Portrait von Asakawa Mitsuhiro
Obwohl er seit fast zwanzig Jahren nichts mehr veröffentlicht hat,
ist Tsuge Yoshiharu in Japan so berühmt wie Tezuka Osamu. Auch er
spricht Leser aller Generationen und Kulturen an, allerdings auf ganz
andere Weise als sein 1989 verstorbener Zeichnerkollege. Viele seiner
Comics sind düster und ernst. Sie steuern nicht geradlinig auf eine
Lösung der präsentierten Konflikte hin und bieten keine Hoffnungsbilder.
Als erster Zeichner hat Tsuge Techniken der so genannten "ch-Erzählung"
("shi-shosetsu" oder in anderer Lesung des gleichen Zeichens
"watakushi shosetsu"), eines Genres der modernen japanischen
Literatur, auf den Comic übertragen. Wie die Autoren dieser um 1920
aufgekommenen Prosaform sucht auch Tsuge über persönliche Erlebnisse
einen wertfreien Zugang zur Wirklichkeit Japans; wie sie beschränkt
er sich auf die eigenen Empfindungen und verzichtet sowohl auf eine Einbeziehung
grösserer gesellschaftlicher Zusammenhänge als auch auf die
Gestaltung spannender Entwicklungsbögen, welche man etwa von Autobiografien
("jiden") erwarten mag. Nur dürftig hüllt er seine
Erfahrungen in ein Gewand der Fiktion, verzichtet häufig auf erklärende
Anschlüsse und erzielt gerade deshalb eine Wirkung fundamentaler
Authentizität. Im Zentrum der Geschichten steht die schonungslose
Auseinandersetzung mit sich selbst, mit Einsamkeit, Erotik, Tod, mit dem
Ausbleiben genialischer Einfälle für grosse Mangaerzählungen,
mit der Ziellosigkeit des eigenen Lebens. Zu Recht gilt Tsuge seit den
späten 1960er-Jahren als Begründer eines neuen Genres, des "ch-Comic"
("Watakushi manga"). Auf seine Kurzgeschichten trifft zu, was
Jürgen Berndt für die literarische "ch-Erzählung"
festgestellt hat: "Die auf das Finden zum Ich abzielende Selbstschau
des Autors führt entsprechend dem Postulat nach unbedingter Wahrhaftigkeit
über das Bekenntnishafte zu einer oft schonungslosen Selbstentblössung,
die andererseits aber auch mit dem Aufspüren feinster seelischer
Vorgänge und dem Streben nach höchster psychologischer Genauigkeit
verbunden ist".1 Doch Tsuges Werke gehen, zumindest in ihrer Wirkung,
über rein persönliche Themen und Motive hinaus. Seine Geschichten
spielen in verfallenen, halb vergessenen Gegenden, an denen das Wirtschaftswunder
vorbeigegangen zu sein scheint. Im Kontext des künstlerischen "Underground"
sowie der Studentenrevolte der späten 1960er-Jahre wurden sie als
Bilder für die überstürzte Modernisierung verstanden, die
die Mächtigen dem Lande aufgezwungen hatten.
Tsuge Yoshiharu wurde am 30. Oktober 1937 in Tokio geboren. Da der Vater
bereits 1942 starb, wuchs er mit seinen beiden Brüdern Masanori und Tadao
(letzterer später ebenfalls ein angesehener Garo-Zeichner) bei seiner
Mutter auf, die bald wieder heiratete. Seine Kindheit war nicht glücklich.
Armut und die Wirren der Nachkriegszeit zwangen ihn, sich schon nach Abschluss
der Elementarschule mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Mit 14
versuchte er sogar, als blinder Passagier auf einem Schiff in die USA
zu gelangen, doch die Küstenwache erwischte ihn, noch bevor das Schiff
den Hafen verlassen hatte. Tsuge war ein schüchterner Junge, der seit
frühester Jugend zeichnete und hoffte, eines Tages Comics veröffentlichen
zu können. Mit 16 begann er, für die damals überaus populären "kashihon'ya"
(Leihbuchhandlungen) zu arbeiten. Diese verhalfen ihm 1954 zum Debüt:
In der Oktoberausgabe der Anthologie "Tsukai bukku" (etwa: "Aufregendes
Buch") des Verlags Hobunsha erschienen die Kurzgeschichten "Hannin wa
dare da!" ("Wer ist hier der Täter?!") und "Kisotengai" ("Phantastisch").
Anfangs war Tsuges Zeichenstil sowohl von Tezuka Osamu als auch von dem
kurz zuvor in Osaka entstandenen Gekiga der Leihbuchhandlungen geprägt.
Dieser versuchte, die soziale Wirklichkeit schärfer als die bislang vorherrschenden
Kindermanga in den Blick zu bekommen. Seine Zeichner legten Wert auf eine
realistische Präsenz ihrer Figuren und stellten das Panel-Layout ebenso
wie die Auswahl der montierten Bildausschnitte in den Dienst der Psychologisierung.
Darauf griff Tsuge zurück. Ausserdem wurde er vom Gekiga in seiner Erzählweise
beeinflusst. In seinen Geschichten gibt es kein Happy End. Die Protagonisten
befinden sich meist in einer ausweglosen Situation. Doch selbst wenn sie
von den Umständen fast erdrückt werden, lehnen sie sich nicht dagegen
auf, sondern beugen sich resignativ ihrem Schicksal.
Anfangs der 1960er-Jahre verschwanden die Leihbuchhandlungen und mit ihnen
Tsuges Unterhaltsquelle. Er hatte mit Armut und Depressionen zu kämpfen,
unternahm einen Selbstmordversuch und verdiente sich schliesslich mit
Blutspenden das Geld, das er benötigte, um seine Schulden abzahlen zu
können. Erst durch Garo bekam er eine neue Chance. Das 1964 gegründete
Magazin veränderte das vorherrschende Bild des Manga grundlegend. Es stellte
den Comic als künstlerische Ausdrucksform vor und machte deutlich, dass
sich dieses Medium nicht nur an Kinder richtete. Im Unterschied zu den
bereits etablierten Mangamagazinen war Garo nicht in erster Linie auf
kommerziellen Erfolg ausgerichtet, sondern verstand sich als Experimentierfeld
und bot den Zeichnern eine kreative Freiheit, die anderswo nicht zu finden
war. Der Herausgeber Nagai Katsuichi wurde auf der Suche nach neuen, viel
versprechenden Künstlern auch auf Tsuge aufmerksam. 1965 schaltete er
in seinem Magazin die Annonce: "Tsuge Yoshiharu, bitte melden Sie sich
bei uns! "
Im Februar 1966 erschien in Garo Tsuges 14-seitige Kurzgeschichte "Numa"
("Der Sumpf"). Leser wie Zeichnerkollegen reagierten heftig, aber ablehnend,
denn sie fühlten sich durch die makabre Erotik und das offene Ende irritiert.
Eine Frau findet im Sumpf eine angeschossene Wildgans und deren Jäger,
den sie mit zu sich nimmt. Vor dem Schlafengehen erklärt sie ihm, dass
sie sich eine Schlange als Haustier halte, weil es sie errege, von dieser
nachts manchmal fast erwürgt zu werden. Im Dunkeln dann macht es der schlaflose
Jäger der Schlange nach. Am nächsten Morgen geht er in den Sumpf zurück,
hält sein Gewehr in die Natur und schiesst.
Bereits für "Chiko" (etwa: "Tschilpchen"), das im Monat darauf erschien,
verwendete Tsuge dem "ch-Roman" entlehnte Techniken. Er verzichtete auf
einen zentralen Handlungsstrang mit Spannungsmomenten, auf eine Entwicklung,
die zu einer Lösung führt. Die Geschichte handelt von einem auftragslosen
Comiczeichner, der in wilder Ehe mit einem Barmädchen zusammenlebt. Bald
fühlt er sich daheim so gefangen wie das Vögelchen, das er seiner Freundin
als Haustier gekauft hat. Aus dem Versuch, es zu porträtieren, wird ein
Spiel, bei dem er es aus Versehen tötet. Das hält er jedoch vor seiner
Freundin geheim. Am Ende sieht das Paar der davonfliegenden Zeichnung
des Vogels hinterher. Solche Geschichten hatte es selbst für Jugendliche
bis dahin nicht gegeben. Sie seien zu schwarzmalerisch, zu dekadent, hiess
es bei Lesern und Kritikern. Tsuge war enttäuscht. Nach der Veröffentlichung
von "Hatsutake-gari" (etwa: "n die Pilze gehen") im April-Heft 1966 zeichnete
er ein ganzes Jahr lang nichts mehr.
Während dieser Pause arbeitete er zunächst als Assistent von Mizuki Shigeru,
einem Garo-Zeichner der ersten Stunde. Nicht zuletzt unter dessen Einfluss
verlor sein grafischer Stil das Rundliche zugunsten eines kantigeren,
realistischeren Strichs, wurden die Hintergründe zu minutiös gezeichneten
Landschaften. Dann ging er auf Wanderschaft und durchstreifte arme, trostlose
Gegenden jenseits der Touristenströme. Aus diesen Reisen gewann er Material
für neue Geschichten, die an realen Orten spielen, aber fiktive Charaktere
und Handlungen haben. Manche Kritiker übersahen aufgrund der vermeintlichen
Kunstlosigkeit, dass es sich bei diesen so genannten "Reiseerzählungen"
nicht um unbearbeitete Beobachtungen handelte. Doch es gab auch Ishiko
Junzo und seine Mitstreiter Gondo Susumu, Kajii Jun und Yamane Sadao (alias
Kikuchi Asajiro). Sie versuchten, den Eigenarten des Mediums Comic gerecht
zu werden und dafür eine weder der Literatur- noch der Filmwissenschaft
entlehnte, eigenständige Sprache zu entwickeln. Sie äusserten sich in
Garo, hatten aber mit der Fachzeitschrift Mangashugi (etwa: "Comicism",
d.h. Comic als Prinzip, 1967-1978) auch ihr eigenes Forum. Gleich die
erste Nummer widmeten sie Tsuge. Dadurch bestärkt nahm dieser seine Mitarbeit
an Garo wieder auf und publizierte dort 1967/68 vierzehn Geschichten.
Zu diesen zählen "Sanshouo" ("Der Salamander"), in der ein Salamander
in der Ich-Form aus seinem Leben in der Kanalisation erzählt, und "Li-san
ikka" ("Familie Lee"), die von einer seltsamen koreanischen Familie handelt,
welche sich bei dem Ich-Erzähler einnistet, aber auch "Akai hana" ("Rote
Blüten"), deren Titel sich auf die Menstruation einer Zwölfjährigen bezieht:
Sie führt anstelle ihres versoffenen Vaters in den Bergen einen Teestand,
an dem ein Mann auf der Suche nach guten Angelplätzen vorbeikommt. Als
"Reiseerzählungen" lassen sich des Weiteren solche Comics anführen wie
"Honyarado no Ben-san" (etwa: "Schneehöhlen-Ben") - einen Mangazeichner
auf Wanderschaft verschlägt es Anfang Januar zu Ben, der in seiner Herberge
schon lange keinen Gast mehr hatte -, "Gensenkan shujin" (etwa: "Der Wirt
vom Gasthof Urquell") - hier geht es vermeintlich darum, wie die taubstumme
Besitzerin eines Gasthofs in einem heruntergekommenen Kurort zu ihrem
Gatten kam -, "Mokkiri-ya no shojo" ("Das Mädchen aus der Mokkiri-Schenke")
- der Ich-Erzähler erinnert sich an eine Kellnerin auf dem Lande - und
"Chohachi no yado" ("Ein Gasthof mit Chohachi-Dekor") - in einem entlegenen
Badeort beobachtet der Ich-Erzähler die Frauen des Gasthofs und bekommt
von einem alten Mann die Geschichte einer fehlgeschlagenen Werbekampagne
erzählt. Eine seiner Geschichten löste jedoch eine wahre Schockwelle aus,
weckte Bewunderung bei Schriftstellern wie Psychologen und sollte eine
Flut an Sekundärliteratur hervorbringen: "Nejishiki" (etwa: "Verschraubt").2
Tsuge hatte sie unter Zeitdruck für die ihm gewidmete Garo-Sondernummer
im Juni 1968 gezeichnet. Sie beruhte auf einem Traum, den er während eines
Nickerchens auf einer Balkonterrasse hatte: Ein Junge, der von einer rätselhaften
Qualle verletzt worden ist,3 irrt auf der Suche nach einem Arzt durch
eine kleine Küstenstadt. Seine Wunde wird zwar letztendlich geheilt (durch
Sex mit einer Gynäkologin, die ihm eine Flügelschraube einsetzt), aber
die Heilung ist provisorisch und führt nur wieder dorthin zurück, wo er
herkommt. Die Vorgänge in "Nejishiki" spiegeln die verschlungenen Wege
des Unbewussten. Scheinbar ohne logische Verbindung folgen die einzelnen
Sequenzen aufeinander, und die Hauptfigur bietet sich nicht zur Einfühlung
an. Daher sprechen manche von Surrealismus. Andere halten die Geschichte
wegen ihrer Absurdität gar für einen Gag. Doch sie hat auch mit der Frage
zu tun, die sich wie ein Leitfaden durch Tsuges Leben und Werk zieht:
Wo kann man sich wirklich frei fühlen? Im damaligen Lebensstadium lautete
seine Antwort: nirgendwo.
Die Frage nach dem Lebenssinn quälte Tsuge zunehmend und führte zu schweren
Angstzuständen. Daher beschloss er im September 1968, sich nach Kyushu,
der südlichsten der japanischen Hauptinseln, zu "verflüchtigen". Von dieser
Episode sollte er später in "Johatsu tabi nikki" (etwa: "Tagebuch einer
Verflüchtigung") berichten. Er versuchte, von Veröffentlichungen Abstand
zu nehmen und all seine Probleme durch Wegzug und Heirat hinter sich zu
lassen. Doch schon einen Monat später war er wieder in Tokio. 1970 brachte
er diesen Entfernungsversuch in den Comic "Yanagi-ya shujin" ("Wirt im
Rasthaus Zur Weide") ein. Anhand eines Mannes, der sich ausmalt, was gewesen
wäre, wenn er sich zur Heirat mit der Tochter einer Motelbesitzerin entschlossen
hätte, bringt er zum Ausdruck, dass ein Mensch sich selbst niemals entkommen
kann, wie weit er auch reist.
Der anhaltende Erfolg von "Nejishiki" veranlasste ihn, Anfang der 1970er-Jahre
eine Reihe sogenannter "Traumgeschichten" zu zeichnen, mit denen er der
nüchternen Realität offenbar zu entfliehen versuchte. So entstand 1972,
ein Jahr nach "Yanagi-ya shujin", endlich wieder ein Comic: "Yume no sanpo"
("Traumspaziergang"). Trotz des bezeichnenden Titels handelte es sich
dabei nicht um die Aufzeichnung eines seiner Träume, sondern um ein Phantasieprodukt.
Ab 1976 legte er allerdings eine ganze Reihe von Geschichten vor, in denen
er eigene Träume ins Bild setzte, darunter z.B. "Yoru ga tsukamu" ("m
Netz der Nacht") und "Arubaito" ("Ein Job"). Diese erschienen nicht mehr
in erster Linie bei Garo, sondern in Mangamagazinen wie Manga Sunday oder
in Literatur- und Lyrikjournalen. Mit diesem Projekt - der bewussten Umsetzung
des sich in Träumen manifestierenden Unbewussten - stellte sich Tsuge
einer grossen Herausforderung. Hatte er in "Nejishiki" die Elemente noch
"objektiv" dargestellt, änderte sich in den späteren Traumgeschichten
sein Zeichenstil von Werk zu Werk, manchmal bis hin zu extrem verzerrten
Perspektiven. Oft setzte er den Hintergrund in Kontrast zu den Figuren,
um deren psychische Lage zum Ausdruck zu bringen, und erhob damit die
einst blosse Kulisse zur eigenständigen narrativen Instanz. Solche Stilmittel
hatten selbstverständlich auch mit seinen Angstzuständen zu tun und dem
Versuch, diese durch Selbstergründung zu bewältigen.
Eine weitere Besonderheit von Tsuges Comics, die man vor allem anhand
von "Nejishiki" immer wieder betont hat, besteht darin, dass seine Geschichten
auf erkennbare Weise im modernen Japan spielen. Hebt er sich bereits mit
dem Verzicht auf eine stilisierte westliche Szenerie von Tezuka ab, so
auch mit seiner Entfernung von den Konventionen linearer Erzählstränge.
Seine Geschichten thematisieren über ihre nicht rationalisierbare Sequenzialität
letztlich die Irrationalität selbst. In dieser Hinsicht war Tsuge für
viele Zeichner des Gag-Manga ein wichtiger Einfluss, oder anders gesagt,
lassen sich einige dieser Zeichner im weitesten Sinne als Nachfahren des
Traumgeschichten-Tsuge verstehen.
Im Laufe der Siebzigerjahre fanden die Comics, die Tsuge in Garo publiziert
hatte, breite Anerkennung und avancierten zu Klassikern.
Ein Sammelband wurde veröffentlicht, und 1976 machte die nationale Fernsehanstalt
NHK aus "Akai hana" unter der Regie von Sasaki Shoichiro eine landesweit
ausgestrahlte Serie. Tsuge selbst beschäftigte sich derweil lieber mit
dem Schreiben von Essays und dem Illustrieren als dem Comiczeichnen. Dennoch
entstanden auch in diesem Jahrzehnt bemerkenswerte Arbeiten, einige davon
in der direkten Nachfolge seiner Reiseerzählungen: "Riarizumu no yado"
("Das Gasthaus des Realismus"), "Kareno no yado" ("Ein Gasthaus auf ödland"),
"Shomin onyado" ("Ein geplegter Gasthof fürs gemeine Volk") und "Aizu
no tsuri yado" ("Das Anglerheim"). Andere Geschichten aus dieser Zeit
zeigen nun stärker autobiografische Züge als solche des "ch-Comic". Dazu
gehören "Geshuku no koro" ("Als ich zur Untermiete wohnte"), "Yoshio no
seishun" ("Yoshios Jugend") oder "Oba denki mekki kogyosho" ("Das Galvanisierwerk
von Oba") - letztere sollte übrigens später in Art Spiegelmans Magazin
Raw erscheinen (Nr. 2, 1990). Daneben zeichnete er auch noch ein paar
"ch-Comics", wie z.B. "Natsukashii hito" ("Eine unvergessliche Frau").
Im Gegensatz zu seinen früheren Veröffentlichungen in diesem Genre stellte
er nun ein junges Paar ins Zentrum. 1969 hatte er sich in Fujiwara Maki,
eine Schauspielerin des damaligen Underground-Theaters, verliebt. Die
beiden heirateten und bekamen einen Sohn. Dadurch verschwand die zerstörerische
Angst, die seine Werke in den 1960er-Jahren geprägt hatte. Der männliche
Protagonist wird durch seine Lebensgefährtin immer wieder ins Alltagsleben
zurückgeholt: Hier verkörperte interessanterweise für einmal die Frau
das Realitätsprinzip.
Doch anfangs der 1980er-Jahre erschwerten ihm neue Angstattacken das Zeichnen.
In der Literaturzeitschrift Shosetsu gendai veröffentlichte er Teile seines
privaten Tagebuchs, aber keine Comics. Nur die Herausgeber des vierteljährlich
erscheinenden Magazins Comic Baku konnten ihn 1984 noch einmal dazu bewegen,
im Medium des Comic zu erzählen. Tsuge zeichnete nun kaum noch mit der
Feder, sondern bevorzugte den Pinsel - angeblich aufgrund einer altersbedingten
Sehschwäche. Doch diese Technik verlieh seinen Figuren einen neuen Charme.
Fast alle Arbeiten dieser Periode drehen sich um sein Privatleben und
seine Biografie: "Shonen" ("Jugend"), "kebukuro hyakutenkai" ("Der Top-Verein
von Ikebukuro"), "Tonari no onna" ("Meine Nachbarin"), "Yamori" ("Der
Gecko"), "Ume e" ("Ans Meer") sowie sein bis heute letzter Comic "Wakare"
("Die Trennung", 1987). Seine letzte Serie erschien ab September 1985
im Magazin Comic Baku und erhielt den Titel "Muno no hito" (etwa: "Der
nutzlose Mann" - französische übersetzung 2004 bei Ego comme x).
Bereits 1987 wurde das gerade einmal drei Jahre alte Comic Baku aufgrund
stagnierender Verkaufszahlen eingestellt. Seither hat Tsuge, dessen körperliche
und seelische Gesundheit immer weiter nachliess, nichts Neues mehr veröffentlicht.
Doch seine Werke werden regelmässig in Sammelbänden wieder aufgelegt.
Auch die bislang vier Verfilmungen fürs Kino4 und die neun Adaptionen
fürs Fernsehen haben dazu beigetragen, dass seine Comics nach wie vor
gelesen werden. Für viele Japaner ist Tsuge längst ein Künstler, dessen
Rang als Klassiker sich nicht allein an anderen Comics misst.
(Aus dem Französischen Kai Wilksen; deutsche Bearbeitung: Jaqueline Berndt
und Heike Drescher)
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Tsuge Yoshiharu. Alle Rechte vorbehalten.

"Nejishiki", Garo Sonderausgabe, Seirindo, Juni 1968

"Gensenkan Shujin"

"Chiko", Garo, Seirindo, März 1966

"Hakumen Yosha"

"Umibe no jokei"
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