Die 1957 geborene Zeichnerin Takano Fumiko ist eine Ausnahmeerscheinung
in Japan. Obwohl sie durchaus auch in kommerziellen Zeitschriften publiziert,
zählt Quantität für sie wenig, und mit Zeitdruck weiss sie nicht umzugehen.
In knapp drei Jahrzehnten sind gerade einmal sechs schmale Sammelbände
von ihr erschienen.
Aufgewachsen in der Präfektur Niigata, veröffentlichte sie ihre erste
Kurzgeschichte "Hana" ("Blüten") 1977 bei Rakugakikan, einem Zirkel von
Amateuren. Da eines der Mitglieder zu den Gründungsredakteuren des - heute
als Yaoi-Pionier bekannten - Mangamagazins JunŽ gehörte, erlebte Takano
dort in Nr. 4/1979 ihr professionelles Debüt mit dem neunseitigen Comic
"Zettai anzen kamisori" ("Ein absolut sicheres Rasiermesser"). Von diesem
stammt der Titel ihres ersten Sammelbandes (1982 bei Hakusensha), dessen
Einband übrigens der Garo-Redakteur Minami Shinbo gestaltete. Aufgrund
des damals noch ungewöhnlichen A5-Formats nicht als Manga, sondern als
Bilderbuch behandelt, enthält er all die Geschichten, die Takanos Ruf
als Repräsentantin einer "Neuen Welle" begründeten, u.a. "Futon" (1979),
das von einem toten Mädchen erzählt, welches seine eigene Bestattung beobachtet,
und "Tanabe no Tsuru" ("Tsuru von den Tanabes", 1980), in dem die betagte
Grossmutter der Familie Tanabe als kleines Mädchen verbildlicht wird.
Den Lebensunterhalt verdiente sich Takano als Krankenschwester und zu
Beginn der Achtzigerjahre auch als Telefonistin im Kleinverlag Kitansha,
der 1983 ihren zweiten Sammelband "Otomodachi" ("Freunde") herausbrachte.
Der dritte und vierte belegen ihre Versuche mit längeren Serien: "Rakki-jochan
no atarashii shigoto" (etwa: "Die neue Arbeit von Fräulein Lucky", 1987
bei Shogakukan; erstveröffentlicht in Petit Flower 1986/87) und "Ruki-san"
("Miss Ruki", 1993 bei Chikuma shobo; erstveröffentlicht in Hanako 1988-92
- an gleicher Stelle übrigens wie Shiriagari Kotobuki, Eguchi Hisashi
u.a.). 1995 erschien bei Magazine House als fünfte Anthologie "Bo ga ippon"
(etwa: "Ein Stab"), mit insgesamt sechs Erzählungen aus den Jahren 1987-1994,
u.a. der hier abgedruckten "Byoki ni natta Tomoko" ("Als Tomoko krank
war"), und 2002 schliesslich in der Afternoon-Reihe von Kodansha "Kiiroi
hon: Jakku Chibo to iu na no yujin" ("Das gelbe Buch: Ein Freund namens
Jacques Thibault" - französische übersetzung 2004 bei Casterman).
Bei Takano muss der Leser sich Zeit lassen, denn sie verzichtet auf die
sonst üblichen Einfühlungshilfen. Figuren zeigen selten ihr Gesicht, noch
seltener im Close-up, sie beherrschen nicht den Bildraum, werden weder
psychologisiert noch der Fetischisierung preisgegeben. Situationen interessieren
mehr als Handlungsstränge, und Perspektiven werden im Wechsel zwischen
nah und fern so mehrschichtig wie die vermeintlich eindimensionale Alltagsrealität,
von der die Comics handeln. Das Seiten-Layout wirkt schlicht, doch seine
Geometrie trägt keine sofort durchschaubare Ordnung - es mag ein Liedtext
sein, der von einem Panel zum nächsten führt oder eine Formähnlichkeit.
Die Einzelbilder sind nicht immer leicht zu entziffern. Manches wird erst
im Nachhinein verständlich. Takano möchte, dass ihre Arbeiten aufmerksam
und mehrfach gelesen werden. So auch "Byoki ni natta Tomoko", erschienen
1987 im ersten Short-Stories-Zusatzheft des Magazins Lala.
Takano selbst musste mit neun Jahren wegen einer Nierenerkrankung drei
Monate im Krankenhaus zubringen. Doch ihre Geschichte gibt sich nicht
autobiografisch, auch wenn die Sicht der Titelheldin dominiert und fast
alle Sprechblasen deren innere Stimme wiedergeben. Zeit der Handlung sind
die späten Sechzigerjahre, aber das wird erst am Ende klar, wenn Osakas
Vergnügungsviertel Shinsekai auftaucht und die Leuchtreklame des sich
leerenden Riesenglases von Kirin Beer. Diese Szenerie scheint sich vor
den Augen des Mädchens auszubreiten, doch es könnte sich dabei auch um
seine Erinnerung an eine nächtliche Zugfahrt handeln - und das hiesse,
dass sich das Krankenhaus vielleicht gar nicht in Osaka befindet. ähnliches
geschieht, wenn sich auf der 9. Seite zwischen die Blicke in den Hof ein
Panel schiebt, das ein sommerliches Zimmer mit offenen Schiebetüren, einem
niedrigen Tisch und Reisschalen unter einer Fliegenglocke zeigt. Kurz
darauf erfolgt dann der Wechsel zu einem Kiosk, wo Tomoko das Mädchenmanga-Magazin
Margaret kauft: Durch das fünfte Panel der 10. Seite mit dem unter einem
Moskitonetz hockenden Mädchen identifiziert man das dritte, vierte und
sechste Panel als die Mangaseiten, in die es versinkt.
Für Takano war die Mädchenmanga-Zeichnerin Hagio Moto ein frühes Vorbild,
und als Oberschülerin hatte sie sogar einmal eine Anerkennungsurkunde
vom Magazin Bessatsu Shojo Comic für eine 16-seitige Einsendung voller
Sternchenaugen erhalten. Noch in ihrem ersten Sammelband finden sich Parodien
auf das Genre. Doch Takano gehörte zu den ersten Frauen im Manga, die
jenseits der geschlechtsspezifischen Kategorien publizierten, ohne sich
deshalb auf Garo beschränken zu müssen. Damit wurde sie zur Wegbereiterin
für Zeichnerinnen wie Okazaki Kyoko, Sakurazawa Erica oder Uchida Shungiku.
Jaqueline Berndt
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