zum Punk, doch Bowie und Pop dachten über den Punk hinaus: Bowie liess sich von seiner Begeisterung für deutsche Bands wie Kraftwerk, Can, Tangerine Dream und Neu! inspirieren; unter der Ägide des visionären Produzenten Brian Eno fusionierte er Pop und Elektronik auf nie gehörte Weise und verknüpfte das mit der klaustrophobischen Atmosphäre in der Mauerstadt. Dieser Sound sollte den Postpunk massgeblich beeinflussen.
.
Dass Reinhard Kleist ein meisterhafter Musikerbiograf ist, hat er bereits in seinen Büchern über Johnny Cash und Nick Cave bewiesen. Auch in seinen Bowie- Bänden Starman: David Bowie’s Ziggy Stardust Years und Low feiert er seinen Protagonisten nicht einfach ab, sondern dringt erzählerisch und visuell in die Tiefe seiner Lebensgeschichte und seiner Songs.
.
Berlin, Schöneberg, Hauptstrasse 155: ein unschein- bares Mietshaus. In Rückblenden erfahren wir, was Bowie nach Berlin trieb: Zu viel Koks, zu viel Glamour, zu viel Oberflächlichkeit in Los Angeles. Aber auch: seine Faszination für die Dekadenz der Weimarer Republik, für Autoren wie Bertolt Brecht, Kunstströmungen wie Die Brücke, für die Ästhetik des Dritten Reichs. Und: das Geld. Bowie war pleite, Berlin war billig. Weil auch Iggy in einer Krise steckte, nahm Bowie ihn mit in seine WG. In Berlin fand Bowie zu sich selbst und erfand sich einmal mehr neu — zum Teil in den Hansa Studios mit Blick auf
die Mauer.
.
Kleist führt uns sicher und kenntnisreich durch diese Zeit. Auch visuell überzeugt Low, nicht zuletzt durch die Verwendung unterschiedlicher Farbpaletten für die unterschiedlichen Phasen und Bewusstseinsebenen.
Illustrationen: Sophie Nicklas Neben Iggy und Eno tauchen weitere Weggefährt*innen auf, Bowies Gattin Angela, die ihn aus Berlin weglotsen möchte, seine für Alltag und Finanzen zuständige Vertraute Coco, die Diva und Chanteuse Romy Haag, in deren Cabaret Chez Romy David Bowie gerne abhing.
.
Low ist auch eine Ode an Berlin: Kleist feiert den besonderen Charme der damals grauen und abgefuckten, aber subkulturell vibrierenden Mauerstadt.
.
Ausgerechnet die Musik kommt etwas zu kurz: In Starman brachte Kleist Bowies Klassiker auf dem Papier zum Klingen; in Low hält er sich zurück, trotz des visuellen Potenzials der Berlin Trilogy. Diesem Einwand zum Trotz ist Kleists zweibändige Bowie- Biographie eine ausgesprochen kluge Auseinandersetzung mit dem Pop-Chamäleon.
Christian Gasser
.
Reinhard Kleist: «Low: David Bowie’s Berlin Years».
Carlsen Verlag, 176 S.,
Hardcover, farbig,
CHF 37.90 / EUR 25
.
Sylvain Runberg/Alexis Tallone: «Captain Future: der Ewige Herrscher»

Vorwärts in die Vergangenheit
Remakes und Reboots gibt es nicht nur im Kino. Der Autor Sylvain Runberg und Zeichner Alexis Tallone haben die Wiederbelebung eines Sci-Fi-Helden versucht, den ich als Kind liebte, aber vergessen hatte. Kinder der 80er-Jahre mögen sich vielleicht erinnern, wie zum Disco-Funk von Komponist Christian Bruhn das Raumschiff Comet über die Mattscheibe in die unendlichen Weiten des Weltraums flog und Captain Future und sein Team von einem Abenteuer ins nächste brachte. Stilgebend für die Figur waren die japanische Trickfilmserie der Tōei Studios und die begleitenden Comic-Hefte des Bastei-Verlags. Doch Captain Futures Geschichte ist — wie ich erst jetzt herausgefunden habe — viel älter.
.
Die Ursprünge reichen zurück in die 1940er-Jahre, als Autor Edmond Hamilton seine Pulp-Geschichten schrieb. Damals verkörperte Curtis Newton alias Captain Future das Ideal des heroischen Wissenschaftlers. In den 1970ern erlebte die Figur durch die Zeichentrickserie eine Renaissance, die besonders in Deutschland Kultstatus erlangte. Danach gab es mehrere Versuche, die Figur neu zu lancieren: mit Hörbüchern, die auf den Original-Romanen basieren (2012–2022), einer Romanreihe (2017) und seit einigen Jahren gibt es dem Anscheinen nach ein Filmprojekt.
.
Runbergs und Talones Projekt soll mehr als nur ein nostalgischer Rückblick sein. Der Comic Captain Future: der Ewige Herrscher ist der Versuch, die Figur für das 21.Jahrhundert neu zu definieren. Ihre Interpretation behält die Kernelemente bei — den brillanten Helden, seine treuen Gefährten und die interplanetaren Abenteuer — fügt aber zeitgemässe Nuancen hinzu. Tallones Zeichenstil und Farben sind eine Hommage an die Ästhetik der Anime-Serie.
.
In seinem neusten Abenteuer kämpft Captain Future gegen eine mysteriöse Epidemie auf Planet D9. Mit dabei sind wie gewohnt der Roboter Grag, der Androide Otto und Professor Simon Wright bzw. sein Gehirn,
das in einem fliegenden «Anti-G-Modul» eingebaut ist. Ist es nun ein Remake oder ein Reboot, eine Neuinterpretation? Nur Letzteres wäre eine Neuveröffentlichung wert, ansonsten könnte man die alten Bastei-Comics auftreiben oder auf YouTube die Trickfilmserie anschauen. Kann ein Held aus der Ära des ungebrochenen Fortschrittsglaubens der 1940er und 1970er in einer Zeit des technologischen Skeptizismus bestehen? Der Comic versucht, diese Balance zu finden, indem er die optimistische Grundhaltung beibehält, aber auch die Schattenseiten des wissenschaftlichen Fortschritts thematisiert. So ist die Lektüre sowohl etwas für nostalgische Fans wie auch für Leser*innen, die mit dem heldenhaften Wissenschafter noch nicht vertraut sind.
Giovanni Peduto
.
Sylvain Runberg/Alexis Tallone: «Captain Future: der Ewige Herrscher».
Aus dem Französischen von Marcel Le Comte.
Carlsen, 2025, 168 S.,
Hardcover, farbig,
CHF 39.90 / EUR 28.
Karla Kaktus, Peter Piranha (Hrsg.): «Free Charlie! Satire kann man nicht töten»

Make laugh, not war
Kaum zu glauben, dass das Massaker in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo bereits zehn Jahre her ist. Noch weniger mag man glauben, was passiert wäre, wenn der Anschlag in Deutschland stattgefunden hätte, denn dann hätten nach deutschem Recht die überlebenden Redakteure sogar angeklagt werden können. Wie das kommt? 1871 wurde der Paragraf 166, auch «Gotteslästerungsparagraf» genannt, in das Reichsstrafgesetzbuch des Deutschen Reichs aufgenommen, der auch heute noch gültig ist. 1969 wurde zwar der Tatbestand der Gotteslästerung aus der Strafnorm gestrichen und es wurden zudem religiöse und nichtreligiöse weltanschauliche Bekenntnisse formal gleichgestellt. Seitdem ist der Schutzgegenstand des Paragrafen der öffentliche Frieden. Doch wird der Paragraf 166 weiterhin angewendet, um Satiriker*innen und Religionskritiker*innen damit zu verfolgen. Religiöse Fanatiker*innen die «Ungläubige» beschimpfen, bleiben dagegen verschont. Somit ist der Paragraf nur auf dem Papier weltanschaulich neutral gehalten und kommt weiterhin als «Gotteslästerungsparagraf» zum Einsatz, den vor allem Fundamentalist*innen für sich entdeckt haben. Als 2022 vor dem Islamischen Zentrum Hamburg, das inzwischen wegen seiner islamistischen Aktivitäten geschlossen wurde, eine Demonstration stattgefunden hatte, bemühte das Generalkonsulat der Islamischen Republik Iran als Reaktion auf die Demonstration den Paragrafen 166, weil die Demonstrant*innen den öffentlichen Frieden gestört hätten, was mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden kann. Gegen drei Exiliraner läuft das Verfahren noch, da gegen die Strafbefehle in Höhe von 60 bis 90 Tagessätzen Berufung eingelegt wurde. Wer tiefer in das Thema eintauchen möchte, dem empfehle ich die Free-Charlie-Kampagne, die sich für die Abschaffung des §166 StGB einsetzt und die gleichnamige Publikation Free Charlie! Satire kann man nicht töten. Darin wird dem Anschlag auf Charlie Hebdo gedacht, es gibt einen ausführlichen Text über die Geschichte des Gotteslästerungsparagrafen sowie zahlreiche Cartoons, unter anderem von Ralf König, Gerhard Haderer, Ruth Hebler, Bettina Schipping und Oliver Ottitsch. Auf der ersten Seite gibt es wohlweislich folgende Triggerwarnung: «Falls Sie befürchten, religionskritische Zeichnungen könnten Sie dazu verleiten, in die Luft zu gehen oder, schlimmer noch, andere in die Luft zu sprengen, geben Sie dieses Buch bitte an eine Person mit höherer Humortoleranz weiter.»
Matthias Schneider
.
Karla Kaktus, Peter Piranha (Hrsg.):
«Free Charlie! Satire kann man nicht töten».
Alibri Verlag, 132 S.,
Softcover, farbig,
CHF 24.90 / EUR 15.
Craig Thompson: «Ginsengwurzeln»

Ginsengsüchtig!
Bei Wind und Wetter, unter sengender Sonne oder im Schlamm kniend, jätete Craig Thompson Unkraut und räumte Steine von den Feldern. Von seinem kargen Lohn kaufte er Comics, in deren bunte Welten sein Bruder Phil und er sich begeistert flüchteten. So verbrachte Thompson seine Kindheit in Marathon, Wisconsin, dem grössten Ginseng-Anbaugebiet ausserhalb Asiens.
.
Eine Graphic Novel über Ginseng? 456 Seiten schwer? Interessiert mich das? Ich bezweifelte es und liess Ginsengwurzeln erst einmal liegen. Die grossartige Bildsprache Thompsons verführte mich dann aber doch, seinen Wälzer in die Hand zu nehmen — nach wenigen Seiten war ich ginsengsüchtig…
.
Thompsons Graphic Novel ist alles andere als ein esoterisches Sachbuch über den geheimnisvollen Heilknollen. Der Titel verweist auch auf Thompsons persönliche Wurzeln. Ginsengwurzeln ist eine hochkomplexe Mischung aus Autobiographie und Familiengeschichte, aus Reportage, Reiseerzählung, Geschichtsbuch und Essay. Thompson umkreist sehr unterschiedliche Themen: Die Mythologie und die Heilkräfte von Ginseng, Wirtschaftspolitik zwischen Globalisierung und Protektionismus, Klassenkampf und Migration und nicht zuletzt ökologische Aspekte wie Pestizide und Klimawandel.
.
Im Mittelpunkt steht immer Craig Thompson selbst: Zwanzig Jahre nach seinem Welterfolg Blankets — seiner Abrechnung mit dem fundamentalistisch- evangelikalen Milieu, in welchem er aufgewachsen ist — kehrt er zurück an den Ort seiner Kindheit und setzt sich erneut mit seinem Aufwachsen auseinander, mit seinen Geschwistern und auch mit seinen Eltern, mit denen er sich auszusöhnen beginnt.
Die Ginsengwurzel kann als Metapher dienen: Eine anthropomorphe Wurzel mit vielen feinen Wurzelfäden, die beim Ausgraben nicht abgerissen werden dürfen. So taucht Thompson in seine Geschichte ein: Er nimmt möglichst alle Verästelungen mit, die an der zentralen Knolle hängen.
Das kann Weltpolitik sein: Thompson erzählt etwa die Geschichte der Hmong, einem Volk in Laos, das im Vietnamkrieg an der Seite der CIA kämpfte, aber beim Abzug der US-Truppen im Stich gelassen wurde. Einige Hmong schafften die Flucht — und arbeiten seither in den USA im Ginsenganbau.
Das kann persönlich sein: Thompson reflektiert seine künstlerische Krise und schildert seine Versuche, die Fibromatose zu kurieren, eine Auto-Immunkrankheit, die seine Hände derart lähmt, dass er jahrelang nur unter Schmerzen zeichnen kann. Die Ursache: Die Pestizide, die er als Kind auf den Ginsengfeldern eingeatmet hat.
.
Thompson ist ein begnadeter Erzähler; locker hüpft er von Thema zu Thema, greift immer wieder überraschende neue Aspekte auf und verliert doch nie die zentrale Wurzel seiner Erzählung aus den Augen, sich selbst.
.
Auch zeichnerisch ist Thompson eine Klasse für sich: Sein schwarz-weiss-roter Strich ist realistisch, seine Figuren leben, die Bilder stecken voller Details. Oft überhöht er die Realität metaphorisch oder lässt munter herumwuselnde Ginsengknollen mit grossen Augen das Geschehen kommentieren.
Christian Gasser
.
Craig Thompson: «Ginsengwurzeln».
Aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland,
Reprodukt, 456 S., Hardcover, zweifarbig,
CHF 54.90 / EUR 39
.
Vincent Zabus, verschiedene Zeichner*innen: «Les petits métiers méconnus»

Falten-Schmeichlerinnen und Hundekot-Sammler
Im Paris des 19.Jahrhunderts erfanden «kleine Leute» Tätigkeiten, mit denen sie ein bisschen Geld verdienen konnten: Die einen klaubten Zigaretten- stummel auf und verarbeiteten die Tabakreste zu neuen Fluppen, andere zündeten Leuten auf der Strasse Zigarren oder Zigaretten gegen ein paar Münzen an, wieder andere sammelten Hundekot, der zum Gerben von Leder benötigt wurde. An solche aus der Not erfundenen «kleinen Berufe» mag der belgische Comic-Autor Vincent Zabus gedacht haben, als er
seine Serie Les petits métiers méconnus («verkannte kleine Berufe») für das Comic-Magazin Spirou schrieb. Der Spirou-Verlag Dupuis veröffentlichte die gesammelten Geschichten im Herbst 2024. Und weil Zabus die zeichnerische Umsetzung jeder Folge je einer Zeichnerin oder einem Zeichner anvertraute, bietet Les petits métiers méconnus nicht nur zauberhafte Ideen, sondern auch den Genuss der stilistischen Vielfalt von 15 Zeichner*innen, die zur Crème de la crème der frankobelgischen Comic- Szene gehören: Hippolyte, Efa, Alexandre Clérisse, Thomas Campi, Antoine Carrion, Pierre Maurel, Valérie Vernay, Christian Cailleaux, Javi Rey, Amélia Navarro, Piero Macola, Christian Durieux, Jean-Denis Pendanx, Alfred und Charles Berberian.
.
Das Titelbild stammt wie die Rahmenhandlung von Hippolyte und setzt mit zarten Aquarellwolken und sanften Nachtschatten den poetischen, liebevollen und doch skurrilen Charakter dieser Comic- Geschichten. Nur einige Beispiele: Die «Strassen- Souffleuse» hat einen riesigen Schatz von literarischen Zitaten verinnerlicht, die sie denjenigen Mitmenschen diskret einflüstert, denen es akut an Schlagfertigkeit fehlt. In Szene gesetzt hat diese Geschichte Alexandre Clérisse (Das Imperium des Atoms) in seiner stylischen, schablonenhaften Art ohne Umrisslinien. Ein anderes Beispiel: Pierre Maurel setzte eine Geschichte um einen «Panel-Rand-Anstreicher» mit flüchtigen Tuschelinien und gedeckten Farben um, in der wundervoll mit der Erzähltechnik des Comic gespielt wird, vor allem mit der Funktion der Panel-Ränder. Ob die «Erinnerungsrestauratorin», der «polymorphe Briefeschreiber», der «Führer im Museum der Anonymen» oder die «Falten-Schmeichlerin» — in all diesen Berufen geht es letztlich um Freundlichkeit gegenüber den Mitmenschen. Ein Comic mit Potenzial zum «Coup
de Coeur».
Barbara Buchholz
.
Vincent Zabus, verschiedene Zeichner*innen:
«Les petits métiers méconnus».
In französischer Sprache, Dupuis, 128 S.,
Hardcover, farbig,
ca.CHF 28 / EUR 25
.
Giacomo Nanni: «Un giorno, la sera»

Fragmentierte Erlebnisse
Im deutschsprachigen Raum ist der italienische Autor Giacomo Nannis wenig bekannt und — obwohl er schon ein paar beachtenswerte Bücher publiziert hat — noch nie auf Deutsch erschienen. Empfehlenswert ist Atto di Dio (2018), in dem eine unkonventionelle Geschichte über die komplexe Beziehung zwischen Mensch und Natur erzählt wird und die Protagonisten ein Reh oder auch ein Gewehr mit einem Bewusstsein sein können.
.
Sein neuestes Buch mit dem Titel Un giorno, la sera (etwa Eines Tages, an einem Abend) entführt die Leser*innen in eine faszinierende Welt der «pointillistischen» Erzählkunst. Der Comic folgt den Gedanken eines 23-jährigen Mannes, der durch die Strassen von Paris streift und dabei über seine prekäre finanzielle Situation sinniert (das Geld reicht für genau ein Croissant am Tag), über Hoffnungen und eine mögliche Beziehung zu einer kürzlich getroffenen Frau.
.
Nanni bedient sich einer beeindruckenden Zeichentechnik, die an den Pointillismus eines Georges Seurat (1859–1891) erinnert. Bei dieser Maltechnik werden Farbpunkte so nebeneinandergesetzt, dass sie sich erst aus einer bestimmten Distanz im Auge der Betrachter*innen zu einem Gesamtbild formen. Diese Technik verleiht Nannis Buch eine fast traumhafte Qualität. Der minimalistische Ansatz, gepaart mit einem horizontalen Buchformat und grosszügiger Seitengestaltung, fordert Leser*innen heraus. Zudem ist die Erzählung nonlinear, die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit werden verwischt. Dies spiegelt den inneren Stillstand und die Wiederholungen des Protagonisten wider, der in seinen fragmentierten Gedanken und Erinnerungen gefangen zu sein scheint. Die Stadt Paris wird dabei zu mehr als nur einer Kulisse: Sie wird zu einem eigenständigen Charakter, der die Stimmung des Protagonisten reflektiert und verstärkt. Alltägliche Beobachtungen verwandeln sich in Reflexionen über das menschliche Dasein.
.
Un giorno, la sera kann als eine visuelle Meditation über die Einsamkeit in der Masse und die Unsicherheit des urbanen Lebens verstanden werden. Und obwohl visuell interessant, wird die Erzählung zunehmend kryptisch. Die einzelnen Punkte können nicht immer verbunden werden und geben aus der Distanz kein klares Bild mehr. Die Leserschaft wird mit der Interpretation allein gelassen. Das Treffen mit der anfangs erwähnten Frau und der Umgang des Protagonisten mit Frauen im Allgemeinen hinterlässt einen fahlen Beigeschmack. Lesenswert bleiben Nannis Werke aber allemal und eine deutsche Übersetzung
wäre wünschenswert.
Giovanni Peduto
.
Giacomo Nanni: «Un giorno, la sera».
In italienischer Sprache,
Rulez, 2024, 96 S.,
Hardcover, farbig,
EUR 20
.
rulez.works/product
.
«Was gibt’s denn da zu lachen? Die komische Kunst des Walter Moers»

Der grossartige Walter Moers
Was gibt’s denn da zu lachen? lautet die Ausstellung über Walter Moers in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen. In dem gleichnamigen Ausstellungskatalog wird die gesamte Spannbreite des Moers‘schen Schaffens aufgezeigt, von seinen Anfängen bei der Titanic mit dem «Kleinen Arschloch» und «Adolf, die Nazisau», seine Interpretation von Klassikern der Kunstgeschichte, der Serie «Arschloch in Öl», dann natürlich der grossartige Käpt’n Blaubär bis hin zu seinem fantastischen «Zamonienkontinent». Ob man Moers nun als zeichnenden Autor oder als schreibenden Zeichner versteht, sei jedem selbst überlassen.
Walter Moers ist schwer zu fassen, er lässt sich in keine Schublade stecken. Und das ist gut so, denn sein einzigartiges Oeuvre zeigt, welch verrückt faszinierende Werke entstehen, wenn einem Autor und Zeichner wie ihm die Freiheit dazu gelassen wird. Man möchte sich nicht vorstellen, was aus Moers geworden wäre, wenn er mit seiner künstlerischen Arbeit erst in der heutigen Zeit beginnen würde. Auch damals wurden seine Bücher mit Indizierungen oder Beleidigungsklagen bedroht, und wie er in einem Interview sagte, war dies unangenehm, aber man konnte damit umgehen und sich dagegen wehren, weil man es mit konkreten Einzelpersonen zu tun hatte, die sich nicht hinter einem Social-Media-Account verstecken konnten. Heutzutage ist das weitaus schwieriger, und Moers hat eine klare Haltung dazu: «Mit Humor ist
Illustrationen: Sophie Nicklas es wie mit dem Alkohol: Wenn man ihn nicht verträgt, sollte man die Finger davonlassen.» Wer dagegen den Moers’schen Humor verträgt, der kann in wunderbar absurde Welten mit bizarr komischen Protagonisten eintauchen, ob nun in Zamonien oder auch bei Käpt’n Blaubärs Seemanngarn-Geschichten. Die Erfindung von Welten, darin ist Moers Meister, und das zieht sich als roten Faden durch seine sehr unterschiedlichen Werke. Exemplarisch hierzu findet sich im Katalog ein sehr früher Comic aus dem Jahr 1984. In «Der Toaster- Drache» führt Walter Moers mit Professor Schimauski ein Interview zu dessen neuster Entdeckung. Denn als die Frühstücktoasts des Professors nicht mehr gleichmässig oder gar nicht mehr geröstet wurden, schraubte er kurzerhand das Gerät auf. Um so erstaunter war der Professor, als er darin eine kleine Vier-Zimmer-Wohnung entdeckte, in der ein kleiner Toaster-Drache von den Toaster-Inseln wohnte. Warum die Toasts nicht mehr richtig geröstet wurden, wozu man blaue Brennnesseln benötigt und wie der einzige Vulkan der Erde mit zwei Längskratern heisst, zeigt ganz wunderbar, was es heisst, zu Gast in der Welt von Moers zu sein.
Matthias Schneider
.
Christine Vogt (Hg.):
«Was gibt’s denn da zu lachen? Die komische Kunst des Walter Moers».
Kerber Verlag, 288 S.,
Hardcover, farbig & s/w,
ca. CHF 52 / EUR 43
.
Benoist Simmat, Lucas Landais: «Die unglaubliche Geschichte des Biers. Von der Urzeit bis heute, 15.000 Jahre Abenteuer»

Bierseliges
Ursprünglich war Bierbrauen eine Frauendomäne, im alten China und bei den Maya diente Bier
der Kommunikation mit den Göttern, in der Brüsseler Luft vollzieht sich die Magie der Spontangärung
für Lambic-Bier und IPA war in London schon im 19.Jahrhundert hip. Im Sachcomic Die unglaubliche Geschichte des Biers. Von der Urzeit bis heute, 15.000 Jahre Abenteuer erzählt der französische Autor Benoist Simmat den Werdegang vom uralten Gebräu nund «Grundnahrungsmittel» zum weltweit verbreiteten Genusstrunk; dabei serviert er allerlei interessante Tatsachen.
.
Simmat hat schon Comic-Szenarien für andere «unglaubliche Geschichten» geschrieben, zu Themen wie Kochen, Geld oder Wein; Letzterer gehört zu seinen Spezialgebieten als Journalist und Autor. Für seinen Comic über Bier hat Simmat den Brüsseler Universitätsprofessor und Biersommelier Fabrizio Bucella als Berater herangezogen (der unter anderem einen Anti-guide de la bière mit dem interessanten Untertitel apprendre les bases de la zythologie en s’amusant avec le prof. Bucella geschrieben hat). Bucella tritt im Kapitel über Belgien, Im Königreich des Bieres, auch selbst launig auf.
.
Dass Die unglaubliche Geschichte des Biers sich trotz der Fülle an Fakten und geschichtlichen Abläufen unterhaltsam und locker liest, ist der gekonnten zeichnerischen Umsetzung durch Lucas Landais zu verdanken. Die Erzählerin Stella kommt im Prolog bei einem gezapften Blonden auf einer Caféterrasse ins Gespräch mit einem Wein trinkenden Herrn. Stella hat eine Mikrobrauerei gegründet,
das weckt die Neugier des Weinliebhabers. Als sie das nächste Mal anstossen, ist Bier in beiden Gläsern. Stella begleitet die Lesenden dann gut 200 Seiten lang durch die Jahrtausende; sie steht am Bildrand oder auch mal mit am Braukessel und berichtet, erklärt, ordnet ein. Das funktioniert erstaunlich gut und unterhaltsam. Auch das Glossar im Anhang, von «Abteibier» bis «Zythologe», ist hilfreich. Allerdings hätte ich dem Buch ein sorgfältigeres Lektorat gewünscht, an manchen Stellen wirkt die Übersetzung hölzern und fehlerhaft.
Barbara Buchholz
.
Benoist Simmat, Lucas Landais:
«Die unglaubliche Geschichte des Biers. Von der Urzeit bis heute,
15.000 Jahre Abenteuer».
Aus dem Französischen von Yara Haidinger,
Bahoe Books, 224 S.,
Hardcover, farbig,
CHF 43.90 / EUR 29
.
Kurz und Gut
Christian Meyer-Pröpstl
.
Luz & Virginie Despentes: «Vernon Subutex 2».
Reprodukt, 368 S.,
Hardcover, farbig,
ca. CHF 60 / EUR 44
–
–
Und noch ein zweiter letzter Band: Nach dem weitherum gefeierten Debüt Am liebsten mag ich Monster der
spät reüssierenden Zeichnerin Emil Ferris kehren wir in die späten 60er-Jahre von Chicago zurück,
zu dem zehnjährigen Mädchen Karen, das umgeben von zwielichtigen Gestalten einem Mord nachspürt und dabei bis in die Judenverfolgung im Europa der 1940er-Jahre gräbt. Abermals komplett mit Kugelschreiber auf liniertem Papier sehr aufwändig und detailreich gezeichnet, entführt uns Ferris
in eine äusserst unangenehme Erwachsenenwelt.
.
Emil Ferris: «Am liebsten mag ich Monster 2».
Panini, 320 S.,
Softcover, farbig,
ca. CHF 50 / EUR 39
–
–
Die Geschichte des Komikerpaars Laurel und Hardy betrachtet Gianluca Buttolo in seiner gleichnamigen Graphic Novel, deren Rahmenhandlung ein Telefonat ist zwischen dem älteren Stan Laurel und einem Schüler, der einen Aufsatz über die beiden schreiben soll. Der dramaturgische Kniff hat kaum Folgen für die Biographie, die Buttolo chronologisch in kontrastreichen Schwarzweiss-Zeichnungen abschreitet und detailliert über Leben und vor allem Arbeit
der Komiker berichtet.
.
Gianluca Buttolo: «Laurel & Hardy».
Schreiber & Leser, 176 S.,
Hardcover, s/w,
CHF 43.90 / EUR 29,80
–
–
Als würden all seine Comics und Serien (Herr Hase, Donjon) nicht reichen, legt Lewis Trondheim jetzt mit noch einer neuen Serie los: Ein Neuer an der Schule heisst der erste Band der Serie Aurora und der Ork und soll für Leser*innen ab acht Jahren sein, ist aber reichlich brutal, wenn auch nicht explizit. Aber genauso süss! Aurora ist anscheinend die Einzige,die den kinderfressenden Ork als Ork erkennt, alle anderen sehen ihn als normales Kind. Da sind Probleme vorprogrammiert …
.
Sechs Hilda-Comics gibt es bereits, jetzt legt Luke Pearson mit Hilda und Hörnchen — Das Regenversteck nach. Hier spielt Hildas Begleiter Hörnchen eine grössere Rolle. Ein neues, fröhliches Abenteuer dieser schön gezeichneten Serie mit philosophischer Grundierung. Nur die Aufmachung ist, da ohne Leinen und mit knalligerem Druck, nicht mehr so beeindruckend.
.
Lewis Trondheim: «Aurora und der Ork — Ein Neuer an der Schule».
Reprodukt, 64 S.,
Softcover, farbig,
CHF 23.90 / EUR 15
.
Luke Pearson: «Hilda und Hörnchen — Das Regenversteck».
Reprodukt, 56 S.,
Softcover, farbig,
CHF 27.90 / EUR 18
–
–
Pünktlich zur ungewissen Zukunft der USA:
Jörg Hartmann (Wilsberg) und Julian Voloj (In NY, Basquiat, Ghetto Brother) ergründen anhand der Entstehungsgeschichte der Freiheitsstatue den demokratischen Kern der USA. Liberty heisst der schön aquarellierte Band um den Bildhauer Frédéric- Auguste Bartholdi und sein monumentales Projekt.
.
Julian Voloj & Jörg Hartmann: «Liberty».
Splitter-Verlag, 144 S.,
Hardcover, farbig,
CHF 43.90 / EUR 29,80
–
–
Mit Ein Kind schliesst Lukas Kummer seine kongeniale Adaption von Thomas Bernhards fünfteiliger Autobiographie ab. Auch hier findet er mit Wiederholung und Variation auf der Bildebene eine passende Übersetzung von Bernhards Sprache ins Visuelle und stellt eine sachliche, spröde Erzählebene her, die aber die Details von Bernhards weitgehend liebloser, schwieriger Kindheit kaum abfedern kann und sicher auch nicht will.
.
Lukas Kummer: «Ein Kind».
Residenz Verlag, 112 S.
Hardcover. s/w,
CHF 34.90 / EUR 22
–
–
Eine schöne Überraschung zum Jahresende ist das Erscheinen von Comixene 148. Das Comic-Magazin erschien erstmals 1974 und hatte seitdem eine bewegte, von Höhen, Tiefen und diversen Pausen begleitete Geschichte. Nun versucht es der Comixene- Mitgründer Andreas C. Knigge nochmals mit einem
150-seitigen Jahresheft mit vielen Abbildungen. Die Ausgabe widmet sich den 111 besten Graphic Novels, mit Kritiken, Essays, Interviews und vielen Gastbeiträgen. Im «Journal» widmet man sich zudem aktuellen und historischen Comic-Themen.
.
Andreas C. Knigge (Hg): «Comixene 148».
Edition Alfons, 148 S.
Softcover, farbig,
CHF 28.90 / EUR 19
.
Biografien
weiter...
Momo Gordon
lebt in Portland und arbeitet hauptsächlich mit Graphit und handgeschöpftem Papier. Laut ihrem Lebenslauf erforscht sie «empfindungsfähige Räume, feindliche Architektur und anthropomorphisierte Objekte».
momogordon.com
Jan Soeken
studierte Illustration bei Anke Feuchtenberger an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Seine Comics und Illustrationen erschienen unter anderem im ZEITmagazin, SZ-Magazin, in Le Monde diplomatique, Kus und im STRAPAZIN. Jan Soeken lebt mit seiner Familie in Hamburg.
jansoeken.de
Anna Haifisch
*1986 in Leipzig, zeichnet Comics. Ihre Bücher erschienen bereits in mehreren Sprachen, sie zeichnete auch Comic-Serien für das New York Museum of Modern Art, Le Monde, für das
US-amerikanische VICE und für Texte zur Kunst.
hai-life.com
Hanne Jatho
ist Illustratorin und Comic-Künstlerin aus Berlin. Sie erschafft fantastische Welten, in denen sie die Komplexität menschlicher Beziehungen erkundet. Ihre Arbeiten befassen sich mit Themen wie Solidarität, Wandel und Verbindungen zwischen Natur und Mensch.
hanne.jatho
SQUASH Comics e.V. ist ein Kollektiv in Leipzig
Der queer-feministische Verein mit mehreren kulturell und künstlerisch arbeitenden Personen organisiert die jährliche Snail Eye Cosmic Comic Convention, aber auch einzelne Comic-Events wie Comic-Lesungen, -Workshops, -Talks, -Anthologien, und -Ausstellungen. Marie Ehrentraut und Eva Gräbeldinger (beide they/ them) haben sich ganz dem Binge-Watching von Serien verschrieben, aber sie arbeiten beide eigentlich auch noch in den Bereichen Comic, Druckgrafik, Skulpturen, Textilkunst und Illustration.
squashcomics.de
@squash_leipzig
marieehrentraut.com
@bibbslord
evagraebeldinger.de
evagraebeldinger
Domi Wendland
(*1991) studierte Illustration an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Domis Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen, etwa dem Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur oder dem Preis der Berthold Leibinger Stiftung 2025, ausgezeichnet. Domi wohnt in München und unterrichtet dort seit 2018 Comics an der Technischen Hochschule.
dominikwendland.de
Annina Brell
*1989, ist Comic-Zeichnerin und Kultur- Organisatorin in Hamburg. Sie studierte Kunst an der Hochschule für Gestaltung Offenbach und Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Seit 2017 ist sie Mitorganisatorin des Comicfestivals Hamburg, das sie zwei Jahre lang leitete.
anninabrell.de
Emma Filippa Harkämper
*1997 in Köln, lebt im ruhigen Hannover und macht dort Comics sowohl am Zeichentisch als auch in der Radierwerkstatt. Freiberuflich zeichnet Emma live auf Veranstaltungen, lehrt Radierung und Zeichnung an Hochschulen, arbeitet in der Kunstvermittlung und ist Mitherausgeberin des Magazins Der Stricher.
@emma.filippapapa
Alex Krokus
ist Zeichner und Trickfilmer, er lebt in Brooklyn, New York. Seine Arbeiten wurden bereits in VICE, Buzzfeed und der New York Times veröffentlicht. Der neueste Band seiner Webcomic-Serie Loud & Smart & In Color wird 2025 bei Silver Sprocket erscheinen ebenso wie seine erste Graphic Novel Talking to My Father’s Ghost bei Chronicle Books.
alexkrokus.com
Das FanArt-Kollektiv
wurde 2014 von Jannis Esselbrügge, Julius Wagner, Michel Esselbrügge und Līva Kandevica zwecks gemeinschaftlichen Publizierens gegründet. Jooyoung Kim ist seit der dritten Ausgabe des FanArt Magazins dabei. Die jüngsten Veröffentlichungen Handy und Ghost sind in Kollaboration mit dem Leipziger Kollektiv Squash entstanden. FanArt macht eigentlich gar keine Fan-Art, ausser beim Comic für diese Ausgabe: Obwohl nur Julius, Jannis und Michel gezeichnet haben, sind die anderen Mitglieder durch ihre Figuren und ihren Style mit vertreten.
@fanart_collective
@janniskoepfchen
michelesselbruegge.com
julius-wagner.de
Atalja Tapis
ist Gestalterin und Illustratorin. Sie lebt und arbeitet in Bern (CH), wo sie Visuelle Kommunikation an der Hochschule der Künste Bern studiert.
ataljatapis.ch
Whitney Bursch
*1994, studiert in Hamburg Illustration mit dem Schwerpunkt Comic. Ihre Comics wurden im STRAPAZIN und in mehreren Anthologien veröffentlicht, unter anderem in Colorama Clubhouse und in der bei Carlsen veröffentlichten Anthologie The Future is ….
@bee.whitney
Toni Stakenkötter
produziert Comics, Zeichnungen, Malereien und Installationen, manchmal druckt sie auch Zines. Gerade macht sie ihren Master im Bereich Illustration an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. In ihrer Bildsprache verbinden sich ornamentale Motive mit abstrakten Formen und Fabelwesen.
tonistakenkoetter.de
Thomas Wellmann
*1983, arbeitet seit dem Abschluss seines Studiums in Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Düsseldorf als freiberuflicher Cartoonist. Neben der Arbeit an seinen Comics zeichnet er Hintergründe, Figuren und Storyboards für Zeichentrickserien und macht gelegentlich mit Freunden Videospiele wie Miracle Merchant.
wellmaus.com
Dobro Witczak
ist Illustratorin und bildende Künstlerin in Polen und Deutschland. Sie jongliert zwischen der Arbeit in einem Designstudio und ihrer eigenen Praxis. Thematisch beschäftigt sie sich mit naturbezogenen Themen, arbeitet gerne in Farbe und langweilt sich schnell bei Verwendung nur eines Mediums.
@dobro_witczak
Amelie Lihl
*1989, hat visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Illustration an der HfG Offenbach studiert. Seitdem lebt und arbeitet sie in München, zeichnet Comics, schreibt Texte und gibt Kurse in verschiedenen Drucktechniken. Sie ist Teil des ArtZi Kollektivs und organisiert Veranstaltungen rund
um Comics und Zines.
amelielihl.com
Alex Mages
ist seit 2017 selbständiger Illustrator und Grafikdesigner in Nürnberg.Seine Arbeiten umfassen die Bereiche Musik-Illustration, Comic- und Plakatgestaltung, aber auch Editorial-, Zine- und Printmaking sowie Freie Kunst.
alexmages.de
Yuka Masuko
geboren in Tokio, ist Comic-Autorin und Illustratorin in Berlin. Ihr Hauptwerk sind poetische und persönliche Erzählungen mit geometrischen Formen und symbolischen Handzeichnungen. Nach einem Bachelor in Politikwissenschaften in Tokio studierte sie Kommunikationsdesign an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und Illustration an der Haute école des arts du Rhin in Strasbourg. Seit 2023 setzt sie ihr Masterstudium an der Universität der Künste Berlin fort.
yukamasuko.de
Stefanie Leinhos
ist eine in Leipzig lebende bildende Künstlerin, die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Zeichnen, Schreiben und (Self-)Publishing. In ihren Werken stellt Leinhos oft Querverweise zwischen Literatur, Comics und Minimal- bzw. Konzeptkunst her. Sie ist Mitbegründerin der 2021 neu gegründeten Comic Gewerkschaft Deutschland.
stefanie-leinhos.de
comicgewerkschaft.org