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EDITORIAL


Mich als Binnenländer fasziniert die Welt der Hochseeschifffahrt und der Hafenstädte immer wieder aufs Neue. Wenn mein Blick in Hamburg, New York, Marseille, Rostock oder Triest auf die grossen Schiffe fällt, macht sich ein positives Empfinden breit, dass sich aus Nostalgie und Sehnsucht nach der Ferne zusammensetzt. Gemeint sind aber immer die Frachtschiffe, Tanker und andere Arbeitstiere der Weltmeere, nie die überdimensionierten Freizeitanlagen. Die Notwendigkeit des industriellen Komplexes und dessen Ästhetik und Geruch stehen mir näher als die Pseudofreiheit und Selbstisolation auf Kreuzfahrtschiffen.
Das grösste Containerschiff zurzeit ist die Ever Alot, die 24 000 Container laden kann, ein Schwesterschiff der bekannten Ever Given, die am 23. März 2021 im Suez Kanal stecken blieb. Es sind Schiffe, die knapp 400 Meter lang und 60 Meter breit sind, ihre Motoren haben eine Leistung von bis zu 80 000 PS. Natürlich sind nicht alle Containerschiffe solche Giganten. Die rund 6200 Containerschiffe, die derzeit weltweit unterwegs sind, haben dennoch eines gemeinsam: Aus ihren Schornsteinen entweichen CO2 und andere Treibhausgase, Stick- und Schwefeloxide, Feinstaub und Russ. Chemikalien aus dem Anstrich der Rümpfe gelangen ins Meer. Kühlmittel, Maschinenöle und Reinigungsmittel können austreten. In Ballasttanks und an der Bordwand reisen Lebewesen mit, die heimische Arten verdrängen und ganze Ökosysteme verändern. Mit ihrem hohen CO2-Ausstoss tragen Frachter zur weltweiten Umweltbelastung bei.
Kommt dazu, dass jeden dritten Tag irgendwo auf den Weltmeeren ein Frachter Schiffbruch erleidet und als Wrack auf dem Meeresgrund endet, meist wegen mangelhaftem Unterhalt, da die Reedereien teure Reparaturen scheuen. Jährlich laufen etwa 150 000 Tonnen Rohöl aus, dazu kommen noch
weitere «unsichtbare» Ölmengen, die auf bis zu 1.8 Millionen Tonnen im Jahr geschätzt werden und bei der Deckreinigung oder der Wartung der Motoren ins Meer gespült werden. Die Container auf den Frachtschiffen sind häufig ungenügend gesichert, sodass sie nicht nur bei einer Havarie ins Meer fallen, oft reicht ein Sturm aus. Doch richtig Schmerzen bereitet das den Reedereien nicht — die Versicherung übernimmt ja den Schaden. Von den Millionen Containern, die jährlich über die Meere geschifft werden, werden lediglich zwei bis höchstens 10 Prozent von den Zollbehörden kontrolliert, weshalb niemand wirklich weiss, welche Güter in herrenlosen Containern, die vom Schiff gefallen sind, auf dem Meer herumtreiben; von Autos über Drogen und Waffen bis zu giftigsten Chemikalien ist alles möglich. Rund 60 000 Handelsschiffe sind auf den Weltmeeren unterwegs, fast 90 Prozent aller Exportwaren werden per Frachtschiff transportiert.
Die Arbeiten von Luigi Archetti in dieser STRAPAZIN-­Ausgabe haben nichts mit dem Thema Schifffahrt zu tun. Vielmehr möchte ich hier und jetzt und auch in Zukunft Künstler*innen und Zeichner*innen Platz geben, die sich nicht zwingend im Narrativen bewegen, die gleichzeitig aber mit gezeichneten, konstruierten Bildwelten starke Impulse an uns weitergeben. Deshalb gebe ich dem Künstler, Performer und Musiker Luigi Archetti hier eine Carte Blanche.
Roli Fischbacher

 
 

DAS GESCHRIEBENE WORT

Wolfgang Bortlik

Als es noch etwas wärmer war, begab ich mich hin zur Feier des 60. Geburtstags einer klugen und schönen Frau. Dort traf ich auf allerhand Menschen, die dem geschriebenen Worte sehr zugetan waren. Wie von selbst kam das Gespräch auf das entscheidende Lese-Erlebnis des Lebens. Alle Frauen, ja wirklich alle, tutte le bellezze, sie kamen mit Marcel Proust daher. Dieser Langweiler! Es war zum Haaröl­seichen.
Bei den Männern war es differenter. Einer meinte, James Joyce hätte ihn beglückt, einem anderen galt Dostojewski als Säulenheiliger und ein dritter versteifte sich auf Charles Bukowski. Dieser Mann verfügte allerdings über keine germanistische Grundausbildung. Ich ja auch nicht, und so verwunderte es mich nicht, dass die klugen Damen und der Joyce-Fan sorgenvoll das Haupt schüttelten, weil ich den sozialistischen Realismus als meine erfreulichste und gewinnbringendste Lebenslektüre erwähnte.
Im mittleren Alter, so nach 30, schon Nähe 40, wo man sich fürs Leben selbst hingebogen hat und langsam vernünftigen Boden unter den geflügelten Füssen kriegt, da hatte ich diese Literatur verschlungen.
Tolle Romane, in meinem Sinne politisch korrekt, also mehr oder weniger linksradikal, spannend, interessant geschrieben, ohne nervende Innerlichkeiten, mit Revolte-Garantie und ohne Bullshit. Solch Gehalt war der hohen schweizerischen Germanistik selbstverständlich verdächtig.
Auf die Frage hin, wen ich denn als Autor*in wählen würde, fiel mir als Erstes B. Traven ein.
Lange bevor ich seinen Roman Das Totenschiff gelesen hatte, war ich der Abenteuerliteratur verfallen. Dort gab es schon viele Schiffe, die in der rauen See vor Kap Hoorn oder im Polareis verdarben; Schiffe, die es edlen Freibeuter*innen ermöglichten, gegen die etablierte Macht zu rebellieren; Schiffe mit geblähten Segeln, deren Crew nach erfolgreichen Meutereien einsame Inseln entdeckte und dort das Paradies auf Erden verwirklichte.
Auf Traven war ich wegen seiner geheimnisvollen Biographie und seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik 1919 gestossen. Zu jener Zeit hiess er noch Ret Marut, gab die Zeitschrift Der Ziegelbrenner heraus und war in allerhand revolutionäre Machenschaften verwickelt. Er versteckte sich sein Leben lang hinter Namen und Rollen, ging ins Exil nach Mexiko und wurde dort zum Schriftsteller B. Traven und zu einem Bestsellerautor, dessen Bücher in mehr als 24 Sprachen übersetzt wurden und eine geschätzte Gesamtauflage von 30 Millionen Exemplaren erreicht haben.
Das Totenschiff ist laut Traven das Gegenteil eines Abenteuerromans. In der ersten Hälfte geht es auch keineswegs um die Seefahrt. Der Protagonist, ein amerikanischer Seemann namens Gales, verpasst im Puff in Antwerpen die Abfahrt seines Schiffs und steht gänzlich ohne Papiere da. Jetzt ist er keine Person mehr, sondern ein Nichtvorhandener und wird deshalb über die Grenzen geschoben, eingebuchtet, kurzum, der Status des Sans Papiers wird in seiner ganzen absurden Unmenschlichkeit gezeigt. Als Gales endlich wieder auf einem Schiff anheuern kann, ist dies ein Seelenverkäufer, ein Totenschiff mit dem Namen Yorikke, das nur noch ausläuft, um unterzugehen, damit die Besitzer die Versicherungsprämie kassieren können.

Gerne hätte ich am eingangs erwähnten Geburtstagsfest noch weiter über die hybrid-revolutionäre Rolle des Schiffes und seiner Besatzung als sozialer Körper referiert, beispielsweise über die historische Rolle der Piratinnen. Denn wo immer die Unterdrückung regiert und die Rebellion marschiert, da gehen die Frauen voraus. Aber Monsieur Proust hatte mir etwas den Wind aus den Segeln genommen.
Vor einigen Jahren ist ein schmales Bändchen erschienen mit dem Titel Das Meer gehört uns. Piratinnen und andere Seefrauen. Darin gibt es erbauliche Geschichten über Königinnen des Meeres in der Antike und über stolze Wikingerinnen, auch vom berühmten Pirat*innenpaar Anne Bonny und Mary Read wird erzählt, oder von Lady Killigrew, die noch mit 78 Jahren aktiv ein Piraterie-Familienunternehmen anführte – bis hin zu chinesischen Freibeuterinnen, die bis ins 20. Jahrhundert aktiv waren.
Das Leben all dieser Seefrauen stellt eine persönliche Unabhängigkeitserklärung dar, auch wenn es die unterschiedlichsten Motive waren, die die einzelnen Frauen zur Seefahrt brachten. Mal galt es, einer ungewollten Ehe zu entkommen (Anne Bonny) oder Rache zu nehmen (Madame de Clisson) … in die von Männern geschriebene Geschichte gingen sie in der Regel als «seltsame Nonnen», «rasende Furien» oder «Megären» ein. So die Verfasserin Helga Helsper.

Am erwähnten Geburtstagsfest ging es selbstverständlich auch um populäre Musik, die den individuellen Lebensweg beeinflusst hatte. Und auch da gab es bei den Damen den grössten gemeinsamen Nenner: Leonard Cohen. Ich schluckte leer. Mir war der Mann schon immer als verkappter Schnulzensänger verdächtig gewesen. Und so trieb es mich, weibliche Stimmen in die Diskussion zu werfen. Ich erwähnte also Sandy Denny, Jacqui O’Shea und Maddy Prior, die drei grossen Sängerinnen des englischen Folkrocks der 1960er/70er-Jahre. Die kannte zwar keiner, aber egal.
Was das nun mit Schiffen zu tun hat? Tja, Pentangle, die Band, in der Jacqui O’Shea sang, hatte auf ihrer LP Cruel Sister (1968) ein wunderbares Lied über Lord Franklin, den auf der Suche nach der Nordwestpassage im Eismeer verschollenen Entdecker, eine Ballade, die mich heute noch zu Tränen rührt.

Through cruel hardships they mainly strove,
Their ship on mountains of ice was drove.
Only the Eskimo in his skin canoe
Was the only one that ever came through.

Lord John Franklin (1786—1847) war einer von den Barrow’s Boys. Ich muss da etwas ausholen. John Barrow, Zweiter Sekretär der Englischen Admiralität startete im Jahre 1816 ein ehrgeiziges Entdeckungsprogramm. Es gab ihm eindeutig zu viel Terra Incognita, zu viele weisse Flecken auf der Weltkarte, und vor allem wollte er diese unbekannten Territorien unter der Fahne des britischen Weltreichs wissen.
Fortan irrten seine Leute auf Expeditionen in Afrika herum, etwa um den Verlauf des Flusses Niger zu kartografieren. Oder sie suchten per Schiff eine Durchfahrt zwischen Kanada und dem Nordpol, die sogenannte Nordwestpassage, um schneller nach Ostasien zu gelangen. Es war nicht immer sehr heldenhaft, was da geschah und schlussendlich war abscheulicher Kolonialismus das Ziel.
John Franklin wurde berühmt als «der Mann, der seine Stiefel ass». Als er einmal ohne grosses Schiff in Nordkanada unterwegs war, um die Küstenlinien zu vermessen, ging so ziemlich alles schief und die Expedition verhungerte fast. Franklin schrieb darüber einen Bericht, der zu einem Bestseller in England wurde. Er heiratete eine Dichterin, die bald starb, mit seiner zweiten Frau Jane ging er nach Australien, um dort, in der britischen Sträflingskolonie, den Job des Gouverneurs zu übernehmen. Die Schiffe vermisste er schwer.
Und so kriegte er, zurück in England, wieder einen Job als Commander; einerseits, um die vermaledeite Nordwestpassage zu entdecken und zu durchfahren, vermutlich aber auch, um den magnetischen Nordpol zu entdecken.
Nach übereinstimmender Meinung der Zeitgenoss*innen wie auch der Historikerschaft waren die beiden Schiffe mit den Namen Erebus und Terror die bestausgerüstete Expedition, die Grossbritannien jemals verlassen hatte. Im Mai 1845 ging es los. Franklin selbst beschreibt in seinen Briefen die gute Stimmung an Bord. Im Juli 1845 fahren sie von Grönland aus ins Eis, und dann wird es still. Erebus und Terror stecken fest, verschwinden.
Sehr genau beschreibt Michael Palin, bekannt als Mitglied von Monty Python’s Flying Circus diese «Entdeckungsreise» und dann die Suche nach der Erebus sowie all die politischen Geschehnisse und Intrigen rundherum.
Im deutschen Sprachraum wurde Lord Franklin durch den höchst erfolgreichen Roman von Sten Nadolny Die Entdeckung der Langsamkeit bekannt. Es ist eine Biographie des kühnen Seefahrers, die auf der Annahme basiert, dass er durch seine verlangsamte Aufnahmefähigkeit durchdachtere Pläne machte und Auswege fand. Ich kann mir den grossen Erfolg dieser Schrift nur dadurch erklären, dass 1983, in dem Jahr, in dem die Originalausgabe erschien, die Leute endlich genug hatten von seelischen Entwürfen und sich gerne wieder in grosse Geschichten verbeissen wollten. In diesem Sinne ist Nadolnys Roman immer noch eine hervorragende Lektüre, auch weil er dem merkwürdigen, eher beleibten, ganz und gar uneleganten Lord Franklin mit kritischer Sympathie begegnet. Und wer, wie Franklin, eine Dichterin wie Eleanor Porden liebt, der kann kein schlechter Mann sein.

PLAYLIST:

B. Traven: «Das Totenschiff»
Diogenes Taschenbuch, 320 S.
Softcover, CHF 16.90 / € 12

Jan-Christoph Hauschild: «Das Phantom. Die fünf Leben des B. Traven».
Edition Tiamat, 320 S.
Hardcover, CHF 32.90 / € 24

Helga Helsper: «Das Meer gehört uns. Piratinnen und andere Seefrauen»
Unionsverlag 1997, offiziell vergriffen, müsste antiquarisch noch erhältlich sein.

Michael Palin: «Erebus. Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit grösste Rätsel auf See»
Goldmann Taschenbuch, 464 S.
Softcover, CHF 23.90 / € 14

Fergus Fleming: «Barrow’s Boys. Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern»
Mareverlag, 600 S.
Softcover, CHF 28.90 / € 18

Sten Nadolny: «Die Entdeckung der Langsamkeit»
Piper Taschenbuch, 384 S.
Softcover, CHF 18.50 / € 12

 
 

DAZZLE

von Christoph Schuler

Tarnungen und Täuschungen gehören mindestens seit dem Trojanischen Pferd zum Krieg wie Schild und Schwert. Krieger*innen versteckten sich hinter Bäumen und Gebüschen, bemalten sich die Gesichter und steckten sich Zweige ins Haar oder auf den Helm. Moderne Soldat*innen werden je nach Jahreszeit in grünbraune oder schneeweisse Anzüge gesteckt, und die unzähligen Bunker und Festungswerke in den Schweizer Alpen sehen aus wie Felswände oder harmlose Chalets. Diese Anpassung an die Umgebung und ihre Farbe funktioniert durchaus, bei Kriegsschiffen jedoch, und um diese geht es hier, ist die Sachlage etwas komplizierter.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurden die Briten von der Kampfkraft der deutschen U-Boote überrascht, die täglich mehrere ihrer Kriegs- und Handelsschiffe versenkten. Was war zu tun? Verschiedene Künstler, Naturforscher und Erfinder hatten Vorschläge, wie man Schiffe tarnen könnte: Mit Spiegeln verkleiden, als riesige Walfische bemalen oder sie mit Segeltuch wie Wolken aussehen lassen. Thomas Edison schlug gar vor, Bäume auf den Schiffsdecks zu pflanzen, damit sie wie bewaldete Inseln aussehen würden. Lustig, aber nicht wirklich umsetzbar. Interessanter und praktikabler schien die Idee von Norman Wilkinson, einem durchaus konventionellen Maler von Seestücken; sein grossformatiges Ölbild des Hafens von Portsmouth z.B. ging mit der Titanic unter. Fern von moderner avantgardistischer Ästhetik hatte Wilkinson sowohl ein profundes Verständnis für Perspektive als auch Beziehungen zur Admiralität und den Handelsschifffahrtsbehörden. Bei Kriegsausbruch hatte er sich bei der Royal Navy gemeldet, 1917 befehligte er ein Patrouillenboot und machte sich Gedanken, wie man Schiffe vor U-Booten schützen könnte.
Da es unmöglich war, die meist grau gestrichenen und gewaltige Rauchsäulen zum Himmel blasenden Schiffe der stets wechselnden Umgebung anzupassen, kam Wilkinson die vielleicht von der Mimikry von Zebras inspirierte Idee, sie absichtlich gut sichtbar zu machen, und zwar mittels Farbanstrichen, mit denen die Form der Schiffe aufgebrochen werden sollte, um die deutschen Torpedoschützen an den Periskopen zu verwirren, auf Englisch «to dazzle».
Mit der manchmal geometrisch, manchmal wellenförmig ausgeführten Dazzle-Bemalung sollte die Grösse, die Fahrtrichtung, die Geschwindigkeit und die Distanz der Schiffe für Angreifer schwer einschätzbar werden. Erst wurde der Künstler von vielen als verrückt erklärt, doch nachdem es ihm gelungen war, den damaligen König George V., ein erfahrener Marineoffizier, von dieser Art der Tarnung zu überzeugen, durfte er verschiedene Schiffe bemalen. Die Royal Academy of Arts stellte vier Ateliers zur Verfügung und Wilkinson machte sich mit einem Team von fünf Malern, drei Modellbauern und 11 Kunststudentinnen (eine von ihnen heiratete später Wilkinson) ans Werk, die die Modelle von Hand bemalten. Wilkinson und seine Künstler*innen skizzierten die Entwürfe zunächst auf Papier und malten sie dann auf kleine Holzmodelle, die sie in einer simulierten Meereslandschaft in einem Guckkasten mit Sehrohr platzierten, wo sie bei variierenden Lichtverhältnissen betrachtet werden konnten. Erfolgreiche Designs wurden von Kunststudent*innen ausgeführt und dann von Maler*innen auf die im Trockendock liegenden Schiffe übertragen. Im Juni 1918 waren rund 2300 britische Schiffe bemalt, am Ende des Krieges waren es über 4000.

Um ein fahrendes Schiff aus einer Entfernung von oft über einem Kilometer zu treffen, musste ein Torpedoschütze genau vorhersagen können, wo sich Torpedo und Ziel treffen würden, dafür hatte er weniger als 30 Sekunden Zeit, da er sonst riskierte, dass das Periskop entdeckt wurde. Deutsche U-Boote konnten damals höchstens 12 eher langsame und teure Torpedos mitführen, also musste der Kanonier gleich beim ersten Mal richtig zielen.

Wilkinson verwendete breite Streifen kontrastreicher Farben, die über die Seiten des Schiffes gemalt wurden und damit eine falsche Bugwelle vorgaukelten, die das Schiff kleiner erscheinen liess, oder die Fahrtrichtung verwischte. Das Unterbrechen der durchgehenden Linie von Bug zu Heck erschwerte es, zu erkennen, wo vorne oder hinten ist, wo das Schiff tatsächlich endet oder ob es eher zwei Schiffe sind.

Bald interessierten sich auch die Amerikaner für Wilkinsons Entwürfe. Er verbrachte fünf Wochen in den USA bei Everett Warner, einem Offizier der Marinereserve und impressionistischen Künstler, auch er absolut ohne Bezug zur Avantgarde-Kunst. Warner fand zwar erst, dass Wilkinson nicht wisse, was er tut, und dass das, was er tut, ziemlich willkürlich sei. Aber bald entwarfen sie zusammen Designs: Breite Streifen und Kurven in Weiss, Schwarz, Grün und Blau, oft stachelig und zackig. Zeitgenössische amerikanische Journalist*innen bezeichneten die so bemalten Schiffe als «Alptraum eines Futuristen» und «schwimmende kubistische Gemälde», aber auch als «besoffene Schlangen» oder als «Mischung aus einer Dampfkesselexplosion und einem Eisenbahnunfall».
Auch die Marine davon zu überzeugen, dass Dazzle mehr als nur Spass ist, war schwierig. Erfahrene Marineoffiziere und altgediente Schiffskapitäne waren nicht erfreut, dass ihr makelloses Schiff mit diesen «lächerlichen Schnittmustern» bemalt werden sollte. Die auffällige Bemalung untergrub ihren Sinn für militärische Ordnung. Die Schiffe wirkten so wild, dass man begann, sie «Jazz»-Schiffe zu nennen, nach dem damals allmählich auftauchenden Musikstil. Aber Warner, der mit wissenschaftlicher Strenge versuchte zu verstehen, bestand darauf, dass Dazzle auf geometrischen Prinzipien der visuellen Unterbrechung und Proportion beruhte, und nicht das Werk einer Gruppe durchgeknallter Kubisten war.
Dass Dazzle eine grosse Ähnlichkeit mit aufkeimenden Kunstströmungen hatte, entging auch den Künstlern nicht – Pablo Picasso soll einst gegenüber Gertrude Stein behauptet haben, Dazzle sei ursprünglich seine Idee gewesen. Eher gebührt diese Ehre Marcel Duchamp, dessen damals vielgeschmähtes Gemälde «Nu descendant un escalier no. 2» verschiedene Elemente der Dazzle-Malerei enthält, nämlich Auflösung einer Figur in konische und zylindrische Elemente und Verwendung verschiedener Perspektiven im selben Bild. Duchamps Bild, das 1913 anlässlich der Armory Show in New York gezeigt wurde, war für die Zeitungen ebenso ein Objekt des Spottes wie die Dazzle-Bemalungen der Schiffe, schon bald aber tauchten die Dazzle-Muster auf Badeanzügen, Kleidern und Autos auf, es gab Dazzle-Bälle und Dazzle-Songs.
Ob wissenschaftlich fundiert oder nicht – es ist schwierig festzustellen, ob Dazzle tatsächlich funktioniert hat. Die Statistiken sind nicht sehr aussagekräftig: In den ersten sechs Monaten von 1918 wurden 72 Prozent der getarnten Schiffe versenkt oder beschädigt, im Vergleich zu 62 Prozent der nicht getarnten, im zweiten Halbjahr 1918 endeten 60 Prozent der Angriffe auf bemalte Schiffe mit einer Versenkung oder Beschädigung, verglichen mit 68 Prozent der nicht bemalten. Man kam zum Schluss, dass Dazzle zwar nicht schadet, aber auch nicht hilft.
Letztlich war es auch egal, ob Dazzle tatsächlich funktionierte oder nicht: Die Versicherungsgesellschaften waren der Meinung, dass sie funktionierte und senkten deshalb die Prämien für Dazzle-Schiffe. Gleichzeitig stellte die Admiralität in ihrer Untersuchung fest, dass die Moral auf bemalten Schiffen höher war als auf nicht bemalten, selbst wenn sie nicht funktionierte.
Auch wenn der Einfluss von Dazzle auf die Seekriegsführung nur gering war, ist der Einfluss auf Kunst und Kultur auch heute noch sichtbar. Dazzle war zwar funktional, aber es war auch Teil der Welle von Futurismus, Kubismus, Expressionismus und abstrakter Kunst, die die jahrhundertelange Dominanz der gegenständlichen Kunst untergrub.

Quellen:
Nicholas Rankin:
«A Genius For Deception: How Cunning Helped the British Win Two World Wars»
Oxford University Press

Linda Rodriguez McRobbie:
«When the British Wanted to Camouflage Their Warships, They Made Them Dazzle»
Smithsonian Magazine

David Williams:
«Naval Camouflage 1914—1945»
Chatham Publishing

Roy R. Behrens:
«Blend And Dazzle: The Art of Camouflage»
Print Magazine

 
 

PFLICHT LEKTüRE


Hanna Harms: «Milch ohne Honig»

Honig und Asphalt

Dass Menschen ihre Milch ohne Honig trinken müssen, gehört in einer Welt ohne Bienen noch zu den geringsten Unannehmlichkeiten. Weit problematischer wäre zum Beispiel, dass Ernten geringer oder ganz ausfallen. Stellvertretend für viele Arten bestäubender Insekten, deren Fortbestand ebenfalls bedroht ist, fliegen die Bienen durch Hanna Harms’ Comic Milch ohne Honig. Von einer «Insektendämmerung» spricht der Bienenexperte Jürgen Tautz vom Biozentrum der Universität Würzburg in seinem Nachwort zu Harms’ Sachcomic.
Die Fakten, die Hanna Harms präsentiert, sind nicht neu. Dass Insektizide, versiegelte Flächen, Steingärten, blütenfreie Rasen und anderes Menschgemachte zum Aussterben von Bienen und anderen Insekten und damit zur Zerstörung unseres Ökosystems führt, das ist bekannt. Ungewöhnlich ist aber, wie Hanna Harms dieses Thema in Milch ohne Honig, ihrem Bachelorprojekt an der Münster School of Design, visuell umsetzt: Mit Bleistift, Buntstift und Gouache zeichnet und malt sie fragil wirkende Bilder, deren honig- oder giftgelben Flächen, Weissraum und Asphalt- und Abgasgrau ästhetisch die Balance halten. Eine Fläche aus unterschiedlich gemusterten Feldern in Gelb und Anthrazit verbildlicht zum Beispiel die Intensivlandwirtschaft, die mit Monokulturen und Pestiziden die Lebensräume von Honigbienen, Wildbienen, Hornissen, Wespen, Käfern, Schmetterlingen oder Fliegen zerstört. Zarte Panels zeigen eine Blüte aus dünnen Bleistiftlinien, in der eine schwarzgelbe Biene Nektar trinkt, während gelber Pollenstaub um sie herumzuwirbeln scheint. Auf der folgenden Seite steht ein einziges kleines Panel, in dem rechts oben eine Biene Richtung Rand fliegt, darunter steht: «In Farbe gekleidet, tritt die Biene den Heimweg an».
Aus der Verbindung der oft reduzierten Zeichnungen und der knappen, manchmal fast wie in Verse gefassten Worte entsteht Poesie. Indem Hanna Harms das Schlaglicht auf die Biene als Stellvertreterin setzt, zeigt sie die weitreichenden Auswirkungen, die das Schicksal eines kleinen Insekts haben kann.
Übrigens — das soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben — betont der Verlag die um­welt­freundliche Herstellung und Ausstattung des Buches sowie die Kompensierung von CO2-­­­Emis­sionen, die beim Druck entstanden sind.
Barbara Buchholz

Hanna Harms: «Milch ohne Honig»
Carlsen-Verlag, 112 S.
Hardcover, farbig
CHF 31.90 / € 20

Luka Lenzin: «Nadel und Folie»

Eine andere Wirklichkeit

«Ich muss die gesammelten Splitter mit meiner Sprache zusammenführen, um die Stimme dieser Menschen zu erheben», erklärt der Protagonist im Prolog zu Luka Lenzins autobiografischer Graphic Novel Nadel und Folie. Sprachlose sind die Drogenkonsument*innen Hamburgs, die den Alltag des Protagonisten bestimmen: «Eine gemeinsame Wirklichkeit bringt sie als Klientel zur Beratungsstelle: die Stoffe.» Diese Wirklichkeit hat Luka Lenzin in der fast zehnjährigen Arbeit in einer Hamburger Drogenberatungsstelle kennengelernt und gibt sie nun ungeschönt an die Leser*innen weiter, denen diese Welt unbekannt ist: «Dir erzähle ich sie, denn ich bin hier und du bist dort draussen.»
Der Alltag in der Drogenberatung wird in seiner Drastik, aber auch seinen absurden Situationen gezeigt, und beschreibt eine Normalität im Umgang, die mit den regelmässigen Polizeieisätzen gegengeschnitten wird, die eskalieren, was vorher unter Kontrolle war. Die Welt der Drogen steht im Mittelpunkt von Nadel und Folie, doch das Buch ist mehr als lediglich ein Einblick in eine für viele unbekannte Welt, es ist gleichzeitig eine Kulturgeschichte des Drogenkonsums, eine Kritik an der aktuellen Drogenpolitik sowie ein Plädoyer für das emanzipatorische Potential des Rauschs: «Das passt doch zu deiner Idee, dass die beste Form von Kritik das Fantasieren von Lebenswelten sei, die so unwiderstehlich sind, dass die Leute sagen, da möchte ich hin und nie wieder zurück», heisst es einmal in einem Gespräch. Unvoreingenommen lässt sich Lenzin auf die Biografien ein, die er kennenlernt, und in denen Drogen eine zentrale Rolle spielen. Und diese Unvoreingenommenheit wird auch von den Leser*innen eingefordert, in Diskussionen zwischen den Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle werden etwa Möglichkeiten der Legalisierung diskutiert: «Wie wär’s denn mit Zulassungsverfahren: Drogenherstellende legen ein Nutzen-Risiko-Verhältnis dar, wie Pharmahersteller eben auch.» Eindeutige Antworten werden nicht formuliert, aber es wird deutlich, dass die aktuelle Drogenpolitik in Deutschland an der Realität, wie Luka und seine Kolleg*innen sie Tag für Tag erleben, vollständig vorbeigeht.
Die als Tiere gezeichneten Figuren, oftmals skizzenhaft aufs Papier geworfen, unterlaufen auf den ersten Blick die Zuordnung — oder Zuschreibung — als Mitarbeiter*in oder Konsument*in, und unterlaufen so auch einen eventuellen voyeuristischen Blick. Dieser andere Blick auf Geschichte und Gegenwart des gesellschaftlichen wie auch individuellen Umgangs mit Drogen wirkt lange nach.
Jonas Engelmann

Luka Lenzin: «Nadel und Folie»
Reprodukt, 168 S.
Softcover, s/w
CHF 36.90 / € 24

Erwin Dejasse: «Art Brut et bande dessinée»

Comics Brut

Je nach Standpunkt unterscheidet sich die Beziehung zwischen Comic und Art Brut diametral: Unüberbrückbar wirkt der Gegensatz, wenn der Comic als kommerzielles Massenmedium dem zumeist isolierten, selbstbezogenen brutistischen Schaffen gegenübergestellt wird. Von vielen mehr oder weniger heimlichen Verwandtschaften ist ihre Beziehung im Gegenteil geprägt, wenn der Fokus auf die Neigung der Art-Brut-Künstler*innen zu narrativen Bildern und Bildfolgen gelegt und gleichzeitig auch die Entwicklung des Comics zu individuellen, unkommerziellen Haltungen betrachtet wird. So gesehen, erstaunt an der von der Collection de l’Art Brut in Lausanne kuratierten Ausstellung Art Brut et bande dessinée und am gleichnamigen Katalog eigentlich nur, dass es so lang gedauert hat, bis diese Verwandtschaften aufgearbeitet wurden.
Der Katalog fokussiert sich ganz auf Art Brut mit einer offensichtlichen Affinität zur Welt der Comics: Die meisten Künstler*innen lassen sich unübersehbar von der Welt der Comics, von ihren populären Ikonen, ihren formalen und narrativen Codes inspirieren — und schaffen daraus sehr eigene, unvergleichliche, ebenso sperrige wie unterhaltsame Bildergeschichten. Die interessantesten Bezüge liegen im Erzählerischen — während sich die bildende Kunst, wie der Kurator Erwin Dejasse schreibt, in ihrer Entwicklung hin zu Abstraktion und Konzeptualisierung von der Narration abwandte, setzten Comic und Art Brut die Tradition des narrativen Bilds und der Bildfolge fort — und behandeln Text und Bild gleichberechtigt.
Der Amerikaner Henry Darger (1892-1973) etwa entwarf in seinem über 15’000 Seiten langen Bilderzyklus The Story of the Vivian Girls einen einmaligen, bizarren Kosmos um kriegerische Mädchen. Nach seinem Tod entdeckt, machte diese Arbeit ihn zu einem Star der Outsider Art. Auf der anderen Seite steht der auch als Musiker bekannte Daniel Johnston (1961-2019), der in krakeligen Zeichnungen gerne Superhelden inszenierte und mit witzigen Texten ironisierte. Dazwischen ist viel möglich, wie die insgesamt 32 porträtierten, mehrheitlich männlichen Künstler*innen aus den USA, Europa und Japan sichtbar machen. Ein kluger, kurzer Essay und kurze Künstler*innen-Porträts kontextualisieren die eigenwilligen Bildwelten — leider sind die Texte nur auf Französisch abgedruckt.
Art Brut et bande dessinée ist ein längst notwendiges Projekt — ein echter Augenöffner.
Christian Gasser

Erwin Dejasse: «Art Brut et bande dessinée»
Atrabile, 160 S.
Hardcover, Farbe
CHF 39 / € 35
Die Ausstellung in der Collection de l’Art Brut in Lausanne dauert noch bis zum 26. Februar 2023. Infos:
artbrut.ch

Ege Avci: «Im Schatten der Filzkutte»

Ein Langstreckenlauf

Es ist eine raue, ruppige Welt, in der Ilker aufwächst. Viel wird geflucht, geschimpft, gestritten. Eine rosige Zukunft ist nicht in Sicht. Soziale Aufstiege sind rar in dem kleinen Kaff in der Westtürkei, wo Ilker lebt.
Ilker hat Talent. Er gehört zur lokalen Läufergruppe, und wenn er Erfolg hat, könnte er an einer grossen Universität studieren. Verlassen kann er sich auf niemanden — sein Trainer betrügt ihn, sein bester Freund versinkt im Drogenmilieu, und seine Freundin geht mit einem anderen. Zuhause läuft es auch nicht rund, sein Vater brach einst auf, um Fussballprofi zu werden, zurückgekommen ist er als desillusionierter Trinker mit einer gebrochenen Ehefrau. Als Trainer der lokalen Fussballelf verliert er jedes Spiel. Sein Bruder verzeiht ihm nicht, dass er Vater und Hof im Stich liess. Zuletzt verpufft selbst die Hoffnung, durch Landverkauf ans grosse Geld zu kommen, und die kleine Welt Ilkers droht komplett zu zerbrechen.
Was Ilker den Rücken stärkt, ist sein Realismus; als Läufer träumt er nicht von den grossen Siegen. Er weiss, dass sein Weg von so vielen Widrigkeiten gesäumt ist, dass er niemals ganz aus dem Schatten seiner Herkunft laufen wird. «Beim Laufen läufst du nur für die kleinen Momente», sagt er und begibt sich auf einen Weg, der ihn vielleicht mit vielen kleinen Schritten aus dem Sumpf hinausführt.
Avci erzählt ebenso schnörkellos wie fliessend. Auf rasante Sequenzen folgen ganzseitige Panoramen, die die Situation reflektieren. Nur am Ende, als sich die Ereignisse überstürzen, wird die Lektüre etwas erschwert, da sich die Gesichter von Avcis Figuren nicht so gut unterscheiden lassen.
Im Schatten der Filzkutte ist die erste Graphic Novel des türkischen Zeichners Ege Avci auf Deutsch. Herausgegeben hat sie der Berliner Interdictum Verlag, der Bücher und Graphic Novels sowohl in der Originalsprache als auch auf Deutsch veröffentlicht.
Im Schatten der Filzkutte erinnert an sozialkritische Graphic Novels aus England (etwa an die auch auf Deutsch erschienenen Fleetway-Comics Zerrissene Herzen und Skin), wo Ege Avci derzeit die Serie Robyn zeichnet. Auf explizite Bezüge zur aktuellen Politik in der Türkei verzichtet Avci. Dafür stellt er eine türkische Lebensrealität vor, die Westeuropäer*innen wenig vertraut ist, die jedoch viel darüber aussagt, weshalb Menschen aus gewissen Regionen abwandern.
Florian Meyer

Ege Avci: «Im Schatten der Filzkutte»
Interdictum, 192 S.
Hardcover, farbig
CHF 48 / € 29.95


Gipi: «Besondere Momente mit falschem Applaus»

Kompliziertes Denken

Gipi beweist seine Meisterschaft schon seit vielen Jahren in zahlreichen, vielfach ausgezeichneten Comics wie 5 Songs, Mein schlecht gezeichnetes Leben oder dem düsteren Die Welt der Söhne. Sein neustes, autofiktional anmutendes Werk Besondere Momente mit falschem Applaus ist nicht annähernd so düster wie das dystopische Die Welt der Söhne, auch wenn die wie ein Stream of Consciousness fliessende Erzählung dystopische Momente enthält. Es beginnt mit einer Weltraum-Szene, in der sich Kosmonauten auf einem Planeten verirren, geht über zu einem Kriegsfilmdreh in der Normandie, und weiter in die Erinnerungen des Protagonisten an den Vietnamkrieg. Später sitzt ein Mann in einem Hotelzimmer und guckt sich eine Doku über die Kriegsfilm-Dreharbeiten an; es ist Landi, ein erfolgreicher Stand-Up-Comedian, der vor dem Fernseher sitzt — unser Protagonist. Zwischen seinen Auftritten denkt er an seine im Sterben liegende Mutter, telefoniert mit seiner Frau, und versucht, seine Gedanken zu sortieren. Doch so richtig will das nicht gelingen.
Wir als Leser*innen werden dank Gipis Erzählkunst immer mehr in Landis Gedanken- und Gefühlschaos hineingezogen. Schnell wechseln die Erzählebenen, wenn sich ein neuer Gedanke assoziativ entfaltet oder sich die Ebenen bis hinein in Landis Alltagswirklichkeit erstrecken. Hier vergisst er einen Auftritt, dort erscheint ihm mitten in einem Gespräch sein kindliches Ich, das ihn als Angestellten des «Amts für Verkomplizierung einfacher Sachverhalte» bezeichnet. Übersprungshandlungen sind an der Tagesordnung und für Landi eine Überlebensstrategie. Als Leser*in wird man von diesen Sprüngen hin- und hergeschleudert, bis sich langsam aus den einzelnen Erzählsträngen ein Psychogramm entwickelt, das nicht ohne Widersprüche, aber dennoch nachvollziehbar versucht, eine Figur im emotionalen Extremzustand zu erfassen. Dass dieser Schleuderkurs ein Hochgenuss für die Leser*innen ist, verdankt der Comic nicht nur Gipis komplexer Erzählkunst, sondern auch seinen grossartigen Zeichnungen, mit denen er auf allen Ebenen brilliert, denn jeder Handlungsstrang ist in einem anderen Zeichenstil gehalten.
Christian Meyer-Pröpstl

Gipi: «Besondere Momente mit falschem Applaus»
Avant-verlag. 176 S.
Hardcover, farbig
CHF 44.90 / € 30

Julie Doucet, «Time Zone J»

Die Rückkehr der Königin

Vor mehr als zwanzig Jahren, als Julie Doucet Mitte 30 war und viel Lob, Anerkennung und Preise für ihre Arbeit erhalten hatte, verkündete sie abrupt, dass sie keine Comics mehr machen würde. Ihre Beweggründe wurden erst Jahre später klar: «Ich habe mit Comics aufgehört, weil ich die Nase voll davon hatte», sagte sie dem Montreal Mirror. «Ich wünschte mir, dass meine Arbeit von einer grösseren Anzahl von Menschen als Kunst anerkannt würde, anstatt für den Rest meines Lebens mit dem Etikett Comic-Zeichnerin behaftet zu sein.»
Trotz ihrer langen Abstinenz in Sachen Comics wurde Doucet zu Beginn dieses Jahres mit dem Grand Prix de la Ville d’Angoulême ausgezeichnet, als erste kanadische Preisträgerin und eine der wenigen weiblichen Preisträgerinnen. Wie in Erwartung dieser Auszeichnung hat der Verlag Drawn and Quarterly gerade ihren neuen … Comic veröffentlicht.

Es ist schwer zu sagen, was genau Doucets neues Buch Time Zone J ist. Wenn du «Comic» als «eine Erzählung mit Text und Bildern, die Sprechblasen verwendet» definierst, dann passt das genau zu Time Zone J. Aber das Buch ist auch etwas ganz anderes; mit seiner Offenheit und der Mischung aus Fantasie und Realität hat Doucets Dirty Plotte in den 90er-Jahren die Messlatte für autobiografische Comics höher gelegt. Time Zone J fühlt sich an wie eine Herausforderung an das Medium Comic selbst, von einer Meisterin, die nach einem langen und erholsamen Urlaub zu dieser Form zurückgekehrt ist.
Time Zone J erzählt von einer Liebesbeziehung, die Doucet in den späten 1980er-Jahren hatte, als sie Mitte 20 war (sie und ich sind im selben Jahr geboren, daher fällt es mir leicht, die Chronologie nachzuvollziehen). Die Achtzigerjahre waren das Zeitalter der Zines, in dem Karikaturist*innen ihre Arbeiten per Post verschickten und oft direkt mit ihren Leser*innen korrespondierten (ich selbst habe damals mit Julie korrespondiert und besitze noch immer ihre wunderschönen, collagierten Briefe und Postkarten, die davon zeugen). Doucet entwickelte eine tiefe und besondere Beziehung zu einem ihrer Leser, einem schüchternen Soldaten in Frankreich, und dieses Buch erzählt die Geschichte dieser kurzen und intensiven Verabredung.
Die Geschichte selbst ist nicht so bemerkenswert — wer hat in seinen bzw. ihren Zwanzigern nicht schon einmal eine Amour fou erlebt? Time Zone J ist ein Leporello oder Akkordeonbuch: ein einziger durchgehender Papierstreifen, der zu fast 150 Seiten gefaltet ist und etwas an eine Tonbandkassette erinnert — wie das Kassettenband auf dem Buchcover. Die Achtzigerjahre waren auch das Zeitalter der Mixtapes, und das Buch liest sich wie eine lebhafte, kakophonische visuelle Playlist aus Doucets Erinnerung. Sie erzählt die Geschichte ihrer schicksalhaften Affäre in einer hypnotisierenden Form automatischen Zeichnens, mit dichten, fast zwanghaft überfüllten Bildern von Menschen und Erlebnissen aus ihrem Leben (oder ihrer Fantasie), durchzogen von wunderschönen Zeichnungen von Tieren, vor allem Vögeln, und begleitet von einem Chor von Julies um die 50 (manchmal ein Dutzend pro Seite), die von der Liebesaffäre und ihren Gefühlen dabei erzählen … sowohl damals als auch heute.
Die Lektüre von Time Zone J ist ein schwindelerregendes, emotionales, sinnlich-trunkenes Erlebnis — wenn man es überhaupt «liest», denn die Sprechblasen scheinen oft keiner Ordnung zu folgen (Doucet rät nicht gerade hilfreich: «Fang unten auf der Seite an.»). Dieses Kunstobjekt ist das ausgereifte Werk einer (Comic-)Meisterin, die ihre Anerkennung in Angoulême voll und ganz verdient hat; ganz egal, wie du das Buch nennen willst, es ist eine Rückkehr, die es zu feiern lohnt.
Mark David Nevins

Julie Doucet, «Time Zone J»
Drawn & Quarterly, in Englisch, 144 S.
Softcover, s/w
CHF 39.90 / € 29.90

Steve Coulson: «Summer Island»

Seeungeheuer und KI

Ein Fotojournalist erhält den Auftrag, Summer Island, eine entlegene Insel auf den schottischen Hebriden zu porträtieren, deren Bewohner*innen eigenartige Götzenbilder verehren. Aber sie nehmen ihn freundlich auf und lassen ihn an einer Prozession teilnehmen und fotografieren, die zu Ehren eines Seeungeheuers abgehalten wird. Doch dann merkt er, dass er nicht Zuschauer ist, sondern im Mittelpunkt eines Opferfestes steht … Autor Steve Coulson hatte für Summer Island vermutlich die Folk-Horrorfilme The Wicker Man oder Midsommar im Hinterkopf. Die Zeichnungen sind düster, wirken leicht verwaschen und fangen die konstante Anspannung des Protagonisten ein.
Bemerkenswert ist, dass Coulson gar kein Zeichner ist, lediglich ein begeisterter Leser der Neunten Kunst. Zeichnen könne er nicht gut genug, sagt er, darum hat er Midjourney zu Hilfe genommen. Midjourney ist eine Plattform für künstliche Intelligenz, die mittels eines Algorithmus Texte in Bilder umwandelt. Coulson hat die Bilder seiner Geschichte also nicht gezeichnet, sondern beschrieben und dann von KI umsetzen lassen. Für jedes einzelne Panel hat er an den einzelnen Sätzen so lange herumgefeilt, bis das künstlich erzeugte Bild seinen Vorstellungen entsprach. Was Midjourney nicht genau hinbekam, besserte er da und dort mit einem Zeichnungsprogramm nach.
Summer Island ist aktuell nicht der einzige KI-Comic. Künstlerin Kris Kashtanova hat ihre Geschichte gar urheberrechtlich schützen lassen. Die Qualität der KI-Bilder verbessert sich mit Programmen wie Midjourney oder Dall-E 2 rasant, und die Resultate erstaunen. Doch je länger, je mehr rücken urheberrechtliche und ethische Fragen ins Zentrum; wird die künstliche Intelligenz die Arbeit von Comic-Autor*innen ersetzen? Dürfen diese Programme geschützte Bilder aus dem Internet verwenden? Und wem gehören dann die Rechte? Und schliesslich: Sollen Maschinen unsere Fantasie übernehmen? Für manche ist diese Entwicklung der wahre Horror.
Giovanni Peduto
Steve Coulson: «Summer Island»
Campfire Entertainment LL, New York 2022
40 S., PDF oder epub, s/w
Kostenloser Download unter:
campfirenyc.com/summer-island

Powerpaola: «Virus Tropical»

Südamerikanisches Tagebuch

«Das muss ein tropisches Virus sein, Frau Gaviria. Sie können gar nicht schwanger sein», erklärt ein Arzt im Januar 1977 Hilda Gaviria. Doch der diagnostizierte «Virus Tropical» entwickelt sich in Powerpaolas gleichnamiger Graphic Novel anders als vom Mediziner angekündigt: Obwohl sie sich ein Jahr zuvor die Eileiter hat abklemmen lassen, ist Hilda Gaviria tatsächlich schwanger. Später im Jahr wird sie in Quito, Ecuador, die Zeichnerin zur Welt bringen, die in Virus Tropical einen autobiografischen Blick auf ihre Kindheit und Jugend wirft, auf die komplizierten Familienverhältnisse, aus denen sie stammt, und auf eine frühe wegweisende Entscheidung nach einem Urlaub bei ihrer erwachsenen Schwester Claudia auf Galapagos: «Claudia hatte mir Ölfarben geschenkt und ich beschloss, Künstlerin zu werden.» So wie der «Virus Tropical» sich gegen alle Wahrscheinlichkeit als Kind herausstellt, befreit sich Paola gegen alle Widerstände von den Erwartungen, die an sie herangetragen werden und verwirklicht spätestens mit dem im Original bereits 2010 in Argentinien erschienenen Virus Tropical ihren Kindheitstraum, Künstlerin zu werden.
Paolas Vater ist ein ehemaliger katholischer Priester, der die Familie früh verlässt und in seine Heimat Kolumbien zurückkehrt, während ihre Mutter alleine mit ihren drei Töchtern zurückbleibt, ihren Lebensunterhalt als Wahrsagerin bestreitet — sie liest die Zukunft von Mitgliedern der Oberschicht von Quito aus einem Dominospiel — und sich mit den Problemen der Kinder zwischen Drogen, Beziehungsstress und Zukunftsängsten herumschlagen muss. Die Töchter lernen früh, selbstständig zu sein und sich finanziell durchzuschlagen, insbesondere nachdem der naive Vater sämtliche Ersparnisse der Familie, die mittlerweile in Kolumbien lebt, den falschen Menschen anvertraut hat. «Ich spürte seit längerem, dass es Zeit für mich war, in die Welt zu gehen und mein Leben selbst in die Hand zu nehmen», lautet der letzte Satz in Virus Tropical, ein Aufbruch in die Welt, der auch bei Powerpaolas Vorbild Julie Doucet am Ende ihres New Yorker Tagebuchs steht, in dessen Verlauf sie sich nicht nur aus einer destruktiven Beziehung befreit, sondern auch ihren Weg als Künstlerin einschlägt. Eine Befreiung bildet auch Virus Tropical ab, weg von den Erwartungen an eine junge Frau ihrer Herkunft; gezeichnet in einem Stil, der das Unperfekte, die Suche in sich trägt und so stimmig den Inhalt des Albums unterstreicht.
Jonas Engelmann

Powerpaola: «Virus Tropical»
Parallelallee, 164 S.
Softcover, s/w
CHF 28.90 / € 19


Jeremy Holt, George Schall: «Made in Korea»

Androiden in der Pubertät

Jesse ist ein besonderes Adoptivkind. Sie sieht zwar aus wie ein Mensch und spricht auch so — doch besteht sie nicht aus Fleisch und Blut. Vielmehr ist sie ein technischer, lernfähiger Android, der sich im Alltag dank künstlicher Intelligenz wie ein Mensch verhält. Abnehmer*innen solcher intelligenter Maschinenkinder, wie sie Jeremy Holt (Szenario) und George Schall (Zeichnungen) in ihrer Graphic Novel Made in Korea vorstellen, sind kinderlose Paare.
Jesse ist die erste ihrer Art. Ihr Erschaffer, der südkoreanische Programmierer Chul, hat es heimlich geschafft, sie so zu programmieren, dass sie Selbstbewusstsein entwickelt. Bald schon studiert Jesse die Normen menschlichen Verhaltens, formuliert Ansprüche und beginnt, sich in Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung eine Identität anzueignen.
Doch das misslingt. Zu widersprüchlich sind die Signale, die Jesses menschliches Umfeld aussendet. Zwar erfährt Jesse von ihren US-amerikanischen Adoptiveltern Suelynn und Bill alle nur erdenkliche Förderung und Zuneigung, doch wird sie von zwei Jugendlichen fehlgeleitet, die bewaffnet eine Schule überfallen und Geiseln nehmen. Obwohl sich Jesses ethisches Bewusstsein durchsetzt und sie die Schulkinder befreit, wird sie nach Korea zurückgebracht und neu programmiert. Doch Jesse findet — gegen den Willen ihres Erschaffers — heraus, wie sie ihr Bewusstsein in einem erwachsenen, männlichen Androiden neu starten und zu ihren Eltern in die USA zurückkehren kann.
Mit einer dichten, teils kühlen und dann doch wieder herzlichen Erzählweise rollen Holt und Schall den Werdegang des Maschinenwesens Jesse und seiner Selbstbefreiung auf. Sie sprechen dabei Grundthemen des Zusammenlebens und der Persönlichkeitsentwicklung an; die Frage, wie Natur und Erziehung — oder Normalität und Anpassung — eine Persönlichkeit prägen, steht mindestens so sehr im Mittelpunkt wie die Frage, wie sich intelligente Technologien menschengerecht einsetzen lassen. Im innersten Kern handelt Made in Korea davon, wie jemand Identität und Zuhause in einem zunächst fremden Körper finden kann.
Beide Autor*innen verstehen sich als non-binär. Holt ist Drilling, wurde adoptiert und hat in Asien, Europa und Nordamerika gelebt. Schall kommt aus Brasilien und arbeitet in Barcelona. In diesem Sinn ist Made in Korea ein lesenswerter Beitrag zu neuen Ausdrucksformen geschlechtsneutraler Identitäten.
Florian Meyer

Jeremy Holt, George Schall: «Made in Korea»
Panini, 172 S.
Hardcover, farbig
CHF 43.90 / € 29

Hubert/Zanzim: «In der Haut eines Mannes»

In die Haut fahren

In der Haut eines Mannes ist das Vermächtnis des Zeichners und Autoren Hubert Boulard, der Anfang 2020 mit nur 49 Jahren gestorben ist. Gemeinsam mit Zanzim hat er ein scheinbar historisches Szenario ersonnen, das allerdings zahlreiche aktuelle gesellschaftliche Themen vereint. Genau betrachtet ist die historische Verortung der Geschichte in der Renaissance aber sinnvoll, war die Epoche als Wiedergeburt der Antike doch der erste Versuch, das düstere, abergläubische Mittelalter abzulösen mit von Vernunft und Toleranz geprägtem Denken. Dies sind dann auch die beiden Hauptkräfte, die in der Geschichte gegeneinander wirken.
Die 18-jährige Bianca soll verheiratet werden. Liebe ist nicht die Motivation hinter den Hochzeitsplänen, sondern Geld. Aber die romantisch veranlagte Bianca wünscht sich dennoch Liebe und hofft auf einen guten, einfühlsamen Mann. Kennenlernen kann sie ihn vor der Hochzeit allerdings nicht. Da offenbart ihr ihre Tante, dass sich eine geheimnisvolle Männerhaut im Besitz der Familie befinde. Streift man sie über, kann man nicht nur ungeniert alle Freiheiten eines Mannes in der Gesellschaft geniessen, man fühlt sich sogar auch ein wenig wie ein Mann. Bianca zögert, ist aber auch neugierig, denn sie möchte ihren Mann in spe unbedingt verstehen. Nach ihrem ersten Ausflug als Mann kommt sie ernüchtert zurück. Sie hat Giovanni, ihren Zukünftigen, getroffen und ist erschüttert, wie tumb er und seine Kumpane sind. Doch bei einem zweiten Treffen entdeckt sie nicht nur, dass ihr Verlobter eigentlich auf Männer steht, sondern auch, dass er in der Zweisamkeit ganz nett ist. Und so leben sie ihre ungewöhnliche Freundschaft und Liebe aus und frönen dem Partyleben. Kurz vor der Hochzeit jedoch kommt Biancas frommer Bruder an die Macht und möchte alle «Sünde» aus der Stadt vertreiben. Gemeinsam nehmen Bianca und Giovanni den Kampf gegen die Inquisition auf. Allerdings weiss Giovanni immer noch nicht, dass sein Geliebter und seine Frau ein und dieselbe Person sind …
Das haarsträubende Abenteuer thematisiert auf überraschende Art und mit Action und Humor zeitlose Themen wie (religiöse) Toleranz, aber auch aktuelle wie geschlechtliche und sexuelle Identitäten. Die Leichtigkeit wird nicht zuletzt von den Farbzeichnungen getragen, denn neben einigen burlesken Einlagen geht es bei In der Haut eines Mannes im Kern um fundamentale Themen nicht des Mannseins, sondern des Menschseins.
Christian Meyer-Pröpstl

Hubert / Zanzim: «In der Haut eines Mannes»
Reprodukt, 160 S.
Hardcover, farbig
CHF 43.90 / € 29

Nick Drnaso: «Acting Class»

Sie wollen nur spielen

Der Jazz-Gitarrist Wes Montgomery soll einmal gesagt haben, dass es in der Musik vor allem darum gehe, welche Noten man nicht spielt, denn gerade diese würden die Phantasie der Hörer*innen beflügeln. Der US-amerikanische Comic-Zeichner Nick Drnaso ist ein Meister darin, in seinen Narrationen den Fokus auf den banalen Alltag seiner Protagonist*innen zu richten und dabei gleichzeitig das Unheilvolle nur anzudeuten. Sein Comic Sabrina, das zweite Buch des gerade mal 33-Jährigen, wurde als erste Graphic Novel überhaupt für den Booker Prize nominiert, die Latte liegt also hoch für seinen aktuellen Comic Acting Class. Es handelt von Leuten, die sich für einen Theaterkurs interessieren, der kostenlos vom Lehrer John Smith angeboten wird. Die Protagonist*innen stammen aus der Mittel- und Unterschicht und ringen mit den Tücken des Alltags, ob als Alleinerziehende, Vorbestrafte oder Traumatisierte. Der Theaterkurs ist für alle Kursteilnehmer*innen, eine Möglichkeit, ihrem tristen Alltag zu entfliehen, in eine andere Rolle zu schlüpfen, um einmal im Mittelpunkt zu stehen, oder um ihre Persönlichkeit herauszubilden. Smith geht in seinem Kurs einen ungewöhnlichen Weg, er dringt tief in die Psyche seiner Schüler*innen ein und holt dabei verborgene Ängste, unterdrückte Traumata aber auch Wunschvorstellungen hervor. Für die Schüler*innen vermischen sich Realität und Spiel, sie tauchen in eine surreale Welt ein, die einige von ihnen so sehr fasziniert, dass sie sich auch ausserhalb des Kurses von der Realität lösen und regelrecht in ein fantastisches Paralleluniversum ihrer Wünsche wechseln. Zum Ende des Comics wird das Verhalten der Kursteilnehmer*innen immer extremer, sie leben ihre Psychosen, aber auch ihre sadistischen Züge aus, wobei sie von ihrem Lehrer stets unterstützt werden. Denn sie wollen ja nur spielen. Der Gruppenzwang sorgt dafür, dass sich fast die gesamte Gruppe mit dem Lehrer auf den Weg macht zu einem nicht weiter erklärten Treffen mit ehemaligen Kursabsolvent*innen. Durch Weglassen regt Drnaso die Fantasie der Leser*innen an, wodurch sich Assoziationen zu Sekten, aber auch Silicon-Valley-Firmen wie z.B. Meta ergeben. Für seinen surreal-unheimlichen Comic wälte Drnaso einen stark reduzierten Stil, der die Protagonist*innen wenig persönlich und eher eindimensional darstellt. Die Inszenierung von bestimmten Sequenzen an Orten, die man heute oft als Unorte bezeichnet, verstärken die bedrückende Narration. Ein in seiner Intensität äusserst beeindruckender Comic.
Matthias Schneider

Nick Drnaso: «Acting Class»
Blumenbar. Aus dem Englischen von Karen Köhler und Daniel Beskos. 268 S.
Hardcover, vierfarbig
ca. CHF 39.90 / € 28

Marijpol: «Hort»

Zufluchtsort

Hort ist die Geschichte dreier Frauen, die zusammen in einer Wohngemeinschaft leben. Selbstbewusste Frauen, die stolz ihr Anderssein gegen aussen tragen. Petra hat als Bodybuilderin ihren grossen Körper zur Perfektion trainiert, Ulla ist überdimensioniert und dick und Denise hat ihren Körper mit Schlangenteilen modifiziert. Ihre Körper verbildlichen ihr Bestreben nach einem selbstbestimmten Leben, fern von gesellschaftlichen Konventionen und Rollenbildern. Die Nachbarskinder Jörg, Ilse und Dieter hingegen wünschen sich ein normales Leben, sind aber gezwungen, alleine mit ihrem Alltag fertig zu werden. Dass zwei der drei Kinder «Katzenbabies» sind und ein flauschiges Fell besitzen, ist schon fast nebensächlich. Ihre Mutter ist für unbestimmte Zeit verreist, einen Vater gibt es nicht. Und so gestalten die drei Kinder ihr Leben in einer zugemüllten Wohnung alleine. Wenn kein Essen da ist, verkaufen sie ihre Habseligkeiten auf der Strasse. Dabei lernen sie die Wohngemeinschaft der drei Frauen kennen. Petra bewundern sie wegen ihrer Stärke, Ullas Gutmütigkeit lieben sie, vor der Schlangenfrau Denise haben sie Angst. Die Kinder verbringen immer mehr Zeit mit ihnen, die Frauen fühlen sich für sie verantwortlich, wollen aber dennoch ihre Unabhängigkeit behalten. Die verzwickte Situation stellt das traditionelle Mutter- und Frauenbild in Frage — Frausein heisst nicht zwingend fürsorglich sein, fürsorglich sind nicht immer die Mütter.

Die Definition von Hort ist ein Ort, an dem Menschen Schutz gewährt wird, oder eine Einrichtung für Schulkinder. Marijpols Hort ist beides: ein Ort, an dem drei Frauen ihre körperlichen Attribute frei wählen können und an dem die Nachbarskinder einen geregelten Alltag erhalten. Es ist ein Rückzugsort für das Anderssein, eine kleine Utopie für mystische Wesen, halb Mensch, halb Tier. Das Buch zeigt, wie (Comic-)Kunst vermag, aktuelle gesellschaftliche Themen in allegorische Bilder zu verwandeln. Bilder, die Marijpol mit Eleganz und in durchgehender Weiss-Lila-Tönung gekonnt in eine Geschichte umwandelte.
Giovanni Peduto

Marijpol: «Hort»
Edition Moderne, 368 S.
Softcover, monochrom
CHF 34 / € 28


Dr. Seuss: «Schlummerbuch»

Ab ins Bett!

Gähnen ist ansteckend, und wer das bezweifelt, sollte mal versuchen, Dr. Seuss’ Schlummerbuch bis zur letzten Seite durchzustehen, ohne dem entspannenden Reflex anheim zu fallen. Ich habe es selbst mehrmals versucht, bin aber kläglich gescheitert.
Während der US-amerikanische Kinderbuch-Autor und Zeichner Theodor Seuss Geisel alias Dr. Seuss seit den 60er-Jahren in den englischsprachigen Ländern zu den meistgelesenen Kinderbuchautor*innen und Zeichner*innen gehört, kennt man ihn hierzulande, wenn überhaupt, für seinen Grinch, der die Weihnacht stiehlt. Dr. Seuss’ Figuren entsprechen so gar nicht den pädagogisch wertvollen Ansprüchen des heimischen Kinderbuchmarktes, einer der Gründe, weswegen er es bisher nicht in den deutschsprachigen Raum geschafft hat. Glücklicherweise ändern sich Zeiten und sogar der Kinderbuchmarkt, und so ist nun sein Schlummerbuch erstmals auf Deutsch erhältlich. Eine zweite Hürde für den hiesigen Markt sind neben den in einer aberwitzigen Fantasiewelt lebenden anarchistischen Protagonist*innen, die in Reimform verfassten Texte, die sich durch Sprachwitz und überbordende Sprachkreationen auszeichnen. Für die nun vorliegende Fassung wurde Nadia Budde gewonnen, die ganz im Stil von Dr. Seuss ihre Kinderbücher mit gereimten Texten ausstattet. Ihre kongeniale Übersetzung lässt uns umso besser in die fantastische Bilder- und Reimwelt des Dr. Seuss eintauchen, in der es die Schlafwandelgruppe Finnigans Fennen, den Weltmeister im Schlafreden, den Einklapper-Fink, den Hinkelhorn-Bläserklub, die Fluffi-Flaum-Vögel oder das Käferchen Willi van Wann gibt, die alles etwas gemein haben — sie alle sind stets unheimlich müde, und gähnen, gähnen, gähnen, um am Ende des Buches einzuschlummern. Ein wirklich grosser Spass für Jung und Alt! Wie heisst es so schön am Anfang des Buches: Dieses Buch von A bis Z, muss mit ins Bett!
Matthias Schneider

Dr. Seuss: «Schlummerbuch»
übersetzt und illustriert von Nadia Budde
Kunstmann-Verlag, 59 S.
Hardcover, farbig
ca CHF 28.90 / € 18

Anja Wicki: «In Ordnung»

Zwangsstörungen mit Schutzengel

Alles hat seinen Platz in Evas Leben — die Wohnung ist blitzblank und aufgeräumt, Messer und Gabel liegen genau parallel neben dem Teller, auch der Tagesablauf ist exakt durchgetaktet. Für sie sei das Leben einfacher, glaubt Eva, wenn es Ordnung und Logik habe. Ohne klare Struktur verliert Eva Halt und wird von Panikattacken überwältigt. Die neurotische Strukturiertheit ihres Alltags hat indes auch negative Konsequenzen: Sie treibt alles Spontane aus Evas Leben und verhindert zunehmend soziale Kontakte. Eva zieht sich mehr und mehr zurück — und ist umso stärker ihrer Krankheit ausgeliefert.
In ihrem Debüt In Ordnung zeichnet die junge Luzernerin Anja Wicki Evas langen Weg durch die Krankheit nach. Eva Ritter ist um die 30, Architektin, und leidet seit ihrer Jugend an einer nicht näher genannten psychischen Krankheit. Wicki erzählt die Geschichte fragmentarisch, in locker verknüpften Episoden, durchsetzt von Rückblicken. Den Lauf der Zeit verdeutlichen Evas regelmässige Sitzungen mit Therapeutinnen, jedes Mal sitzt ihr jemand anders gegenüber, jedes Mal erhält sie ganz andere Erklärungen, Tipps und Therapien.
Nicht nur erzählerisch hat Wicki eine adäquate Form für Evas Geschichte gefunden — auch zeichnerisch übersetzt sie Evas Innenleben passend. Ihre Zeichnungen sind stilisiert, aufgeräumt, ordentlich. Kein unnötiges Detail lenkt ab. Dezent eingesetzte, monochrome Pastellfarben deuten innere und äussere Zustände und Prozesse an. So wird die Bildsprache zum Spiegel von Evas Innenleben.
Dabei verzichtet Wicki auf eine unnötige Dramatisierung und wo immer möglich auch auf Dialoge. Sie konzentriert sich ganz auf Eva und ihre Schwierigkeiten beim Bewältigen ihres Alltags. So schafft sie einen ruhigen Sog, der Eva immer tiefer in den Teufelskreis ihrer Zwangsstörungen führt. Erst als Gabi unvermittelt in Evas Wohnung auftaucht, gerät Evas Leben in Bewegung. Gabi ist ein Rätsel: Es ist nicht ganz klar, ob es ein echter Mensch oder die imaginäre Verkörperung des Erzengels Gabriel ist. Dieser begleitet Eva schon länger auf einem Votivbild, das ihre Grossmutter ihr einst zugesteckt hatte.
Ob Gabi Mensch oder Schutzengel ist, ist letztlich unwichtig. Wichtig ist, dass der unberechenbare Gabi Evas Leben aus dem Takt bringt. Das löst zunächst eine tiefe Krise aus — bedeutet aber auch einen ersten Bruch mit ihren Zwangsstörungen.
In Ordnung erzählt eine innere Geschichte auf zurückhaltende, sensible Weise. Vordergründig ist In Ordnung unspektakulär, doch hallt diese Graphic Novel dank ihrer Subtilität noch lange nach.
Christian Gasser
Anja Wicki: «In Ordnung»
Edition Moderne, 208 S.
Softcover mit Klappe, farbig
CHF 29.80 / € 24

Kurz und Gut

von Christian Meyer-Pröpstl

Thomas von Steinaecker, Autor und Regisseur, hat sich an die Biografie eines der bedeutendsten Komponisten der Neuen Musik gewagt. Ein Cliffhanger deutet an, dass die fast 400 Seiten nur der erste Teil dieser sehr persönlichen Biografie über Karlheinz Stockhausen sind. Denn von Steinaecker war nicht nur seit seiner Kindheit von Stockhausens Musik begeistert, sondern hat den Komponisten auch schon früh persönlich kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. Das gibt der Graphic Novel trotz der immensen historischen Bedeutung des Protagonisten eine sehr intime Note. Der Illustrator David von Bassewitz findet nicht nur für die biografische Handlung gute Bilder, sondern weiss auch mit grossartiger Grafik die Musik Stockhausens in Bilder zu fassen.
Thomas von Steinaecker / David von Bassewitz:
«Stockhausen — Der Mann, der vom Sirius kam»
Carlsen, 392 S.
Hardcover, farbig
CHF 62 / € 44

Die Südkoreanische Schauspielerin Choi Eun-hee wird von nordkoreanischen Agenten nach Nordkorea entführt, kurz darauf auch ihr Ex-Mann, der Regisseur Shin Sang-ok. Eine Spionagefantasie? Keineswegs! Der damalige Diktator Kim Jong-il, ein grosser Filmfan, litt unter der minderwertigen Kinoproduktion seines Landes und klaute nicht nur massenweise Filmkopien im Ausland, sondern kidnappte 1978 auch die zwei Filmemacher*innen. Sheree Domingo und Patrick Spät erzählen diese unglaubliche Geschichte mit dynamischem Strich aus der Sicht von Choi, die sich ihr Leben lang gegen dominante Männer und Regierungen wehren musste.
Sheree Domingo / Patrick Spät:
«Mme Choi & die Monster»
Edition Moderne. 176 S.
Softcover, farbig
CHF 29.80 / € 24

Der in den USA lebende israelische Comic-Künstler Koren Shadmi erzählt in Lugosi — Aufstieg und Fall von Hollywoods Dracula! in stilisierten Schwarzweiss-Zeichnungen von dem vor allem für seine Dracula-Darstellung bekannten Schauspieler, von seiner Jugend in Ungarn, von der Migration in die USA, wo er sich zunächst am Broadway versuchte, bis zu seinem Aufstieg zum Gruselfilmstar in Hollywood. Shadmi gibt spannende Einblicke in das Hollywood-System der 30er- bis 50er-Jahre und das Leben der damaligen Schauspieler*innen, ohne der Selbstinszenierung seines Protagonisten zu erliegen. Die Graphic Novel zeigt nicht nur die dunkleren Seiten Lugosis, sondern auch, wie er als Kollege, Vater und Ehemann war. Rollen, denen der Schauspieler weniger gerecht wurde als der des Vampirs.
Koren Shadmi:
«Lugosi — Aufstieg und Fall von Hollywoods Dracula!»
Panini, 160 S.
Hardcover, s/w
CHF 38.90 / € 25

«Glauben Sie an die Wahrheit?», fragt die Autorin und Journalistin Doan Bui im Titel etwas provokant. Doch derlei Polemik findet man in ihrem von Leslie Plée gezeichneten Comic über Verschwörungsmythen und Fake News nicht. Ihr Ritt durchs Reich der Desinformation ist gut recherchiert und mit zahlreichen Interviews untermauert. Bui beschreibt amerikanische Kreationist*innen, die glauben, die Erde sei eine Scheibe; Leugner*innen von Amokläufen, Fake News in den sozialen Netzwerken, Troll-Fabriken, den Obertroll Trump, und auch Klimawandelleugner*innen und Impfgegner*innen. Sie macht einen Exkurs in die Geschichte der Falschmeldung bis hin zu den Griech*innen, wagt auch einen Blick auf die Illuminati und den Antisemitismus, um schliesslich auch den Erfolg des Konzepts Fake News psychologisch zu erklären. Ein ebenso lustiger wie erschütternder Streifzug durch den Irrgarten der Unvernunft.
Doan Bui / Leslie Plée:
«Glauben Sie an die Wahrheit?»
Carlsen, 176 S.
Hardcover, farbig
CHF 33.90 / € 22

Philosophix — Das Höhlengleichnis und andere grosse philosophische Ideen ist eine Reise in die abstrakte Gedankenwelt der Philosophiegeschichte. Dank des Mediums Comic gerät sie bei Étienne Garcin und dem Zeichner A. Dan aber alles andere als abstrakt. In zehn Kapiteln durchstreifen sie in bunten Zeichnungen exemplarisch die Jahrhunderte, von Platon bis Deleuze, immer mit einem Blick auf das grosse Ganze.
Étienne Garcin / A. Dan:
«Philosophix — Das Höhlengleichnis und andere grosse philosophische Ideen»
Knesebeck, 160 S.
Hardcover, farbig
CHF 36.90 / € 24

Hamed Eshrat erzählt in seinem autobiografischen Comic Coming of H von seiner Jugend als Skater und Sprayer mit Migrationshintergrund in einer Kleinstadt der 90er-Jahre. Da spielen Drogen und Nazis eine Rolle, Musik, die erste Liebe, die Schule, bei Hamid aber auch die Traumata seiner aus dem Iran geflohenen Eltern. Eshrat erzählt in flottem Tempo, mit Witz und Empathie von seinen Provinzhelden. Ein berührender Coming-of-Age-Comic.
Hamid Eshrat: «Coming of H». avant verlag, 176 S., Softover, farbig, CHF 39.90 / € 26
Lewis Trondheim, der auch schon Hommagen an Donald und Mickey realisiert hat, gelingt mit dem neusten Abenteuer seiner Reihe Herr Hase wieder ein Coup. Held Hase ist — warum auch immer — im Asterix-Kosmos gelandet, genauer: er IST Asterix! Zumindest denken das alle ausser ihm. In Beim Teutates erlebt Hase nicht nur weitere haarsträubende Abenteuer, er studiert auch die Gesetzmässigkeiten der Comicwelt. Und die bei Asterix übliche Klopperei wird bei Trondheim zum blutigen Gemetzel.
Lewis Trondheim:
«Die neuen Abenteuer von Herrn Hase 6 — Beim Teutates!»
Reprodukt, 48 S.
Softcover, farbig
CHF 19.90 / € 13

Im dritten Band von Enki Bilals Dystopie Bug dreht sich der Irrsinn dieser Welt immer weiter: Aus unbekannten Gründen ist alles Digitale in der Welt gelöscht worden, ob USB-Stick, Herzschrittmacher oder Computernetzwerk. Offenbar haben sich aber alle Daten im Körper des Astronauten Obb, der eine Wanze unter der Haut hat, erhalten. Auf ihn setzt nun alle Welt die Hoffnung: demokratische Regierungen, Terroristen, Diktatoren etc. Die wilde Jagd geht auch im dritten Band weiter, bringt Ideologien des frühen 20. Jahrhunderts zu neuen Blüte und forciert neue radikale Ismen. Bilal zeichnet diesen Irrsinn, der aktuell näher an der Wirklichkeit ist, als er das wohl ahnte, in seinen gewohnt mattfarbigen Kreidezeichnungen. Ein vielleicht prophetisches Alterswerk des Meisters.
Enki Bilal:
«Bug, Bd. 3»
Carlsen, 88 S.
Hardcover, farbig
CHF 36.90 / € 24

 
 

Biografien

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David Sandlin
*1956 in Belfast, Nordirland, ist Maler, Grafiker und Comic-Zeichner. Er lebt heute in New York City und Roscoe, NY. Seine Gemälde und Drucke wurden schon mehrfach international ausgestellt. Seine Comics und Illustrationen sind in The Best American Comics, The New Yorker, RAW und anderen Publikationen erschienen. Er erhielt Stipendien von der Guggenheim Foundation, dem Cullman Center for Scholars and Writers, der Pollock-Krasner Foundation, der New York Foundation of the Arts, der Swann Foundation for Caricature and Cartoon und anderen Institutionen. In Strapazin tauchen seine Geschichten immer wieder mal auf, so unter anderem in Nummer 102 Isolated Houses und 129 Lange Geschichten. Er unterrichtet Druckgrafik, Buchkunst und Illustration an der School of Visual Arts in New York City.
davidsandlin.com

Milva Stutz
*1985, visuelle Künstlerin, lebt und arbeitet in Zürich. Sie studierte Illustration, Kunstvermittlung und Fine Arts an der Hochschule Luzern Design & Kunst und an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie ist seit 2011 Mitherausgeberin von Strapazin. Ihre Zeichnungen und Animationsfilme wurden bei Einzel- und Gruppenausstellungen und an Filmfestivals in der Schweiz und im Ausland gezeigt.
milvastutz.ch
@milvastutz

Gabriela Jolowicz
*1978 in Salzgitter-Bad, setzt Alltagsszenen in minutiöse Holzschnitte um. Ihre Bilder wurden in zahlreichen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt und sind mehrmals ausgezeichnet worden. Beim Lubok Verlag erschien 2021 ihre zweite originaldruckgrafische Monografie Megabillig 2. Seit 2016 unterrichtet sie an Kunsthochschulen, zurzeit an der HfK Bremen und UdK Berlin. Ihre Illustrationen erschienen unter anderem im Zeitmagazin und im MaroHeft #7.
www.hey-gabi.de

Helge Reumann
*1966 in Genf. Seine Geschichten drehen sich oft um Militärkasernen und bewaffnete Banden — um die Imagination des Krieges. Daneben baut er Waffen aller Art aus Alltagsgegenständen. Seine Besessenheit mit Gewalt ist beängstigend, aber sie verblasst vor lauter knalligen Farben und dem Sprudeln der gehackten Tinten. Die Zuschauer*innen, gefangen von seiner formalen Beherrschung, wohnen der Konstruktion einer Welt bei, in der Ironie die Kälte nuanciert und die Distanz zum Lachen einlädt. «Bei den Grundfarben verbiete ich mir vor allem die realistischen und gebrochenen Töne. Ich möchte den Miserabilismus um jeden Preis vermeiden, indem ich die Ernsthaftigkeit durch die farbige Künstlichkeit ausgleiche. Ich konzipiere meine Arbeit in einer humorvollen Dimension, es ist ‹mein Disneyland›», sagt Reumann, «ein Park voller Attraktionen und technischer Variationen, in dem ich meine Kindheitserinnerungen heraufbeschwöre».

Kerstin Wichmann
*1989 in Hameln, arbeitet als Zeichnerin in Hamburg. Mit Bleistift, Buntstift und Acryl entstehen aus vorsichtigen Annäherungen atmosphärisch dichte und konzentrierte Szenen. Sie hat Design an der FH Münster und an der Bezalel Academy of Arts & Design in Jerusalem studiert. 2021 hat sie den Master in Illustration an der HAW Hamburg bei Prof. Anke Feuchtenberger absolviert. Ihre Abschlussarbeit Väter ist 2022 mit einem der Finalist*innenpreise der Berthold Leibinger Stiftung ausgezeichnet worden und wird voraussichtlich 2023 bei der Edition Moderne erscheinen.
kerstinwichmann.de

Wolfgang Bortlik, *1952 in München, lebt schon lange in der Schweiz, momentan in Riehen bei Basel. Verfasst seit ewigen Zeiten Das geschriebene Wort im Strapazin und schreibt daneben als fröhlicher Privatgelehrter Gedichte, Songtexte und Romane, zuletzt den Krimi Basler Gleichstand (Gmeiner Verlag, Messkirch 2022).

Anna Sommer
*1968, freischaffende Comic-Zeichnerin und Illustratorin in Zürich. Ihre Graphic Novels und Bilderbücher sind in diversen Verlagen und Sprachen erschienen, ihr letztes Album Das Unbekannte 2018 bei Edition Moderne. Ihre Papercut-Originale stellt sie regelmässig in Einzel- und Gruppenausstellungen aus. Zurzeit arbeitet sie an einem neuen Buch, das voraussichtlich 2023 erscheint.
annasommer.ch

Andreas Gefe
*1966 in Küssnacht am Rigi, ist Comic-Zeichner, Illustrator und freier Maler in Zürich. Er publizierte bereits Anfang der Neunzigerjahre eine erste Geschichte im Strapazin, viele weitere folgten. 2018 widmete ihm das Cartoonmuseum Basel eine Einzelausstellung. Nach einem Atelieraufenthalt in New York entstand in Zusammenarbeit mit Julian Voloj sein neuestes Werk IN NY, das im September 2022 bei Edition Moderne und kurz darauf beim französischen Verlag Sarbacane erschienen ist.
gefe.ch

Taddeo Lorenzo Motta
*1998 in Bern. Taddeo hat 2022 den Bachelor in Visueller Kommunikation an der Hochschule der Künste Bern HKB absolviert. Unter seinem Pseudonym Pippa arbeitet er illustrativ und verbindet analoge und digitale Mittel. Aktuelle Arbeiten, von Skizzen bis 3D-Animationen, zeigt er auf Instagram
@Pippa_001

Christoph Schuler
*1954 in Zürich, Lehre als Buchhändler, Jobs als Schauspieler, Vergolder, Transportarbeiter, Redaktionsassistent, Archivar, Filmstatist, Pharma-Testperson. Später: Songtexter, Comic-Autor und -Übersetzer, Kolumnenschreiber, Kinderbuchautor und Spiele-Erfinder. Freier Journalist BR, Redaktor und Mitherausgeber des Comic-­Magazins Strapazin.

Aurel Märki
*1976 in Baden AG, lernte Grafik in Bern und studierte an der Hochschule Luzern Illustration. Seit seinem Abschluss 2003 arbeitet er als freischaffender Illustrator und Infografiker für Zeitungen, Zeitschriften und Unternehmen im In- und Ausland. Er lebt in Bern.
aurelmaerki.ch

Luigi Archetti, *1955 in Brescia (I), seit 1965 in der Schweiz niedergelassen, lebt in Zürich. Sein künstlerisches Werk kreist um die Schnittstelle von Kunst und Musik, die er auf unterschiedlichste Weise erfahrbar machen will. In seinen Installationen und Inszenierungen schafft er mittels Zeichnung, Malerei, Video und Klang hochästhetische Spannungsräume und vielschichtige Verweissysteme. Das Vokabular der Musik manifestiert sich nicht nur in den Ideen und der Umsetzung der Werke, sondern auch in der direkten Verwendung von Objekten und Begrifflichkeiten aus dieser Sparte. Luigi Archetti inszeniert den Raum als Bildträger, in dem verschiedene Impulse — visuelle und klangliche — aufeinandertreffen.
luigiarchetti.ch