No:125

  • Cover: M.S. Bastian/Isabelle L. & ATAK

edi

EDITORIAL

Sammeln

Uns verbindet dieselbe Leidenschaft – wir sammeln und horten skurrile Objekte, Schund, Plunder und Wertloses, alles Dinge, die andere achtlos liegen lassen, und die kaum je den Weg in ein Museum finden, unsere Leben aber enorm bereichern.
Diese Sammel-Leidenschaft scheint bei Kunstschaffenden sehr verbreitet zu sein, speziell bei „Low Art“- Künstlern, weshalb in diesem Heft auch vor allem Vertreterinnen und Vertreter dieser Gattung zum Zuge kommen. Einige von ihnen besitzen eindrucksvolle Sammlungen, die sie zu den hier abgedruckten Geschichten inspiriert haben; Sammlungen, die manchmal tatsächlich aus materiellen Anhäufungen bestehen, oft aber nur imaginiert sind. Die Standpunkte der Künstlerinnen und Künstler unterscheiden sich teilweise erheblich, ihr Ausgangspunkt jedoch ist immer derselbe – die Sammlung. Unsere trivialen Sammlungen geben uns Halt in einer Welt, in der nur noch das Wertvolle relevant zu sein scheint. Deshalb ist dieses Heft auch ein Plädoyer für die kleinen irrelevanten Dinge und Geschichten dieser Welt.

Die vier Horter und Sammler ATAK, Anja Luginbühl, M.S. Bastian und Isabelle L.

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sammlertassen

Was Comic-Autoren und -Leser verbindet

Habt ihr noch alle Sammeltassen im Schrank?

Andreas Platthaus

Wer immer Comics zeichnet, schreibt oder liest, sammelt. Zunächst nicht einmal notwendig materiell, aber mental. Der Comic ist eine Kombinationskunst, ein Hybrid aus Bild und Schrift (zumindest meistens), und um ihn zu gestalten oder zu verstehen, braucht es Erfahrung. Dabei ist emotionale Rezeption mindestens so wichtig wie intellektuelle – will sagen: Je früher die Auseinan­dersetzung mit Comics beginnt, desto besser, und irgendwann kann es zu spät sein, um noch mit vertretbarem Aufwand die notwendige Lektüretechnik und -erfahrung zu erwerben. Das ist der Hintergrund der gar nicht so seltenen Bemerkung von Erwachsenen, sie könnten keine Comics lesen. Sie könnten wohl, allein, es fehlt ihnen an nötiger Sammlung.
Der lebenslang erworbene Kanon an Lektüre eindrücken (unter denen ich der Kürze halber Bild- und Texteindrücke gleichermassen fasse und damit die von Comics sowieso) ist die wichtigste Sammlung eines jeden Lesers, und ohne stete Neueinordnung absolvierter Erfahrungen ist diese Kollektüre, wie ich sie nennen will, unbefriedigend, weil es das Grundprinzip allen Sammelns ist, dass es unabgeschlossen bleiben muss, will der Sammler nicht frustriert sein. Ob dabei das Bild/Buch/Heft im eigenen Besitz verbleibt, ist so lange egal, wie nur der erste Eindruck eines Werks zählt, nicht die Möglichkeit der Überprüfung seiner Qualität – von der Freude am Eigentum einmal zu schweigen. Die originäre Sammeltätigkeit des Lesers findet im Kopf statt, doch die sekundäre Leidenschaft des Ansammelns der Dinge, die ihn interessieren, liegt nicht fern. Im Gegenteil: Sie erwächst aus dem Bedürfnis einer wiederholten Einordnung der Eindrücke, die nur durch Verfügbarkeit der Lektüren zu erlangen ist. Das Museum oder die Bibliothek als Sammlungsorte sui generis sind für den Sammler selbst bei aller diesen Institutionen gebotenen Vielfalt nicht individuell genug kompiliert. Denn auch in der Auswahl und damit der Beschränkung erweist sich der Charakter einer Sammlung, viel mehr sogar als in der schieren Fülle.
Vor einem Jahr ist ein opulent aufgemachter Bildband über Comic-Sammler erschienen. Das von Alex Jakubowski geschriebene und von Sandra Mann fotografierte Buch trägt den Titel Die Kunst des Comicsammelns. Das ist weniger ernst gemeint, als es klingt, denn über spezifische Kriterien, die das Sammeln von Comics vom Sammeln anderer Objekte unterscheidet, erfährt man nichts. Der Band sammelt vielmehr selbst: Comic-Sammler nämlich, und nach der Lektüre bleibt eine gewisse Enttäuschung zurück, weil sich deren Leidenschaften, aber auch die daraus resultierenden Sammlungen als einigermassen banal herausgestellt haben. Trügen sie statt Heften, Figuren oder Originalzeichnungen Bier­deckel, Barbiepuppen oder Briefmarken zusammen, wären nur die Fotos anders ausgefallen, nicht aber die Charakterisierungen der Sammler.
Es fehlt dem Band an einer Durchdringung des Antriebs, just Comics zu sammeln. Dass dabei etwa die Verfemung dieser Erzählform in früheren Jahrzehnten eine Rolle spielt, wird durch die biographischen Parallelen der Porträtierten deutlich (meist Männer, fast alle über fünfzig), aber nicht psychologisch gedeutet. Aus dem spezifischen Widerstand des Comics gegen die Konvention heraus entstehen andere Sammlungen als solche von bereits allgemein akzeptierten Gegenständen. Comic-Sammler wollten mit ihren Kollektionen lange Jahre tatsächlich Lektionen erteilen: über die Sammelwürdigkeit ihres Interessengebiets. Eine Comic-Sammlung war auch Ausdruck missionarischen Eifers. Eine klassische Privatbibliothek dagegen war, da das Sammeln von Büchern als so wenig umstritten galt wie wohl sonst nur das von Briefmarken, meist Ausdruck reiner Innerlichkeit. Dass sich das in den letzten Jahren geändert hat, darf hier allerdings auch nicht unerwähnt bleiben: Mittlerweile gilt Bibliophilie im Zeitalter der immerwährenden digitalen Textverfügbarkeit als eher seltsam, während sich das Comic-Sammeln über seine frühere Widerständigkeit den Nimbus des Kämpfe­rischen und Avancierten erworben hat.
In ähnlicher Weise betrifft diese Bedeutungsverschiebung auch das Sammeln von Comic-Kunst, womit hier lediglich die Originalzeichnungen gemeint sein sollen (also keine Barks-Ölgemälde, Moebius-Aquarelle oder Bilal-Acrylbilder, wie teuer sie auch jeweils sein mögen; von Adaptionen durch „normale“ Künstler wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol oder Raymond Pettibon gar nicht erst zu reden). Die klassische Kunstkollektion hat nicht den Ansehensverlust durchlaufen, der Biblio­theken widerfahren ist, vielmehr war der Status, den der Besitz von Kunst verschafft, wohl noch nie so hoch wie gegenwärtig, da die Preise auf dem Kunstmarkt explodieren. Doch wie jeder Konjunktur wohnen auch dieser hemmende Elemente inne: Eines davon ist die Skepsis gegenüber der Profanisierung von Kunst zum Spekulationsobjekt. Nun könnte man streiten, ob man bei Anlegern überhaupt von Sammlern sprechen sollte, aber eindeutig trennen lassen sich beide Gruppen nicht. Natürlich auch nicht bei Comic-Kunst, doch auch sie profitiert derzeit noch vom Ruch des Verfemten früherer Jahre. Es ist kein Wunder, dass die kürzlich in der Frankfurter Kunsthalle Schirn gezeigte Ausstellung zum Thema zwar Pioniere des Comics hiess, aber den Untertitel Eine andere Avantgarde trug. Es liegt den Pro­pagandisten der Comic-Kunst viel daran, die dieser bislang meist vorgehaltene Andersartigkeit weiterhin zu kultivieren und in eine scharfe Waffe im Kampf um Deutungshoheit umzuschmieden: Die Kunstgeschichte hat Rebellen immer geliebt.
Doch es soll hier auch nicht um den langen Marsch der Comics durch die Museumsinstitutionen gehen, und schon gar nicht um die nicht weniger explodierenden Preise für Originalzeichnungen in den Auktionshäusern und Galerien. Interessant daran ist lediglich, dass damit ein bemerkenswerter Unterschied beseitigt wird, der Comics jahrzehntelang von anderen Kunstformen unterschieden hat: Das Original besass weniger Wert als die Reproduktion. Mit dem Argument, eine Comic-Zeichnung sei ja lediglich Mittel zum Zweck (der gedruckten Publikation), also nicht autonomes Kunstwerk, ist von Beginn der Comic-Forschung an die eigentliche ästhetische Leistung der Künstler abgewertet worden – übrigens durchaus auch durch sie selbst. Die vielfach dokumentierte Vernichtung von Originalen durch die Zeitungs- oder Heftverlage noch bis in die Siebzigerjahre hinein, hatte ihren Grund weniger in der Missachtung der künstlerischen Leistung als im Desinteresse der Künstler selbst, die ihre Zeichnungen gar nicht erst zurückforderten. Alexander Braun hat als Kurator der Frankfurter Comic-Pioniere-Ausstellung recherchiert, dass etwa Frank King – der Autor des in den Zwanziger- und Dreissigerjahren immens erfolgreichen Comicstrips Gasoline Alley – nur die Originale seiner Werktagsfolgen im Verlagshaus der Chicago Tribune, für die er die Serie zeichnete, abgeholt hat, weil er zur eigenen Archivierung der farbigen Sonntagsfolgen die Probeandrucke für geeigneter hielt, da sie das dokumentierten, was in der Zeitung zu sehen war.
So sind nahezu alle Werktagsfolgen als Originalzeichnungen erhalten, aber nur ein Teil der Sonntagsseiten. Wobei Zeichner wie Winsor McCay oder George Herriman durchaus Wert auf die Rückgabe aller Originale legten. Allerdings kam ihnen zugute, dass sie die Zeichnungen einfach im Verlagshaus abholen konnten. Carl Barks etwa lebte weit entfernt, und die Mühe, den Autoren ihre Vorlagen eigens wieder zuzusenden, machte sich ein Verlag nicht. Das hätte ja Kosten verursacht; da schmiss man die Originale lieber weg.
Die Sammler von Comics und Comic-Kunst haben diese untypische Verachtung der Originalzeichnung gegenüber der gedruckten Fassung übernommen – natürlich auch gemäss dem bereits erwähnten Selbstverständnis des Comics als alternativer Kunstform, bei der die sonst üblichen Massstäbe verkehrt werden. So werden bis heute auf dem amerikanischen Sammlermarkt die Höchst­preise bei Comic-Auktionen von Heften gehalten, namentlich von „Action Comics“ Nr. 1 und „Detective Comics“ Nr. 27, also den Debütausgaben der populärsten Superhelden Superman und Batman. Mehrfach wurden für gut erhaltene Hefte dieser 1938 bzw. 1940 publizierten Ausgaben mehr als eine Million Dollar bezahlt, während es noch kein amerikanisches Comic-Original auch nur auf die Hälfte gebracht hat.
Ganz anders der Auktionsmarkt für Comics in Europa. Hier sind Originalzeichnungen weitaus teurer als Publikationen. Die Millionengrenze haben allerdings bisher nur einige Werke von Hergé übertroffen, aber Hugo Pratt ist ihm mit einer Dreiviertelmillion Euro nahegekommen. Dass es just diese beiden geradezu ins Mythische verklärten Zeichner sind, für deren Werke derart hohe Preise bezahlt werden, zeigt eine andere Leidenschaft der europäischen Sammler gegenüber den amerikanischen: Es geht weniger um messbare Qualitäten (die Hefte über ihren objektiv bestimmbaren Erhaltungszustand bieten) als um subjektive Wertschätzung, die aus dem Lektüreerlebnis entstanden ist. Tim und Struppi und Corto Maltese sind beides Serien, die eine neue Wahrnehmung von Comics ermöglicht haben und in jeder neuen Lesergeneration über ihren Status als legendäre Arbeiten hinaus Lesebegeisterung wecken. Das Phänomen gibt es natürlich auch in Amerika, wenn man an die Auktionsergebnisse von Originalen solch ganze Epochen prägender Zeichner wie Jack Kirby, Steven Ditko oder Frank Miller denkt, doch ob es je eine Zeichnung von ihnen oder auch von Joe Shuster oder Bob Kane schaffen wird, das Niveau der höchsten Heftpreise zu erreichen, darf man bezweifeln.
Was sich aber im weltweiten Boom des Comic-Sammler­marktes auch zeigt, ist eine generelle Disposition dieser Kunst- und Erzählform für die Inspiration durch andere Comics. Es ist ja auffällig, wie viele Comic-Zeichner selbst Sammler sind – was wir gar nicht wüssten, wenn sie es nicht so dezidiert zum Gegenstand ihres Schaffens machen würden. In Deutschland ist das beste Beispiel dafür natürlich Atak, der für seine Comics, Bilderbücher oder Illustrationen immer wieder Objekte der eigenen Sammlung als Vorbilder wählt, so dass man einzelne Figuren oder Devotionalien geradezu wie Leitmotive durch Ataks Schaffen verfolgen kann. Selbst eine Originalseite von Jack Kirby aus seinem Besitz ist zum Gegenstand einer eigenen Bilderserie geworden, für die Atak Stil und Zeichensprache des Amerikaners variiert und gerade dadurch daraus ein ebenso originäres wie originelles Werk gemacht hat, welches aber das Vorbild nie kaschiert.
Ein ähnlich fanatischer Sammler ist Chris Ware, der derzeit weltweit innovationsfreudigste Comic-Zeichner. Mit seiner Faszination für die klassischen Zeitungsstrips seiner amerikanischen Heimat, besonders für die bereits erwähnte Serie Gasoline Alley von Frank King, ist auch eine intensive Sammel- und Herausgebertätigkeit verbunden, die Ware auch zu einem ambitionierten Comic-Historiker gemacht hat. Über die Einbeziehung der traditionellen Ästhetik des Comicstrips hat Ware aber auch eine Wiederbelebung von Möglichkeiten in Gang gesetzt, die mit der Reduzierung betreffs Format, Druckqualität und künstlerischer Freiheit von Comics seit dem Zweiten Weltkrieg bereits als endgültig verloren galten. Dass gleichzeitig Zeichner wie Bill Watterson (Calvin and Hobbes) und Patrick O’Donnell (Mutts) eine ähnliche praktische Renaissance der Comicstrip-Tradi­tion betrieben, entwertet Wares Leistung nicht, sondern macht sie exemplarisch für einen Trend zur Rehistori­sierung in diesem Feld, welche die Kenntnis der Vorbilder voraussetzt. Womit das Sammeln von Comics oder Comic-Kunst auch ästhetische Rechtfertigung erfährt.
Es ist aber auch, als würde man als sammelnder Comic-Liebhaber Verbündete um sich scharen. Die Versammlung von Heften, Zeitungsseiten, Originalen, Sekundärwerken, Merchandising oder Memorabilia aller Art verschafft Sicherheit mittels Erfahrungsgewinn wie Evidenz. Der vergleichende Blick, der durch eine breite Basis an Objekten der Aufmerksamkeit erst ermöglicht wird, macht Qualitäten nachvollziehbar, aber auch Defizite. Insofern ist die Sammlung eine Schule des Sehens und des Verständnisses – kein Spezifikum von Comic-Sammlungen, aber ein wichtiges Argument für deren Existenz.
Wenn wir als Comic-Sammler auch bisweilen mit der Frage konfrontiert sind, ob wir noch alle Sammeltassen im Schrank haben, weil aus einem klischeebehafteten Urteil über die Form als solche Comics als lächerlich, kindisch und minderwertig abqualifiziert werden, können wir antworten, dass es vielmehr darum geht, etwas Unernstes, Kindliches und Anderswertiges zu sammeln. In seiner 1999 erschienenen grossen philosophischen Studie über das Sammeln hat Manfred Sommer in Anknüpfung an Georg Simmels kultursoziologische Me­thode einen Blick auf das Phänomen als ein lebenswelt­liches geworfen: „Thema meiner Überlegungen ist nicht, was uns an Sammlungen mitunter verschlossen bleibt, sondern das Sammeln, wie es ganz selbstverständlich zu unserer Lebenswelt gehört, ja uns von Kindesbeinen an vertraut ist.“ Das gibt einen wichtigen Hinweis zur Herkunft der Sammelfaszination genereller, aber mit Blick auf die Comics auch spezieller Art. Denn die scheinbar beiläufige Erwähnung von Sammeltätigkeit in der Kindheit identifiziert das Sammeln zunächst als anthropologische Konstante und lässt dann wiederum dessen Anfang im Kinderinteresse gründen. Was wir zu sammeln beginnen, gehorcht unserem kind­lichen Interesse, und dass dabei Comics mehr Anspruch auf Sammelwürdigkeit erheben können als etwa Por­zellan, mittelalterliche Handschriften oder abstrakte Malerei – um drei zufällig gewählte, aber durchaus verbreitete Gebiete zu nennen – ist einsichtig. So bekommt das Comic-Sammeln noch eine zusätzliche Legitimation aus unserem frühen Erfahrungshorizont, womit nicht gemeint sein soll, dass Comics Kinder­kram wären, sondern dass sie Kindern eine grössere Zugänglichkeit bieten. Und dadurch wird eine Kulturtechnik adaptiert, die entscheidend zur Bestimmung des Menschseins gehört – wie es in der Bezeichnung als „Jäger und Sammler“ zum Ausdruck kommt. Ohne Sammeln ist menschliche Existenz gar nicht denkbar, die Ausdifferenzierung dieser Tätigkeit trägt dann zur Individualisierung bei, wobei durchaus vorstellbar ist, dass sich Menschen nicht als Sammler begreifen, weil das grundlegende Prinzip gar nicht mehr als solches wahrgenommen wird, sondern nur noch spezielle Interessen Beachtung finden. Der lesende Mensch aber, und allemal der Comics lesende, hat wie zu Beginn ausgeführt, notwendig die Tendenz zum Sammler. Und so nützlich ihm die Kollektion und Kollektüre auch zur Verbesserung seiner Lesebefähigung ist, so ist doch noch wichtiger für den Comic als Kunstform, dass die ästhetische Erfahrung Grundlage des Sammlungs­interesses ist, nicht die Notwendigkeit des Sammelns als Überlebensmittel. Comics gehören mit zu den Nebensachen unserer Existenz, aber erst diese machen unser Leben menschlich.

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Ein Herz für Kinder

Ahne

Noch vier Herzen fehlen uns, für die Pfanne. Die Pfanne mit dem Deckel. Vier Treueherzen von der Kaufhalle, die jetzt Kaiser`s heisst, seit der Eiserne Vorhang durch Milliarden von Zonentränen weggerostet wurde, oder auch durch NATO-Atomraketen verschwand. Kann man sich eine für sich selbst massgeschneiderte, Variante der beiden aussuchen, je nachdem ob man nun Romant- oder Zyniker ist. Die heisst jedenfalls so jetzt, die Halle. Kaisers. Mit oder ohne Apostroph, das ist mir eigentlich egal. Sprache verändert sich, so wie sich Zeiten verändern.
Unsere aktuelle Pfanne ist ja vollkommen zerkratzt. Da brennt alles an drin. Wir haben zwar eine Mitbewohnerin, die ihr Essen sehr gerne sehr verbrennt, dis schmeckt der so, aber die wohnt ja auch nicht oben. Wir haben nämlich eine Wohnung, die zwei Stockwerke aufweist, verbunden durch eine Treppe. Wir wohnen oben und unten, unsere Mitbewohnerin, deren Name übrigens von hinten wie von vorne gelesen gleich klingt und sie heisst nicht Otto, die wohnt nur unten. Wir haben damals Streichhölzer gezogen, da hat sie das Kürzere erwischt, aber da wussten wir ja auch noch nicht, dass sie ihr Essen sehr gerne sehr verbrennt und der ganze Qualm, dis zieht ja alles nach oben, dis hat ja mit Physik zu tun. Sonst ist sie aber ganz nett. Hat keine Arbeit. Hat studiert.
Wie gesagt, vier Herzen. Dann kriegt man diese Pfanne, mit dem dazu passenden Deckel. Und dann schmeissen wir die andere Pfanne weg und dann verbieten wir unserer Mitbewohnerin die Pfanne mit Deckel ohne Deckel zu benutzen und dann können wir endlich auch wieder schlafen, vielleicht. Und, ohne Tränen in den Augen zu haben, gucken.
Es gibt ja Menschen, die diese Herzen an der Kasse der Kaufhalle einfach nicht annehmen. Die weisen die zurück, brüsk. Die lehnen das grundlegend ab. Die bezeichnen das als üble Machenschaft, als Ausgeburt des Kapitalismus. Man würde damit zu Sklaven dieser Handelskette gemacht. Die meinen allen Ernstes, man verlöre dadurch seine Freiheit. Die haben recht. Ich nämlich gehe bereits seit geraumer Zeit achtlos an jedem anderen Laden der Welt vorbei und zwar ohne mit der Wimper zu zucken, schnurstracks, obwohl es woanders billiger wäre, obwohl es woanders eine bessere Auswahl gäbe, obwohl woanders die grosse Liebe wartet, womöglich, an der Tiefkühltruhe, oder beim Speckregal, scheissegal, ich will die Herzen. Oder, anders gesagt, mein Sohn will die Herzen. Das betone ich besonders gern, besonders laut, an der Kasse, wenn nämlich hinter mir ein Punker wartet, oder ein Polizist, oder ein Pokemon, oder alle drei gemeinsam, in einer ungewöhnlichen Gruppenkonstellation. Dann sage ich sehr gerne sehr laut: „Ja, ich will diese Herzen. Für meinen kleinen Sohn, der sammelt die, der süsse Fratz.“ Weil, dann nämlich kann ich mich zu denen hinter mir umdrehen und überlegen lächeln, weil ich mich natürlich nicht habe verarschen lassen, vom faschistischen Schweine-System.
So, Punkt. Wo waren wir stehen geblieben? Ach, richtig. Falls jemand noch so Herzen hat, von euch, dann kann er sie mir gerne geben oder schicken, wie gesagt, ich brauche nur noch vier Stück davon, das heisst, mein Sohn braucht nur noch vier Stück davon, dann hat er es geschafft, dann bin ich endlich wieder frei, ich meine, er.
Bis März gibt es die noch, die Aktion. Für jene, welche erst jetzt auf die Idee gekommen sein sollten, damit anzufangen, denen sei gesagt, dis lohnt sich nicht mehr. Keine Chance. Dis schafft ihr nicht. Dis reicht höchstens noch zu `ner doofen Plastebüchse und die, die könnt ihr von mir aus auch noch kriegen, davon hab ich mindestens noch drei Stück. Die taugen nichts, so wie auch das ganze System nichts taugt, aber pssst, dis sage ich immer nur… leise.

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Von Comics und Sammlern

ATAK

Natürlich – es lag auf der Hand, eine STRAPAZIN-Ausgabe übers Sammeln zusammenzustellen. Comics und Sammeln bilden eine seltsame, aber glückliche Ehe. Darüber nun ein paar Gedanken.
Seit meiner Zeit als Comic-Verkäufer kann ich sie gut erkennen, diese besondere Spezies Männer, die auf nationalen und internationalen Comic-Messen, Tauschbörsen und Festivals auftaucht. Wie verkleidete Aasgeier ziehen die Typen mit gefüllten und dennoch schlaff hängenden Stoffbeuteln umher, gierig und mit feuchten Lippen wühlen sie sich von Stand zu Stand, immer auf der Suche nach dem einen seltenen Comic, nach der einen noch fehlenden Nummer, der legendären Erstausgabe, um die Sammlung zu vervollständigen oder gegebenenfalls eine neue zu eröffnen. Es gab Zeiten, da war ich auch einer von ihnen, nervös nach dem Schnäppchen jagend. Die Ähnlichkeiten von Comic-Sammlern mit Philatelisten oder Numismatikern ist nicht zu leugnen. Glücklicherweise wird dieser Typ Sammler mehr und mehr von jungen Studentinnen aus dem Umfeld diverser Kunsthochschulen oder von begeisterten Manga-Mädchen verdrängt, aber ganz aussterben wird er wohl nie. Bereits seit Jahren ist meine Tim-und-Struppi-Sammlung komplett, solange nicht irgendwo ein unbekanntes Manuskript aus der Feder von Hergé auftauchen sollte. Die Hoffnung nährt die Sammelleidenschaft.
Sammler können sich in ihren Sammlungen verirren. Jeder kennt mindestens eine Person im Freundeskreis, die er als sammel­wütigen Nerd bezeichnen würde. Für mich war dies immer der Herausgeber der Tollen Hefte gewesen, der leider zu früh verstorbene Armin Abmeier. Er verfügte über den eigenwilligsten Charakter unter all den Sammler-Prototypen, die ich kenne oder kannte. So erwarb er jeweils drei Exemplare einer Ausgabe. Eins zum Lesen, eins zum Verschenken (Armin war immer sehr grosszügig) und eins blieb eingeschweisst, also im sogenannten Mint-Zustand, als Garantie für den zukünftigen Sammlermarktwert. Was von einer Sammlung nach dem Tod des Sammlers bleibt, davon kann inzwischen Armins Ehefrau ein Klagelied singen: Die gesammelte Hinterlassenschaft verstopft Keller und Dachboden. Sie umfasst unzählige Kisten, prall gefüllt mit signierten Erstausgaben und anderen Comic-Raritäten. Diese gesammelten Juwelen repräsentieren auch ein Stück Comic-Geschichte: Von Robert Crumbs Erstausgaben über die RAW-Comic-Revolution eines Gary Panter bis hin zu Originalen von Chris Ware ist alles vertreten. Doch was tun mit einer Sammlung nach dem Tode des Sammlers? Eine Sammlung kann auch ein Fluch sein, vor allem für die Erben. Soll man die Kollektion nun verkaufen, splitten oder einem Museum vermachen?
In der Haut der Erben möchte ich nicht stecken. Denn eine private Sammlung lebt nur, solange der Sammler lebt. Sie lebt mit dem Sammler, ist mit ihm verwebt, bleibt mit ihm in Bewegung und muss nach seinem Tod mit der Auflösung oder einem Dasein in staubiger Einsamkeit rechnen.
Leben und Tod. Für mich hat das Sammeln auch immer etwas mit einem Erwecken zum Leben zu tun. Gerade beim Medium Comic stellt sich doch die Frage, ob es nicht erst durch das Sammeln erwachsen wurde. Die uns heute vertraute Form von Comic-Heften und -Büchern stammt aus den Dreissigerjahren, als windige Geschäftsleute populäre Zeitungsstrips als narrative Sammlungen in Magazinen wiederveröffentlichten. Überraschenderweise waren diese Comic-Hefte, losgelöst von ihrem Zeitungskontext, ungemein erfolgreich. Erst als kein wiederverwendbares Material mehr vorhanden war, entschlossen sich die Macher dazu, ureigene Geschichten für die Heftform zu wählen. Dank dem Erfolg populärer Serien wie Batman und Superman konnte sich der Comic auch als Medium etablieren. Aus den Heftchen entstanden Alben, aus den Alben wiederum Bücher, aus den Büchern entstehen heute ganze Filmzyklen.
Doch dies ist eine andere Geschichte.

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sammlertipps

SAMMLUNGEN


Art Dock Zürich

Nachlässe von Zürcher Künstlerinnen und Künstlern

Fritz Billeter, Präsident von Art Dock schildert es so: „Art Dock hat sich zum Ziel gesetzt, Nachlässe von Zürcher Künstlern und Künstlerinnen zu retten, zu erhalten, einem Publikum zugänglich zu machen“(…) So beginnt ein vom Unterzeichneten vor einem halben Jahr verfasstes Papier mit dem Titel „Was will Art Dock?“. Dieser einleitende Satz umschreibt die Zielsetzung von Art Dock zurückhaltend, korrekt, sachlich; er vermeidet das damit einhergehende Pathos. Heute sage ich es so: Art Dock stemmt sich gegen das kulturelle Vergessen der jetzt tonangebenden und erst recht der heranwachsenden Generation.
Alles begann 2002, als Ralph Baenziger eine Stiftung gründete, um das Lebenswerk des Künstlerpaars Trudi Demut / Otto Müller zu pflegen und zusammenzuhalten. Ab September 2012 wurden die Werke in einem Teil des Güterbahnhofs gezeigt und über die folgenden Monate ständig um Werke geistesverwandter Künstler erweitert. Es war ein voller Erfolg; die Ausstellung zog mehrere 10’000 Besucher an. Ende April folgte dann die Schliessung, da mit dem Abbruch des Güterbahnhofs begonnen wurde. Hier soll voraussichtlich 2018 das neue Justizzentrum entstehen.
Bis dahin wurden der Stiftung Demut-Müller und Art Dock seitens der städtischen und kantonalen Behörden jedoch erlaubt, ihr Experiment während drei Jahren im äussersten westlichen Teil des Güterbahnhofes weiter­zuführen.
Seither sind so spannende, überbordende und über­raschende Ausstellungen wie WahnWeltWellen im Jahr 2015 und Frauenpower (2016) entstanden. Keiner öffent­lichen Institution – weder Kunsthaus noch Helmhaus –
ist es auch nur annähernd gelungen, diesen Reichtum künstlerischen Gestaltens in der Art sichtbar zu machen, wie Art Dock ihn präsentiert hat! Ein absolutes MUSS bei jedem Zürich-Kultur-Besuch!

Trägerverein Art Dock Zürich
Hohlstrasse 258
8004 Zürich
www.art-dock-zh.ch




Schubladenmuseum

Kleinstes Museum der Welt Herbert Distel

Gerne wird das Schubladenmuseum als das kleinste Museum für moderne Kunst bezeichnet. In einem hölzernen Schubladenschrank, welcher ursprünglich in einem Kurzwarenladen der Präsentation von Nähseidenspulen diente, finden in über 20 Schubladen 500 Miniaturobjekte Platz. Jede Schublade misst 37,5 cm in der Breite und 38,5 cm in der Tiefe. In den 20 an der Frontseite verglasten Schubladen befinden sich jeweils 25 Kästchen mit den Massen: 4,3 cm hoch, 5,7 cm breit und 4,8 cm tief.
In jedem dieser insgesamt 500 kleinen Räume ist ein originales Werk untergebracht. Die Miniaturobjekte sind grösstenteils in den 1970er-Jahren eigens für das Schub­la­denmuseum angefertigt worden und passen jeweils in ein einzelnes Kästchen. Damit ist eine aussergewöhnliche Vielfalt an Kunstwerken, Künstlern und Kunstströmungen der 1960er und 1970er auf kleinstem Raum vertreten und gibt Überblick über die Kunst dieser Zeit. Mit Werken von HR Giger, Pablo Picasso, Joseph Beuys, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Christo uvm.
Initiant oder – wie er auch genannt wird – Installateur des Schubladenmuseums ist der Schweizer Maler, Filmemacher Objekt-, Video- und Tonkünstler Herbert Distel, 1942 in Bern geboren, wo er auch seine Schulzeit und Jugend verbrachte. Anschliessend liess er sich an der Kunstgewerbeschule zum Grafiker ausbilden und studierte später in Paris Lithographie. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz richtete er in Bern sein Atelier ein. Er gehörte in den 1960ern und 1970ern zu den führenden Vertretern der Berner Kunstszene.
Sein Schubladenmuseum wurde 1972 an der legendären Dokumenta 5 in Kassel gezeigt und steht jetzt in der Sammlung des Kunsthauses Zürich.
2011 erschien unter dem Titel DAS SCHUBLADENMUSEUM 1970–1977 – fünfhundert Kunstwerke der Moderne, ein 184-seitiger Katalog beim Verlag Scheidegger & Spiess.

www.scheidegger-spiess.ch
www.schubladenmuseum.com




MIAM

Musée International des Arts Modestes, Sète, Frankreich

Am Anfang waren da 300‘000 Objekte – gesammelt, gefunden, angehäuft durch Bernard Belluc. Fundorte waren Flohmärkte, die Wohnungen und Dachstöcke von Freunden und der Müll auf den Strassen. Am Schluss füllten die Figuren und Objekte aus den 1930ern bis zu den 1980ern sein ganzes Haus. 1990 trifft er auf Hervé Di Rosa, Künstler und ebenfalls Sammler. Aus der Begegnung reift die Idee eines Museums für „beschei­dene“ Kunst – Musée International des Arts Modestes. Im November 2000 öffnet das MIAM erstmals seine Tore.
Kernstück des Museums ist die Sammlung von Bernard Belluc. Präsentiert wird diese unermessliche Vielfalt an Objekten, Figuren, Maskottchen, Nippes und Sammler­stücken in unzähligen Vitrinen – geordnet, arrangiert und inszeniert nach Themen oder Farben. Gebündelt zu Geschichten und Anekdoten, eine archäologische Bestandesaufnahme unserer Konsumgesellschaft. Bewunderung und Kritik gleichermassen. Bewusst werden die Grenzen verwischt zwischen Trash, Art Brut, Volkskunst, Werbung, primitiver, hehrer und der sogenannt Naiven Kunst – Art Modeste eben. Ergänzt wird die Dauerausstellung jeweils durch Wechselausstellungen.
Das in der malerischen Altstadt von Sète in einem ehemaligen Weindepot beheimatete MIAM versteht sich als Labor und ist offen für Künstler aller Generationen und aller Schichten. Bei der nächs­ten Südfrankreichreise unbedingt einen Besuch wert!

www.miam.org




Gregory Blackstock und die Auflistung der Welt

Der amerikanische Künstler Gregory Blackstock hat grosse Schwierigkeiten mit der ständigen Unordnung in dieser Welt. So mag er kein Chaos und keine unbenannten Dinge. Alles muss für ihn einzuordnen sein. Sonst kann er sich nicht zurechtfinden. Jedes Ding, jeder banale Gegenstand braucht einen Namen oder zumindest eine Nummer. Deshalb sitzt Gregory stundenlang mit seinem Stift vor dem Zeichenpapier und versucht, Herr über die seltsamsten Spezifizierungen zu werden. Fast obsessiv räumt er unter unscheinbaren Alltagsgegenständen wie Sägen, Scheren, Schuhen, Vögeln, Flaggen und Geräuschemachern auf, katalogisiert sie penibel in einer Auflistung, in Hunderten von grossformatigen Zeichnungen – voll mit Objekten, dicht aneinander gedrängt, gezeichnet in kräf­tigen schwarzen Konturlinien, einige auch farbig unterlegt. So erschafft sich Gregory ein künstlerisches Verzeichnis von Dingen, die in unserer Welt existieren. Die Welt als illustrative Sammlung, als therapeutische Arbeit, aber auch zum Gefallen von Kunstinteressierten. Fast alle von Gregorys Listen beeindrucken neben der unglaublichen Pedanterie auch durch viel Humor. Mittels den jeweiligen Bezeichnungen kann der Betrach­ter nebenbei auch problemlos seine Englischkenntnisse auffrischen. Wenn Gregory mal nicht genau weiss, wie der Gegenstand aussieht, geht er einfach in ein entsprechendes Geschäft und schaut sich unter den Waren um. Er braucht weder ein Handy­foto noch einen Skizzenblock, um sich anschliessend zu erinnern. Seinem Gedächtnis reicht ein Blick. Der 1946 geborene Künstler ist ein Autist mit dem seltenen Savant-Syndrom, der sogenannten Inselbegabung. Nur wenige der daran Erkrankten jedoch zeichnen sich durch eine künstlerische Hochbegabung aus.
Gestartet wurde seine Karriere eher durch Zufall. Seine erste Zeichnung, eine Auflistung der Comic-Laute von Batman, veröffentlichte Gregory 1966 in der Zeitung des Sportclubs Washington, in dem er 25 Jahre lang das Geschirr spülte. Im Wesentlichen offenbart diese erste Zeichnung schon all das Typische von Gregorys künstle­rischem Stil; sie ist überfüllt mit einer Anhäufung von Comic-Sprechblasen-Geräuschexplosionen: BOOM! BANG! SPLURP! SMASH!
Heute ist sein Zuhause in Seattle vollgestopft mit Ausgangsmaterial, das auf eine zeichnerische Umsetzung wartet.




Museum der Dinge

Museen gibt es viele in Berlin. Die Stadt unterhält mehr als 175 Aufbewahrungsorte für Geschichte, Kunst und Wissen. Ein Sammlungsort befindet sich mitten in Kreuzberg, in einem ehemaligen Werkstattgebäude. Dort präsentiert das Werkbundarchiv – Museum der Dinge eine spannende Konstellation. Spezifische Produkte namhafter Werkbund-Gestalter von werden individuell gestalteten Notprodukten, inflationärer Billigmassenware und Kitsch-Objekten gegenübergestellt. Seit den Siebzigerjahren sammelt das Museum design-historisch bedeutende Objekte sowie Massenprodukte, zur Dokumentation des von der Warenkultur geprägten modernen Alltags. Die Sammlung umfasst inzwischen mehr als 20’000 Objekte. Kern ist das Archiv des Deutschen Werkbundes, einer 1907 gegrün­deten Vereinigung von Künstlern, Industriellen und Kulturpolitikern für eine modern-sachliche Gestaltung indus­triell gefertigter Produkte, der Architektur und des Lebensraumes. Die Leitziele der Bewegung konzentrierten sich deshalb auf die Qualität, Materialgerechtigkeit, Funktionalität und Nachhaltigkeit der Waren. In dieser Tradition widmet sich das Museum dem kulturhistorischen sowie soziologisch orientierten Umgang mit Dingen in der Industriegesellschaft. Unabhängig von der Vielzahl beeindruckender Exponate sticht das Museum durch eine unkonventionelle Aufbereitung und Ordnung der Sammlung hervor. Wie in einem Depot liegen High- und Low-Gegenstände in den Vitrinen nebeneinander. Manchmal nur nach Farben sortiert, wie z.B. ein Glasschrank mit Objekten in ausschliesslich Gelb-Schwarz, oder nach dem Materialcharakter ohne zeitlich chronologische Ausrichtung. Dieser moderne Blick – frei von jedem musealen Dogma und jeder ein­engenden Pädagogik – machen das Museum zu einem inspirierenden und ästhetisch anregenden Kunstgenuss.

Werkbundarchiv – Museum der Dinge
Oranienstrasse 25
10999 Berlin
www.museumderdinge.de

Tipps zusammengetragen von M.S. Bastian, Isabelle L. und ATAK

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wort

Das Geschriebene Wort

über Bücher, Bibliotheken und Bibliomane

Wolfgang Bortlik

Sammeln? Klar! Der Mensch war ja früher schon Jäger und Sammler. Statt Nahrung sammelt er heutzutage halt symbolische Werte und deren geistige Inhalte. Sammeln sei die Ersatzbefriedigung unerfüllter sexueller Wünsche, meinen die Freudianer. Das war ja von denen zu erwarten, so eine Erkenntnis. Sammeln sei die Leidenschaft der Kinder, für welche die Dinge noch keinen Warencharakter haben, meint Hannah Arendt und: Sammeln sei das Hobby von Leuten, die es sich leisten können, die Verklärung der Dinge zu ihrer Sache zu machen. Ich meine: Sammler sind total irre, nicht ganz dicht, völlig verrückt und balla-balla, aber sie sind zumeist grossartige Menschen.
Ich gestehe frank und frei, dass ich Bücher sammle, nicht bewusst und nicht zwanghaft. Denn Sammeln bedeutet immer auch zu wählen und zu wägen. Der Unnutz ist wichtig, also die Möglichkeit, dass man das Gesammelte sicher nicht braucht. Wie man halt auch Langspielplatten, CDs, Comics und all das andere Zeug sammelt. Denn das Sammeln ist eine tiefempfundene Freude am Haben.
Hab ich dich, du kleine miese deutsche Erstausgabe von Antonin Artauds Heliogabal oder der Anarchist auf dem Thron (Rogner & Bernhard, München 1973). Erinnert mich an meine reifere Jugend, als ich entdeckte, dass es noch ein Leben jenseits des asketischen Klassenkampfs gab.
Hab ich dich, du verdammte Metal Box von Public Image Ltd. (Virgin Records, London 1979), und zwar in der First Edition, bei der die Langspielplatten zum Teil so schlecht gepresst worden waren, dass man sich die Musik nie richtig anhören konnte, weil der Tonarm immer wieder aus der Rille hüpfte und ganze Passagen übersprang. Erinnert mich an meine noch etwas reifere Jugend, als ich entdeckte, dass es noch ein Leben jenseits von Punk gab. Und die übersprungenen Musikpassagen von PIL lehrten mich Demut und den Verzicht, die Akzeptanz der Leere. So hilft einem also Sammeln, indem man im Nachhinein um vieles gescheiter und souveräner sein Leben gestalten und dann erst noch einen Beitrag fürs STRAPAZIN schreiben kann.
Ich bin beispielsweise nicht der einzige Sammler hier im Mietshause. Der erwachsene Sohn des Abwarts hat eine vollständige Sammlung seiner sämtlichen Ciao-Töffli, die er in der Jugend gefahren hat. Wohlgewartet und fit stehen sie in einem Kellerabteil. Dazu gibt es dort einen Schrank voller Modellautos, Matchbox, Corgi, Dinky Toys, Schuco und so weiter. So viel Platz hat unsereiner nicht, deswegen bleibt es beim Büchersammeln und Verstauen im Billy-Regal. Vom Abgründigen bei dieser Beschäftigung soll jetzt dieses Geschriebene Wort handeln.

Fangen wir ganz früh an, im Jahre 1494. Da veröffentlichte in der freien Reichsstadt Basel ein gewisser Sebastian Brant ein Buch mit dem Titel Das Narrenschiff. Darin geht es in Gedichtform um die Narren, welche die gängigen Anstands- und Sittenregeln verletzten. Brant war Doktor beider Rechte, also des kirchlichen wie des welt­lichen, und Dekan an der Universität Basel.
Im Narrentanz voran ich gehe
Da ich viel Bücher um mich sehe
Die ich nicht lese und verstehe.

Die allererste Narretei, die Brant in seinen deutschen Versen geisselte, war in der Tat das Sammeln und Besitzen von Büchern. Das kam wohl auch davon, dass seit Mitte des Jahrhunderts der Buchdruck florierte, spätestens seit 1477 auch in Basel. Der Buchdruck war insofern ein gefährliches Ding, weil man da plötzlich Ansichten verbreiten konnte, die Kirche und Obrigkeit nicht gerade passten, dieses ganze Humanistenzeug zum Beispiel. Aber ausgerechnet Brants Buch wurde dann ein internationaler Bestseller, an die 130 Jahre lang gab es immer wieder Neuauflagen und Übersetzungen.
Wegen der den Schmähgedichten beigefügten Holzschnitten könnte man auch von einem frühen Comic sprechen, zumindest aber scheint Das Narrenschiff der Beginn der erfolgreichen Ratgeberliteratur zu sein. Dr. iur. Sebastian Brant wollte dann immerhin kein Schweizer werden und als Basel 1501 der Eidgenossenschaft beitrat, setzte er sich husch husch und kaisertreu nach Strassburg ab.
Viele Bücher zusammen ergeben eine Bibliothek: Die älteste bestehende Bibliothek ist die 1451 gegründete Vatikanische Bibliothek, die Sammlung mit dem berühmten Giftschrank. Da sollen jede Menge gefährlicher Bücher lagern, die an und für sich den Lauf der Geschichte geändert hätten, wenn sie denn je frei zur Lektüre zugänglich gewesen wären. Das kann man glauben oder nicht, diese Annahme jedoch sorgt immer wieder für neue phantastische Literatur sowie anschliessende Hollywood-Verfilmungen mit Tom Hanks. Die grösste Bibliothek nach Buchbestand ist offensichtlich die Library of Congress in Washington D.C. in den USA. Mehr oder weniger mythisch ist die Bibliothek von Alexandria, 300 Jahre vor Christus gegründet. Noch vorher gab es offensichtlich die Bibliothek des assyrischen Königs Assurbanipal in Ninive. Die bestand aus über 25.000 Tontafeln mit assyrischen, babylonischen und akkadischen Texten in Keilschrift. Heavy!

Der Zwang zum Büchersammeln verführt folgerichtig zur kriminellen Handlung. Aus der Bibliophilie wird die Bibliomanie. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts soll in Ostdeutschland der Pfarrer Johann Georg Tinius Kirchengelder veruntreut und mehrere Raubmordversuche begangen haben, um seine Sammelleidenschaft zu befriedigen. Zwischen 30.000 und 60.000 Bücher soll er in seiner Bibliothek gehabt haben, eine unglaubliche Zahl für diese Zeit. 1823 wurde er zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt, obwohl er seine Gewalttaten immer abstritt.
1836 wurde in Barcelona dem Antiquar Don Vicente der Prozess gemacht, weil er in seiner krankhaften Büchermanie selbst vor Verbrechen nicht zurückgeschreckt war. Er war Mönch und Verwalter einer Klosterbibliothek und wurde wegen mehrfachen Mordes hingerichtet.
In diesem Jahr 1836 war Gustave Flaubert 15 Jahre alt und ging ins Gymnasium. Seine erste bekannte Erzählung schrieb er in diesem zarten Alter, ihr Titel war Bibliomanie und handelt von einem Büchernarr namens Giacomo in Barcelona.
Er war Mönch gewesen; für die Bücher hatte er Gott verlassen. Später opferte er das zweithöchste Gut der Menschen: das Geld. Schliesslich verkaufte er das Teuerste nach dem Geld: seine Seele.
Angesichts dieser kleinen Schauergeschichte war ziemlich absehbar, dass dieser junge Schnösel Flaubert mal ein grosser Schriftsteller werden würde.

Jorge Francisco Isidoro Luis Borges Acevedo war einer der wirklich grossen und genialen Schriftsteller, die nie den Nobelpreis für Literatur bekommen haben. Damit wären wir auch bei Bob Dylan alias Robert Zimmerman, dem diesjährigen Preisträger, der ja auch Objekt obsessiven Sammelns ist. Es gibt Leute, ich kenne da ein paar, die zum Beispiel jede Abweichung vom Originaltext, welche der Meister in seinen Konzerten singt, fieberhaft notieren. Ich würde ja sagen, dass sich The Big Zim jeweils nicht mehr an seine ursprünglichen Texte erinnern mag, aber man kann das natürlich auch als innovativ und als literarische Arbeit sehen und bewerten. Und sammeln.
In diesem Sinne muss auch noch schnell eingeschritten werden gegen all jene, die Dylans Texte als surrealistisch bezeichnen. Das ist Quatsch, sein literarisches Schaffen ist allegorisch und/oder phantastisch und/oder symbolisch und/oder (in seiner hohen Zeit als Dichter jedenfalls) von psychogenen Drogen beeinflusst, jedoch immer von hohem Wirklichkeitswert.
Aber zurück zu Jorge Luis Borges, dem die Poesie über alles ging und der früh erblindet war. Der blinde Dichter, allegorisch wie sonst was! Eine Welt, bloss aus Büchern bestehend, so stellte sich Borges das Paradies vor. Oder eben das Universum als Bibliothek, so wie es in seiner kurzen Erzählung Die Bibliothek von Babel aus dem Jahre 1941 beschrieben wird. Und der Mensch ist der unvollkommene Antiquar: das Universum, so elegant ausgestattet mit Regalen, mit rätselhaften Bänden, mit unerschöpflichen Treppen für den umherwandernden und mit kleinen Stufen für den sitzenden Bibliothekar.

Kommen wir vom Kriminellen, Symbolischen und Kosmischen wieder zurück zum harmlosen Bücherfreund. Zum Sammler, dem es Vergnügen bereitet, Bücher in seinem Rücken zu wissen. Bücher, die einen nicht hängen lassen, die einen stützen, die einem helfen, die einen unterhalten, die einen weinen und lachen lassen, die einem eben den Rücken frei halten, Bücher, die man in der Hand halten kann, an denen man sich festhalten kann.
Angesichts der freilich törichten apokalyptischen Drohung, das Buch werde verschwinden, erwacht und erblüht erneut die Liebe zu diesem magischen Objekt, das uns schon vor der Erfindung des Buchdrucks begleitet hat, und gerade der Schauder bei der Vorstellung, diese Objekte könnten verschwinden, legt uns nahe, von den Büchern zu sprechen, die bewiesen haben, dass sie über ein halbes Jahrtausend überleben konnten.
Das meint Umberto Eco, auch so ein Sammler und Bibliomane, zum ganzen Komplex. Man kann nur hoffen, dass der Mann recht behält.

Playlist

Steven Gilbar (Herausgeber): „Bibliomania“.
Ein listenreiches Buch über Bücher. Dörlemann Verlag,
160 Seiten, Hardcover, EUR 16 / CHF 23.90

Gustave Flaubert: „Bücherwahn/Bibliomanie“.
Waldgut Verlag, französisch/deutsch, 76 Seiten,
Softcover, EUR 24 / CHF 26.—

Jorge Luis Borges: „Die Bibliothek von Babel“.
Sechs Erzählungen. Reclam Universal-Bibliothek,
176 Seiten, Softcover, EUR 3 / CHF 5.40

Umberto Eco: „Die Kunst des Bücherliebens“.
dtv Verlag, 194 Seiten, Softcover, EUR 9,90 / CHF 13.50

Sebastian Brant: „Das Narrenschiff“.
Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks von 1494.
Reclam Universal-Bibliothek, 619 Seiten,
Softcover, EUR 13,80 / CHF 21.90

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jacques

Zum Tod von Jacques Noël Pacôme Thiellement

Jacques Noël ist nicht mehr. Der Mann, der die Buchhandlung als Tor in eine andere Welt neu erfunden hat, ist gestorben. Man betrat seinen Laden Un Regard Moderne an der Rue Gît-le-coeur 10 und schon befand man sich in einem Paralleluniversum, verlor sich in Räumen, die wiederum in Räume unterteilt waren. Wie Alice im Wunderland kam einem alles entweder viel zu gross oder viel zu klein vor, während Jacques – rätselhaft und majes­tätisch wie die Cheshire-Katze – seinen Kunden Bücher reichte, als wären es die Pilze, die einen wachsen oder schrumpfen lassen.
Ich weiss nicht mehr, ob es Jean-Christophe Menu oder Placid (französischer Maler, Illustrator und Comic-Zeichner) war, der mich 1988 auf Jacques’ Laden aufmerksam machte. Ich war zwölf Jahre alt, als ich zum ersten Mal die Buchhandlung betrat, die damals noch Les Yeux Fertiles hiess und an der Rue Dante oder Danton lag (damals verwechselte ich die beiden immer, denn ich hatte Ersteren nicht gelesen und Letzteren nicht studiert). Ich war auf der Suche nach dem neuen Heiligen Gral, den Graphzines oder Fanzines, den in Kleinstauflagen gedruckten Heftchen, voll von wunderbaren Bildern und verblüffenden Visionen. Ich kannte bereits Bazooka, aber Künstler wie Pascal Doury, Captain Cavern, Y5/P5, Philippe Lagautrière oder Jacques Pyon lernte ich erst durch Magazine und Bücher kennen, die ich bei Jacques Noël kaufte; eigentlich entdeckte ich das Leben erst durch Jacques’ Augen.
Und dann die absolut verrückten Bücherstapel, die überall in seinem Laden aus dem Boden wuchsen! Wie viel Zeit habe ich damit verbracht, auf der Suche nach einem bestimmten Buch oder Magazin Jacques’ Bücherberge und –täler zu überwinden, bis ich das Gesuchte in einer Sub-Abteilung einer Sub-Abteilung fand. Zwischen 1988 und 1991 gab es wohl kaum einen Samstag, an dem ich seine Buchhandlung nicht besuchte. Und 1998 ging ich wieder zu ihm, diesmal mit meinem Magazin Spectre. Jacques war der einzige Buchhändler, dem ich ein paar Exemplare brachte. Als ich wieder aus dem Laden trat, hatte ich einen Stapel Bücher von oder über Burroughs unterm Arm, damals mein Lieblingsschriftsteller. Jacques wusste eine Menge über Burroughs zu erzählen, der Ende der Fünfzigerjahre gleich nebenan gelebt hatte, im legendenumwobenen Beat Hotel an der Rue Gît-le-Cœur 9.
Im Regard Moderne fand man tatsächlich alles. Manchmal wurde es mir fast zu viel. Wie ein Süchtiger auf Entzug taumelte ich dann in den Laden und hätte mein letztes Hemd verpfändet, um all die wunderbaren Raritäten, die mir plötzlich so unentbehrlich schienen, erstehen zu können. Niemand schaffte es wie Jacques, mir Bücher derart schmackhaft zu machen, dass ich sie einfach kaufen musste, auch wenn ich mich später fragte, wie sie den Weg in meine Regale gefunden hatten.
Und jetzt erfahre ich von Guillaume Dumora, dem anderen weltbesten Buchhändler und Gründer der nicht minder wunderbaren Buchhandlung Le Monte-en-l‘air an der Rue de Ménilmontant, dass „die Welt den besten Buchhändler der Welt“ verloren hat.
Jacques Noël ist nicht mehr … Aber jedes Mal, wenn ich nicht mehr weiss, wo ich ein Buch aus meiner Bibliothek gekauft habe, denke ich an ihn. Das tröstet mich etwas über den Verlust hinweg.

Jacques Nöel, * 1946, gestorben am 1.10.2016 in Paris, gründete in den Sechzigerjahren die Buchhandlung Les Yeux Fertiles, 1991 dann Un Regard Moderne, nur ein paar Schritte weiter, an der Rue Gît-le-Cœur 10.
Un Regard Moderne war anfangs eine Buchhandlung mit einer kleinen Galerie im Nebenraum, bevor auch diese von den Bücherstapeln überflutet wurde und an den Wänden bald kein Platz mehr für Bilder war. Jacques Nöel war König in seinem unendlich reichen Fundus von neuen Büchern, raren Siebdrucken, Fanzines und Mikroeditionen, von erotischer Literatur, Werken zugewandter Künstler, und vielem, vielem mehr.

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badoux

Ciao, Badoux!

Gerade war er noch da. Gerade habe ich ihn noch an seinem Arbeitstisch gesehen, auf seinem durchgerittenen Ledersessel sitzend, über einen A2-Papierbogen gebeugt, auf dem er mit einem seiner Trillionen Blaustifte einen Comic skizzierte, eine Flasche Bier neben sich. „Tschüss! Bis am Montag!“ Nur Stunden später war Badoux tot, mit 52 Jahren durch ein akutes Herzversagen aus dem Leben gerissen.
Längst gehörte Christophe Badoux zur alten Garde der im STRAPAZIN-Atelier ansässigen Zeichner, Illustratorinnen und Verleger. Für uns noch Ältere aber war er, der erst ein paar Monate nach der Eröffnung des Ateliers im Jahr 1994 zu uns stiess, immer ein „Neuer“ geblieben, einer der jungen Generation von Comiczeichnern, die, unbelastet von den linken Dogmen der Siebzigerjahre, drauflos strichelten.
Eine Weile lang belauerten wir uns etwas misstrauisch, aber da flatterte ein Auftrag herein, der wie geschaffen für uns beide war: Die Firma Lego suchte Comics für ihre Kinderbroschüre. Zusammen entwarfen wir ein Geschwisterpaar, das sich dank Lego-Bausteinen aus jeder verzwickten Situation rettet. Ich schrieb die Geschichten, Badoux zeichnete die dreiseitigen Comics, der Auftraggeber war zufrieden. Ich empfand die Arbeit mit Badoux als besonders angenehm, da er beim Ausarbeiten der Geschichte eigene Ideen einbrachte und keine Schere im Kopf mit sich trug. Er foutierte sich um alle Regeln und setzte sich mit seinem hellen, klaren Ligne-Claire-Stil bewusst ab von den ZeichnerInnen der frühen Achtzigerjahre mit ihren demonstrativ verschrobenen Geschichten. Bald kamen Aufträge von Zeitschriften und Magazinen, er illustrierte Schulbücher und Artikel, entwarf zusammen mit dem Kabarettisten Beat Schlatter den Krimi Bupo Schoch, mit der Neurochirurgin Nadia Khan das Buch Fatmas fantastische Reise, und 2008 erschien Klee, eine Künstlerbiografie in Comicform, die vielfach besprochen und gelobt wurde.
Und immer wieder zeichnete er für STRAPAZIN.
Gemeinsam mit Autor Marcel Gamma veröffentlichte Badoux ab 2004 die Strips um den schlecht rasierten Südkurven-Ultra Stan the Hooligan. Der Erfolg hält bis heute an, was auch damit zu tun hat, dass Badoux, wann immer möglich, im Letzigrund-Stadion seinen FCZ anfeuerte, oft sogar zusammen mit seiner Familie (auch wenn sein Sohn, wie Badoux etwas wehmütig erzählte, vor allem wegen der Bratwurst mitkam). Im Spiel gegen Steaua Bukarest – eine Woche nach seinem Tod – hissten die Fans der Südkurve Transparente mit der Figur von Stan, in einer Sprechblase stand zu lesen: «Ich wird immer i de Kurve stah!»
Seit einiger Zeit war Christophe Badoux als Dozent an der Hochschule Luzern, Abteilung Gestaltung und Kunst, tätig. Uns, die wir ihn und seinen Umgang mit Kindern und Jugendlichen kannten, erstaunte es nicht, dass ihn diese Arbeit ebenso erfüllte wie das Zeichnen weiterer Cartoons, zuletzt im Band Krank geschrieben, einer Sammlung von Comics rund um die Welt der Ärzte.
Er war ein zäher Schaffer, der zwar die Arbeiten oft erst in letzter Minute ablieferte, der aber immer für alle ein offenes Ohr hatte und jederzeit half, wenn die Alten oder auch die Jüngeren im Atelier den Scanner erklärt haben wollten oder sich unschlüssig waren, welche Hintergrundfarbe, welche Art von Perspektive, welche Schrift sie in den Sprechblasen oder welchen Blaustift sie für ihre Werke verwenden sollten …
Gerade eben ging Badoux noch durchs Atelier, in der Hand die Bierdose und auf den Lippen einen ebenso träfen wie saublöden Spruch, der uns alle zum Lachen brachte.

Im Namen der STRAPAZIN-Familie, Christoph Schuler

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BIOGRAFIEN

Ahne
* 1968 in Berlin. Gehört zum festen Stamm der Berliner Lesebühne Reformbühne für Heim & Welt. In Umkreis von Berlin ist er berühmt geworden mit den Geschichten Zwiegespräche mit Gott.

ATAK
* 1967 in Frankfurt/Oder. Er lebt und arbeitet als Comic-Zeichner, Illustrator und Künstler in Berlin. Seit 2007 Professor für Illustration an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale.
Regel­mässige Ausstellungen und Publikationen weltweit.
www.fcatak.de

David B.
* 1959 als David Beauchard, lebt und arbeitet als Autor, Comic-Zeichner und Illustrator in Bologna.
Mitbegründer des französischen Autorenverlags L’Association.

M.S. Bastian
* 1963 in Bern. Fachklasse für Grafik, Schule für Gestaltung in Biel. Seit 1993 freischaffender Comix-Künstler.
Regelmässige Ausstellungen in Galerien, Museen und Kunstmessen in der Schweiz, Deutschland und Frankreich sowie an Comic-Festivals weltweit.

Paula Bulling
* 1986 in Berlin. Paula zeichnet, schreibt und übersetzt Comics. Derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Buch, das 2017 beim Avant-Verlag erscheint. Sie lebt in Berlin.
www.paulabulling.net

François Burland
* 1958 in Lausanne. Obwohl er von der Kunstschule abgelehnt wurde, fasste er mit 17 Jahren den Entschluss, sein Elternhaus zu verlassen und Maler zu werden. 1978 erste Galerieausstellung in Lausanne. Burland gilt als Aussen­seiterkünstler, seine Arbeiten sind bei Art Brut anzusiedeln und werden in Galerien und Museen weltweit gezeigt.

Robert Deutsch
* 1981 in Köthen, lebt und arbeitet als Illustrator und Comic-Zeichner in Halle und Leipzig. Im Frühjahr 2017 erscheint seine Graphic Novel über Alan Turing im Avant-Verlag.
robertdeutsch.blogspot.de

Ernestine Donnerberg
* 1993 in Erfurt. Sie studiert Kommuni­­­ka­tionsdesign an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale.
www.erni-donnerberg.de

Chrigel Farner
* 1972 in Schaffhausen, hat wissenschaftliches Zeichnen an der Schule für Gestaltung in Zürich studiert. Er lebt und arbeitet als freischaffender Illustrator und Comic-Zeichner in Berlin.
www.chrigelfarner.com

Serafine Frey
* 1986 in Bern. Studium an der Schule für Gestaltung in Biel. Sie lebt und arbeitet als freischaffende Illustratorin und Grafikdesignerin in Berlin.
www.serafinefrey.ch

Tim Furey
Er lebt und arbeitet als Künstler im Süden von New Jersey, USA.

Jochen Gerner
* 1970, lebt und arbeitet als Autor, Illustrator und Comic-Zeichner in Nancy. Mitglied von OuBaPo (Ouvroir de Bande dessinée Potentielle), Publikation zahlreicher Comics und experimenteller Bildergeschichten.
www.jochengerner.com

Moritz Götze
* 1964 in Halle/Saale, machte eine Lehre als Möbeltischler und arbeitet seit 1986 als Maler und Grafiker in Halle/Saale.

Benjamin Güdel
* 1968, lebt und arbeitet in Zürich. Publikationen in zahlreichen Medien, wie etwa Zeitmagazin, Rolling Stone u.v.a.. Auf seiner Website veröffentlicht er seit 2014 ein fiktives Reisetagebuch mit gezeichneten Szenen aus Google-Streetview.
www.guedel.biz

Lenia Hauser
* 1989 in Remscheid. Studium in Düsseldorf und an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale.
Sie lebt und arbeitet in Halle/Saale.
www.leniahauser.de

Line Hoven
* 1977 in Bonn, lebt und arbeitet als Comic-Zeichnerin und Illustratorin in Hamburg. Ihre Graphic Novel Liebe schaut weg wurde in mehrere Sprachen übersetzt und unter anderem mit dem e. o. plauen-Förderpreis ausgezeichnet.
www.linehoven.de

CX Huth
* 1964 in Anklam, lebt und arbeitet er als Künstler in Berlin. Seine Bücher sind bei Reprodukt erschienen.

Isabelle L.
* 1967. Fachklasse für Grafik, Schule für Gestaltung in Biel. Ab 2000 projektbe­zogene Zusammenarbeit, seit 2004 ständige Zusammenarbeit mit M.S. Bastian. Regelmässige Ausstellungen in Galerien, Museen und an Kunstmessen in der Schweiz, Deutschland und Frankreich sowie an Comic-Festivals weltweit.

Andy Leuenberger
* 1972 in Basel, lebt in Berlin. Satirischer Zeichner und Künstler, veröffentlicht seit 15 Jahren im Eigenverlag mindestens ein Heft oder Buch pro Jahr.
www.andyleuenberger.com

Moolinex
* 1966, lebt und arbeitet als Zeichner, Illustrator und Künstler in Poitiers.
Sein letztes Buch Tattootoo ist 2015 bei Cornélius erschienen.
artpute.over-blog.com

Paul Paetzel
* 1984, lebt und arbeitet in Berlin. Mitbegründer der Edition Biografiktion, wo er seine Hefte, Grafiken und Poster publiziert. Neben seinem Beruf als Illustrator arbeitet er als Karate-Trainer.
www.flickr.com/photos/paulpaetzel

Andreas Platthaus
* 1966 in Aachen, lebt in Leipzig. Seit 1997 verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben im Feuilleton der Frankfurter Allge­meinen Zeitung. Seit 2007 Ehren­mit­­glied der Donaldisten.

Benedikt Rugar
* 1984 in Offenbach. Studium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main und an der Kunsthochschule Berlin Weissensee. Er lebt und arbeitet als Illustrator in Berlin.
www.benediktrugar.de

Ulrike Steinke
* 1975 in Neu Kaliss/Mecklenburg. Meisterschülerstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, sie lebt und arbeitet in Leipzig.
www.ulrike-steinke.de

Maria Sulymenko
* 1981 in Kiew. Studium an der Staat­lichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main.
Sie lebt und arbeitet in Fridingen an der Donau.
www.mariasulymenko.de

Pacôme Thiellement
* 1975. Französischer Essayist, Film­schaffender und Denker. Zahlreiche Publikationen zu so verschiedenen Themen wie Popkultur, Film, Bande Dessinée. Sein letztes Buch Popyoga erschien 2013 bei Sonantine-Editions.
www.pacomethiellement.com

Brecht Vandenbroucke
* 1986 in Veurne, studierte Illustration an der Kunsthochschule St-Lucas in Gent. Er lebt und arbeitet als Illustrator und Comic-Zeichner in Antwerpen.
www.instagram.com/brechtvandenbroucke
www.brechtvandenbroucke.blogspot.be

Matthias Wyss
* 1985 in Hessigkofen, lebt und arbeitet in Biel. Er studierte Grafik an der Schule für Gestaltung in Biel. 2006 erschien seine erste Publikation Dschungel, erstes Buch. Seine Werke waren bereits in verschiedenen nationalen und internationalen Ausstellungen zu sehen.

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