Magazin

 

mit Beiträgen von
Christian Gasser, Roli Fischbacher, Susanne Gerold,
Remo Sigrist, Tim Kongo, Mark Nevins
und Claudia Jerusalem.

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Illustrationen:
Christophe Badoux.

”Anita” und ”Berlin 1931”

 

Dass sich heute, im Zeitalter der auf billiges Papier gedruckten Manga, ein Verlag den Luxus leistet, Comics in Hardcover-Ausgaben zu veröffentlichen, in Farbe und auf gutem Papier, beeindruckt durchaus. Wenn dieser Verlag dann auch noch die hierzulande wenig bekannten Künstler wie den Italiener Stefano Ricci und den Spanier Raul verlegt, gebührt ihm unser Respekt.
”Anita”, dessen Szenario die STRAPAZIN-Leserinnen auch nicht unbekannte Gabriella Giandelli verfasst hat, erzählt keine eigentliche Geschichte, sondern ist eine Abfolge von Tagebucheintragungen einer jungen Frau, die sich durch das Leben treiben lässt: Sie jobbt in einer Kneipe, fotografiert die Essensreste der Gäste, geht mit Freunden aus, hat eine Liebschaft, und träumt insgeheim davon, als Fotografin Erfolg zu haben.
Die mit weichem, grobkörnigem Strich gezeichneten Bilder zwischen Figürlichkeit und Abstraktion, und vor allem die starken, prächtigen Farben stehen klar im Mittelpunkt von ”Anita”. Stefano Ricci (siehe die albenlange Geschichte ”Tufo” in STRAPAZIN 34) beschwört mit seinem eigenwilligen Stil Stimmungen herauf, die zwischen der Alltäglichkeit der Tagebucheintragungen und dem Unausgesprochenen oszillieren. So hallt die bei der ersten Lektüre eher belanglos wirkende Geschichte lange nach – und man ist überrascht, wenn man merkt, dass man sich wieder und wieder darin vertiefen und ihr immer wieder Neues abgewinnen kann.
Ganz anders ”Berlin 1931” von Raul und H. Cava, ein Thriller, der sich in der angespannten Situation kurz vor Hitlers Machtübernahme abspielt. Kommunisten, Faschisten und Polizei belauern sich gegenseitig; da mischt sich der englische Adlige Hewitt ein, angeblich ein Freund der Roten, der aber auch über allzugute Beziehungen zur Polizei verfügt. Ein Katz- und Maus-Spiel ist die Folge, Verschwörungen, Verrat und Liebe, und alles ist so offen und so verwirrend wie die historische Situation – Stimmungen, die Raul in zeichnerisch und farblich spektakuläre, an die deutschen Expressionisten, Grosz und Beckmann angelehnte Bilder umgesetzt hat.
Christian Gasser
Stefano Ricci, Gabriella Giandelli: ”Anita”
Raul/H.Cava: ”Berlin 1931” (beide: Avant Verlag)

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Visueller und formaler
Crossover

 

Das Duo Pierre Christin und Enki Bilal produziert seit Jahrzehnten Comic-Thriller mit politischem Hintergrund. Ihre Geschichten beschreiben Abgründe politischer Verbortheit, tragische Auswirkungen von Machtgier und Rachsucht. Die Protagonisten schlittern unaufhaltsam - in einer Verkettung blutiger Ereignisse - ihrem tragischen Ende entgegen. Dieses Ende bringt in der Regel Tod, Verzweiflung, oder im besten Falle nagende Zweifel an der Richtigkeit des eigenen gewaltsamen Kampfes.
Nun wagen sich Christin und Bilal mit ihrem neusten Werk auf ungewohntes Terrain. ”Der Sarkophag” ist kein Comic im herkömmlichen Sinn. (Die Diskussion um die Definition von Comics kennen wir zur Genüge, sie soll an dieser Stelle nicht aufgewärmt werden.) Tatsache ist jedoch, dass ”Der Sarkophag” zahlreiche sowohl inhaltliche als auch formale Grenzüberschreitungen präsentiert und prototypisch steht für Werke, die sich eindeutiger Klassifikation entziehen. Beim erstmaligen Überfliegen der Seiten glaubt man, ein Bilderbuch für Kinder in den Händen zu halten. Neben jeder Textseite findet sich jeweils eine ganzseitige Illustration. Die in düsteren Farbtönen gehaltenen, oft brutal wirkenden Bilder vernichten rasch den ersten harmlosen Eindruck. Zudem wird die Bilderbuchform durchbrochen mit zweiseitigen, fotografisch illustrierten Zitatsammlungen. Erst beim Lesen wird deutlich, dass das Buch nichts Geringeres darstellt, als die Skizze eines riesigen Museums im Stil der Postmoderne.
Formal besticht der Band durch sein zeitgemäss minimalistisches Design. Das Verhältnis von Text und Bild ist neu ausgehandelt. Im Gegensatz zu den im gewohnten Stil getuschten Zeichnungen tragen die Bilder in diesem Band trotz ihrer Skizzenhaftigkeit den Charakter von Gemälden - eine gelungene Synthese von zwei klassischen Formen der bildenden Kunst - und werden dadurch aufgewertet, dass sie für sich alleine stehen. Und doch bilden sie als Reihe über das gesamte Werk eine in sich stimmige Sequenz mit klarem Spannungsbogen. ”Der Sarkophag” erzählt keine Geschichte sondern versetzt uns in die Situation russischer Politfunktionäre. Präsentiert wird uns ein Museumskonzept, ”spontan eingereicht vom ‘Komitee für die Planung und Organisation des Museums der Zukunft’ (KoPlOMuZu)”, mit der Bitte um finanzielle Unterstützung. Ein bis hin zum Finanzierungsplan ausgearbeitetes und realitätsnahes, durchaus umsetzbares Konzept.
Die inhaltliche Brisanz und Aktualität dieses Bandes ist frappant und mutet oft visionär an. Als Beispiel sei der ”Taliban-Saal” genannt: ”Ein gewaltiger architektonischer Komplex, der sowohl an eine Kathedrale als auch an eine Moschee oder an einen Tempel erinnert [...] Es müssen besondere Massnahmen getroffen werden, um kollektive Selbstmorde oder Vergiftungsversuche (vor allem durch Gas) zu verhindern, die auch damit nicht einverstandene Besucher treffen könnten.”
Immer wieder werfen uns Christin und Bilal die Frage an den Kopf: Was soll, kann und darf ein Museum? ”Der Sarkophag” thematisiert die Katastrophengeilheit der westlichen Mittelklasse, die zunehmende Vermischung von Unterhaltung und Information und die Unterordnung jeglicher Werte unter marktwirtschaftliche Prinzipien. Dieses Werk ist konzeptuell einzigartig, brandaktuell, und es stimmt nachdenklich.
Remo Sigrist
Christin und Bilal, ”Der Sarkophag”, Ehapa,
Berlin 2001

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Immer feste druff!

 

bagarre [ba'ga:r]: Wirrwarrr; Getümmel; Schlägerei; Krach; Skandal (Langenscheidts Taschenwörterbuch Französisch)
Keine Angst, für das neueste Werk des Genfer Illustrators und Comiczeichners Helge Reumann reichen auch rudimentäre Französischkenntnisse. Aber der Titel "Bagarre" benennt präzis, was auf den folgenden 32 Seiten geboten wird. Reumann bringt mit einem Mix aus expressiver Illustration und naivem Erzählen die idealen Voraussetzungen mit, um sich dem Thema des menschlichen Kräfteaustauschs zu widmen. "Bagarre" ist Kampf mit flacher Hand und mit der Faust, mit Stock und Messer. Auf zwei doppelseitigen schwarzweissen Suchbildern herrscht Getümmel und Wirrwarr. Es wird gestochen, geschlagen, gewürgt und gemeuchelt. Ein Panoptikum der Gewalt wird aufgebaut, das gleichzeitig als Jahrmarkt und Volksfest daherkommt. Der szenische Aufbau – das Ganze als Vielzahl einzelner Gewalttätigkeiten – erinnert an die Bilder und Grafiken von Peter Bruegel dem Älteren. Ansonsten präsentiert sich das Heft zwar bunt, aber nichts desto weniger schmerzhaft. Gezeigt werden Votivbilder aus alltäglichen Albträumen und Fragmente populistischer Machokultur. Helge Reumann schafft mit seinen schablonenhaften Figuren der 'Art brut' verwandte Bilder, die eindringlich und kindlich zugleich sind.
"Bagarre" erscheint bei Éditions du Rouerge, einem jener französischen Verlage, die ein weites Feld visueller, illustrativer Tendenzen in ihrem Programm führen. Unter anderem die Reihe TOUZAZIMUTe, Hefte mit grafisch-gestalterischem Schwerpunkt, in die Helge Reumanns neuste Arbeit wunderbar passt.
Roli Fischbacher
Helge Reumann, "Bagarre", Éditions du Rouerge (TOUZAZIMUTe), farbig und s/w, 32 Seiten,
E 7.47 / ca. Sfr. 12.-

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Léo Malet/Jacques Tardi
Nestor Burma: Wie steht mir Tod?

 

„Ist sicher das erste Mal, dass Sie jemandem nachlaufen, um ihm Geld zu geben“, sagt Hélène Chatelaine zu ihrem Chef Nestor Burma und bringt damit die Absurdität einer Situation auf den Punkt, die charakteristisch für den gesamten Krimi ist. Denn beinahe nichts in Malet/Tardis „Wie steht mir Tod?“ ist so, wie wir es erwarten würden...
Gleich zu Beginn - wir befinden uns im Jahr 1956 in Paris - taucht ein Künstler namens Colin Nikolson bei Burmas Sekretärin Hélène Chatelaine auf und will sich Geld leihen, um sich in Ruhe auf ein Engagement vorzubereiten. Als er das Geld nicht abholen kommt, sucht Nestor seine Wohnung auf, wo sich zwar kein Nikolson findet - dafür aber der Beweis, dass der Künstler sich das Geld mittels eines fingierten Vertrags hatte erschleichen wollen. Eigentlich wäre die Sache am nächsten Tag erledigt gewesen, als Nikolson verlauten lässt, dass er das Geld nicht mehr benötige; doch da erhält Burma einen Auftrag von einer Künstleragentin, die sich um einen Schnulzensänger sorgt, der offenbar im Begriff ist, eine Dummheit zu begehen. Die beiden Fälle verweben sich und Nestor muss erkennen, dass er von den Brettern, die die Welt bedeuten, so schnell nicht mehr los kommt...
„Wie steht mir Tod?“ ist ein lapidar erzählter, von Tardi in gewohnt atmosphärischen Bildern in Szene gesetzter humorvoller Krimi voll leiser Absurditäten - so lebt der Vater des Schnulzensängers so lange auf Kosten seines Sohnes, bis er kraft einer Erbschaft auf eigenen Füssen stehen kann -, grotesker Situationen, und Charakteren, die stets mit einem gewissen spöttischen Blick geschildert werden - egal, ob es sich um die abgewrackte Sängerin Clara Nox handelt oder um Nestor und Hélène, die sich immer wieder gegenseitig zu Aktionen überreden, die sie zuvor noch weit von sich gewiesen hätten.
”Wie steht mir Tod?“ ist ein augenzwinkernder Krimi, in dem persönliche Tragödien angedeutet, aber nicht in ihrer ganzen Tiefe ausgelotet werden; aber nicht, weil das unwichtig wäre, sondern weil es sich um sattsam bekannte Phänomene handelt, die sich von allein erklären.
Und so beginnt dieser neue Malet/Tardi zwar langsam, gewinnt dann aber zunehmend an Fahrt und endet schliesslich in einem schwungvollen Arrangement. Dass dort einige Erklärungen nachgereicht werden, nimmt man der unterhaltsamen Lektüre kein bisschen übel.
Susanne Gerold
Malet/Tardi: ”Wie steht mir Tod?”, Edition Moderne, DM 32.- / Sfr. 28.-

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Feministischer Diskurs

 

Eddie Campell ist nicht nur bekannt als kongenialer Zeichner des Comic-Romans "From Hell" von Alan Moore sondern auch als Macher der langjährigen und ambitionierten Serie "Bacchus". Vor kurzem ist deren zehnter Sammelband "Banged Up" erschienen; darin findet sich der in der Gegenwart gestrandete griechische Gott im Knast wieder, nachdem er aus einer Laune heraus seinen überdimensionierten Penis in der Öffentlichkeit vorgeführt hat. Zwar ist Bacchus gealtert und wortkarg, aber hin und wieder veranlasst seine blosse Anwesenheit die Umgebung zu allerlei Exzessen. Am Schluss gibts sogar ein kurzes Wiedersehen mit dem guten alten Joe Theseus und auch mit Eyeball Kid, letzterer mit seinen vielen Augenpaaren eine der exzentrischsten Schöpfungen in der Comicwelt.
"Banged Up" ist ein Knastroman unter Einbezug von klassischer Philosophie und ihrer vulgären Anwendung. Von der Darstellung von Mode als Verbrechen über sadomasochistische Abhängigkeiten bis hin zum feministischen Diskurs wird hier nichts ausgelassen!
Tim Kongo
Eddie Campbell, Pete Mullins, Marcus Moore, "Bacchus". Eddie Campbell Comics, 130 Seiten
Sfr. 27.90 www.eddiecampbellcomics.com

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James Sturms
unbekanntes Amerika

 

James Sturms neuestes Comic-Album, "The Golem's Mighty Swing", erzählt die merkwürdige Geschichte der "Stars of David", einem umherziehenden halbprofessionellen jüdischen Baseball-Team, das durch die abgelegenen Kleinstädte Amerikas der Zwanzigerjahre zieht. Das von Drawn and Quarterly wunderschön produzierte Buch, auf leicht bräunlichem Papier gedruckt, in subtilen Farbtönungen und mit einem augenfälligen Farbumschlag, ist das dritte in einer Serie von Geschichten, von denen Sturm sagt, sie dokumentiere die Geschichte Amerikas. Sturm interessiert sich jedoch nicht für die grossen Ereignisse sondern will vielmehr zu den Wurzeln der amerikanischen Kultur und deren Werte vorstossen, indem er Aspekte der Geschichte erforscht, die üblicherweise bloss als Fussnoten auftauchen. Das Resultat sind faszinierende, überraschende und sehr persönliche Comics.
Als erstes Buch der Serie erschien im Eigenverlag "The Revival", eine Geschichte über ein sogenanntes "Camp meeting", als Zehntausende von Siedlern und Pilger sich 1801 in Kentucky versammelten, um den damals beliebten religiösen Predigern zuzuhören. Vor dem Hintergrund einer Masse von Gläubigen, Scharlatanen und Fanatikern erzählt "The Revival" das Schicksal einer Familie, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen, und zeigt an diesem Beispiel, welch wichtiger Einfluss die Religion auf die Entstehung der amerikanischen Nation hatte. Das zweite Buch der Serie, "Hundreds of Feet Below Daylight", hat das harte Leben der Bergleute in der Mine von Solomon's Gulch, Idaho, zum Thema. Eine Geschichte über Mühsal und Frustration derer, die auf der Suche nach Wohlstand lernen, dass dieser oft mehr von Glück als von harter Arbeit abhängt. Und Glück war damals so selten zu finden wie Gold in den leergeschürften Minen.
Nachdem Sturm also die zwei Säulen der amerikanischen Kultur erforscht hatte - Religion und Geld - war es nur naheliegend, dass er sich im dritten Band der Serie dem Sport zuwandte. In "The Golem's Mighty Swing" spielt das jüdische Team in einer Liga, die ebenso Zirkus wie sportlicher Wettkampf ist. Das Gewinnen der Baseballspiele ist weniger schwierig als die Organisation von Transport und Verpflegung der Mannschaft. Die Motivation der Spieler rührt vor allem vom Wunsch her, die junge Nation Amerika zu sehen und den Städten mit ihrem kaputten Leben zu entfliehen. Noah Strauss, genannt "Zion Lion", Manager des Teams und dritter Baseman, erzählt, wie die Spieler die Neugier der Hinterwäldler auf "richtige Juden", die Baseball spielen, noch zu verstärken versuchen, indem sie einen Golem zum Schlagmann machen. Und natürlich geht es ihnen wie allen, die einen Golem erschaffen: Der Plan geht schief und endet in einer Tragödie.
"The Golem's Mighty Swing" ist ein wunderbarer Comic, eine fesselnde Geschichte über Vorurteile, Akzeptanz und den "Schmelztiegel" Amerika. Ein gut recherchiertes aber nie pedantisches Buch, das zuallererst eine bündige Story erzählt und nie Gefahr läuft, zur trockenen Dokumentation amerikanischer Geschichte zu werden. Sturm, kein schneller Arbeiter, zeichnet sauber, einfach und effektiv; seine in verhaltenen Erdtönen gehaltenen Bilder evozieren alte Fotografien von staubigen Strassen und Kleinstädten in Amerika. Greift Sturm auf erzählerische Tricks zurück, dann nie um des Effekts willen, sonder immer nur um die Story voranzutreiben, was leider vielen Zeichnern fremd ist.
"The Golem's Mighty Swing" ist ernsthafte Literatur, erzeugt durch Text und Bilder. Was man vielleicht kritisieren könnte, sind die Proportionen des Albums: Der "Golem"-Teil, das letzte Drittel, wirkt zu gedrängt, und der Epilog, der das Schicksal des Baseballspieler nach der Auflösung des Teams beschreibt, wirkt zwar gut gemeint, aber auch etwas aufgesetzt. Beinahe könnte man meinen, Sturm sei unter Druck gestanden, das Werk auf einen bestimmten Termin hin fertig zu stellen; aber vielleicht ist dies auch nur mein subjektiver Eindruck als gieriger Konsument, der allzu gerne noch mehr hätte lesen mögen. Jedenfalls bin ich jetzt schon gespannt, worauf Sturm sein Historikerauge als nächstes werfen wird!
Mark Nevins
James Sturm:
"The Golem’s Might Swing", Drawn and Quarterly, 2001 / "Hundreds of Feet Below Daylight", Drawn and Quarterly, 1998 / "The Revival", Bear
Bones Press, 1996

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An Ideal Boy – Charts from India

 

Seit den Siebzigerjahren finden die bunten Bilderwelten indischer Tradition zunehmend Verbreitung in westlichen Ländern. Motive hinduistischer Gottheiten erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit, vor allem die für das westliche Auge kitschig wirkenden Abbildungen von Ganesha, Shiva und Vishnu, meist aber ohne ihre Bedeutung für das alltägliche hinduistische Leben zu kennen.
Mit den in ihrem Band "An Ideal Boy – Charts from India" versammelten indischen Bildtafeln wollen die HerausgeberInnen Sirish Rao, V. Geetha und Gita Wolf eben gerade diese oberflächliche Einordnung indischer Kunst korrigieren. In ihrer Sammlung präsentieren sie Bildergeschichten zu alltäglichen Themen. Seit den Fünfzigerjahren werden diese Charts zu erzieherischen Zwecken in den Schulen eingesetzt; seitdem sind sie für Schüler zwischen acht und vierzehn Jahren zu einem festen Bestandteil des Lehrstoffes geworden. Inhaltlich beziehen sich die Bildtafeln einerseits auf gesellschaftliche Werte wie vorbildliches Verhalten, oder erzählen religiöse Geschichten aus der hinduistischen Götterwelt. Andererseits vermitteln sie aber auch einen hohen Lerneffekt, wenn beispielsweise die Funktionsweise eines Computers oder verschiedene Transportmittel bildlich dargestellt werden.
Bildergeschichten sind in Indien sehr beliebt und weit verbreitet, vor allem, wenn es darum geht, die hinduistischen Götterwelten zu erklären. Die Erzählformen erstrecken sich hier von illustrierten Märchenbüchern bis hin zu comichaften Geschichten.
Die oftmals schlichten Bilder, fast schon kindlich gezeichnet, strahlen ohne Frage einen fremdartig-heiteren Charme aus. Aber auch dieser führt den Betrachter auf den eigentlichen gesellschaftlichen und religiösen Hintergrund zurück, auf dem die Bildtafeln entstanden sind.
"An Ideal Boy" bietet auf 136 Seiten nicht nur viele schöne Bilder, sondern auch ausführliche Texte zu der Entstehungsweise und der Bedeutung der "Indian Charts".
Claudia Jerusalem
"An Ideal Boy – Charts from India", 136 Seiten, vierfarbig, gebunden, Dewi Lewis Publishing UK, ca. DM 70.- www.dewilewispublishing.com

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Das Keziban ist mein Freund

 

Mops und Lillpop gehen in den Zoo. Sie sehen das Kamel, den Bassbären, die Ameise, das Krokodil, den Jaguar und viele andere Tiere. Das Tier aber, das ihnen am meisten gefällt, ist das Keziban, eine Art Schachtel mit zwei Beinen, zwei Armen und zwei Augen.
”Kannst du es sehen? Ist es nicht unglaublich?” fragt Lillpop. ”Sehr interessant. Wunderbar” antwortet der Mops. Begeistert von diesem Wesen fahren Lillpop und Mops nach Hause – und staunen am nächsten Morgen nicht schlecht, als das Keziban in ihrer Wohnung aufwacht. Aber schon bald beginnt der Kampf von Lillpop und Mops um die Liebe des Keziban. Und aus den Freunden drohen Feinde zu werden.
Mops: ”Nein, das Keziban ist aber mein bester Freund.” Lillpop: ”Nein, nein, meiner, Du kannst es fragen.” In ”Das 23 fünf acht neun” erzählt Christian CX Huth eine schlichte Geschichte in vordergründig einfachen Zeichnungen, die bisweilen wirken wie ein Malbuch für Kleine. Ist ”Das 23 fünf acht neun” deshalb aber ein Kinderbuch? Ein echtes, eines für Kinder? Oder ist es ein Kinderbuch für Erwachsene? Diese Fragen darf man durchaus stellen, muss sie aber nicht beantworten. Denn ”Das 23 fünf acht neun” ist in erster Linie eine wunderschöne Geschichte. Christian Huth hat keine Angst vor grossen Themen, wie die wahren Werte im Leben, wie Freundschaft und Liebe. Und er erzählt sein Märchen sehr ernsthaft, mit viel Humor zwar, aber ohne Ironie. Und mit genügend Reinheit der Seele, um nicht betulich zu wirken. Denn Freundschaft und Liebe sind nun mal wichtiger als eine Wohnung und etwas zu essen.
Lillpop: ”Moment mal. Das heisst, wir können alle Freunde sein? Die besten Freunde?! Wir müssen uns nie wieder streiten und können nun alles zusammen machen?”
Christian Huth ist ein Zauberer. Was er mit Buntstiften auf Papier bringt, ist wunderbar. Wer das nicht versteht und Christian Huth als Krakelzeichner verkennt, wer nach der Lektüre von ”Das 23 fünf acht neun” nicht glücklicher ist, der hat kein Herz und verdient die Freundschaft des Keziban nicht!
Christian Gasser
Christian CX Huth: ”Das 23 fünf acht neun”, Reprodukt Verlag

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In eigener Sache

von Claudia Jerusalem

Mit "Lullaby Supermarket" ist ein umfangreicher Werkkatalog des Japaners Yoshimoto Nara im Verlag für moderne Kunst (Nürnberg) erschienen. Auf 206 Seiten erhält man einen umfassenden Einblick in die Bilderwelt des Künstlers, einer Mischung aus kindlichen Figuren und Tierbildern. Auf den ersten Blick süss und niedlich wirkend, strahlen die Bilder bei genauerer Betrachtung auch etwas Morbides und Krankhaftes aus. Nara vereint seine eigene mangaeske Grafik mit der alten Hokusai-Kunst und verwischt damit auf spennende Weise die Grenzen zwischen Tradition und Moderne.

Yoshimoto Nara, "Lullaby Supermarket",
206 Seiten, vierfabig, im Querformat, gebunden, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg, DM 68.-
www.vmkn.de

 


Im gewohnten quadratischen Format bietet Tentakel Nr. 3 - dieses Mal durchgängig vierfarbig - unter dem Titel "Hitek U-Ground" 13 schöne Bildergeschichten. Dabei besonders gelungen: Thomas Gilkes Comicumsetzung einer Geschichte von Daniil Charms, ebenso ein russisches Märchen mit dem Titel "Eindringlinge" von Uli Oesterle, dazu eine neue Episode aus dem Leben von Ulf K.s Hieronimus B.; und auch Frank Schmolkes vierfarbige(!) Geschichte "Der Rost" ist nicht ohne Reiz. Als Gastzeichner für diese Ausgabe fungieren Nicolas Mahler und Lewis Trondheim.

"Hitek U-Ground", (Tentakel 3), 64 Seiten, vierfarbig, Softcover, Laska Comix Verlag, DM 24.80
www.laska.com

 


Eine zweite Neuerscheinung aus dem Hause Laska ist der fünfte Band der Reihe Laska Comix von Elke Reinhard und Gerhard Schlegel. Die Ausgabe ist als Wende-Buch mit zwei Covern und zwei Anfängen angelegt. Der eine Teil umfasst eine abenteuerliche Liebesgeschichte zweier Roboter, eine Hommage an die Golden Age-Zeichner und an Matt Groening. Der umgedrehte Teil beinhaltet gesammelte Geschichten und grafische Beiträge des Zeichner-Duos. Thomas Gilke und Jakob Werth gewähren dazu einen Einblick in die Firma Laska Comix Verlag oHG.

Laska Comix Nr. 5, Elke Reinhard / Gerhard Schlegel, 44 Seiten, vierfarbig, Softcover, Laska Comix Verlag, DM 13.69 www.laska.com

 


Ole Könnecke zeichnet eine Comicgeschichte. Die Hauptfigur seiner Geschichte ist ein Schnabeltier names Doktor Dodo. Doktor Dodo leidet unter Langeweile und beschliesst deshalb, ein Buch zu schreiben. Während er zu Beginn noch denkt, es sei gar nicht so schwer, eine gute Geschichte zu schaffen, erleidet er immer wieder diverse kreative Krisen. Doch zu guter Letzt hat er es geschafft, die Geschichte um seinen Helden Dod Osbourne kommt zu einem guten Ende. "Doktor Dodo schreibt ein Buch" ist der erste Comicband des Kinderbuch-Illustrators Ole Könnecke und ein durchaus liebevoller Versuch, den kreativen Prozess eines Buchautoren zu beschreiben. Eher für kleine Leser geeignet.
Ole Könnecke, "Doktor Dodo schreibt ein Buch", 36 Seiten, vierfarbig, gebunden, Carlsen Verlag, DM 24.90 www.carlsencomics.de
Das Comic-Duo Katz & Max Goldt haben im Carlsen Verlag ein neues verlegerisches Zuhause gefunden und dort ihr aktuelles Buch "Oh Schlagsahne! Hier müssen Menschen sein" publiziert. Auch in ihrem vierten Band setzen Katz und Goldt die Abgründe menschlichen Daseins und skurrile Alltagssituationen sarkastisch in Szene. Die Lektüre der Geschichten hinterlässt oftmals die Frage, ob man wirklich zu der dargestellten Spezies Mensch gehören möchte ...
Ebenfalls bei Carlsen erschienen die Titel "Wenn Adoptierte den Tod ins Haus bringen", "Koksen, um die Mäuse zu vergessen" und "Ich Ratten" (alle vormals bei Jochen Enterprises veröffentlicht).

Katz & Max Goldt, "Oh, Schlagsahne! Hier müssen Menschen sein" ,
60 Seiten, vierfarbig, gebunden, Carlsen Verlag, DM 24.90 www.carlsencomics.de / www.katzundgoldt.de

 


Das geläufige Bild von Seniorinnen ist gemeinhin eher eines von gebrechlichen Damen, die etwas kränkelnd ihren Lebensabend verbringen. Dass dies ein ganz falscher Eindruck sein kann, davon überzeugen Tim Dinter und Kai Pfeiffer in ihrer Geschichte "Alte Frauen". Tristan von Eulenberg ist Angestellter des Instituts für Grenzverhalten und wird als Observator auf die Tochter des Institutleiters angesetzt. Es gilt, die kriminellen Machenschaften der "Liga Reifer Damen" aufzudecken. Je mehr Einblick er gewinnt, desto dünner wird das Eis, auf dem er sich bewegt... Kai Pfeiffer hat ein spannendes Verschwörungsszenario geschaffen, das Tim Dinter gekonnt in seinen Comicbildern umsetzt.

Tim Dinter / Kai Pfeiffer, "Alte Frauen",
90 Seiten, s/w, Softcover
Zwerchfell Verlag / monogatari, DM 16.80 www.zwerchfell.com / www.monogatari.de

 


Gleich zwei neue Titel sind in der Reihe Ubu Imperator bei Edition 52 erschienen: In "Paul" erzählt Reinhard Kleist eine ergreifende, emotional geladene Quergeschichte zu seinem bei Reprodukt erschienenen Band "Fucked". Cream und Gun tanzen in den Morgenstunden auf einer illegalen Open-Air-Technoparty. Plötzlich verschwindet Paul, einer ihrer Freunde. Cream findet ihn, ertrunken in einem nahe gelegenen See. Als die anderen davon erfahren, ist die Party aus. Doch Cream bleibt zurück, um ein letztes Mal für Paul zu tanzen.
"Das Bildnis einer jungen Dame" wird in der gleichnamigen Erzählung von Calle Claus zum Verhängnis seines Protagonisten. Rolf Berthold hütet als Museumswächter dieses Bildnis, das ihm ganz besonders ans Herz gewachsen ist. Eines Tages begegnet er einem jungen Mädchen, dessen Ähnlichkeit mit der Frau auf dem Gemälde Berthold dazu bewegt, sich in das Leben des Mädchen zu schummeln. Das Glück des Museumswächters scheint gerettet, seine Traumfrau zu Leben erweckt. Doch dann fliegt der Bluff auf. Berthold verliert nicht nur das Mädchen, sondern auch seine Nerven. Und das katapultiert ihn geradewegs in den Knast!

Reinhard Kleist, "Paul", Calle Claus, "Das Bildnis einer jungen Dame", beide 20 Seiten, s/w, geheftet, Edition 52, jeweils DM 9.90 www.edition52.de

 


Mit "Mono Michalke" hat Andreas Michalke eine Art Magazin geschaffen, dessen Beiträge inhaltlich aus den verschiedenen Lebensbereichen des Künstlers stammen. Neben einer Urlaubsgeschichte, die er mit seiner Freundin Julia Tägert zusammen gezeichnet hat, mischt Michalke Szenen seines Alltags mit einer Tikki-Geschichte über das Nichtrauchen. Das Herzstück der Ausgabe bildet das in eine Comicgeschichte umgesetzte Interview mit dem Sänger von King Khan und his Shrines. Passend zu dem Interview gibt es dann auch noch eine Single-Kompilation namens "Happy Mono", mit Stücken von King Khan und der Schweizer Combo Reverend Beatman and the Nonbelievers. Die grafisch ausgefeilt und eigenwillig erzählten Geschichten bilden zusammen mit der Single ein ganz besonders Comic-Magazin!

Andreas Michalke, "Mono Michalke", 52 Seiten, s/w und vierfarbig, geheftet, mit Single, DM 14.90
Zu beziehen über Reprodukt, Bülowstr. 52, A5, D-10783 Berlin www.reproduktcomics.de

 


Zwar ist noch kein Band mit neuen Geschichten von Fils Grossstadthelden Didi & Stulle erscheinen, aber dafür immerhin die ultimative Fan-Ausgabe zum ersten, leider vergriffenen Band "Einen Drin". In der Economy-Ausgabe hat Fil seinen Dogma-Zeichenstil zur Perfektion ausgebaut und die Geschichten aus "Einen Drin" in krakeligen Schwarzweiss-Zeichnungen neu aufbereitet. Das Motto, das sich schon auf dem Cover ankündigt, heisst: schlechter gezeichnet, schwächere Witze, dafür aber auch nur der halbe Preis..!

Fil, "Didi & Stulle Economy #1 – Einen Drin",
48 Seiten, s/w, Softcover, Reprodukt, DM 5.-
www.reproduktcomics.de

 


Wer dachte, die Geschichte um den französichen Philisophen Gilles Deleuze hätte ihr endgültiges Ende im Schluss des Buches "Salut, Deleuze!" gefunden, der irrt. Mit "Neue Abenteuer des unglaublichen Orpheus" schliessen Martin tom Dieck und Jens Balzer nahtlos an ihren ersten Band an. Deleuze trifft im Jenseits ein weiteres Mal auf Foucault, Barthes, und Lacan. Durch Lacans Leidenschaft, Pläne zu zeichnen, kommt Deleuze in Bekanntschaft mit dem Baumeister und vermeintlichem Erfinder Lacans. Mit ihm begibt sich Deleuze auf die Reise gegen den Lauf der Zeit. Als sie auf Orpheus und Euridike stossen, scheinen sich die Stationen der Reise zu wiederholen. Auch wer die philosophischen Theorien von Deleuze nicht kennt, wird sich an dieser anregend erzählten und gekonnt gezeichneten Geschichte erfreuen.

Martin tom Dieck / Jens Balzer, "Die unglaublichen Abenteuer des Orpheus (Die Rückkehr von Deleuze)", 50 Seiten, s/w, Softcover, Arrache Coeur, DM 28.- / Sfr. 25.- www.arrache-coeur.ch
www.editionmoderne.de

 


Noch bis zum 6. Januar 2002 ist die Ausstellung "Junge Komiks- und Zeichentrickkünstler der Westschweiz" im Musée de design et d’arts (kurz: mu.dac) in Lausanne zu sehen. Die Ausstellung verbindet die dynamischen Sequenzen der Zeichentrickanimationen mit den einzelnen Bilderfolgen der Comicgeschichten. An der Ausstellung beteiligt sind unter anderem wohlbekannte Künstler wie Tom Tirabosco, Wazem, Helge Reumann, Alex Baladi, Nicolas und Xavier Robel. Der 90-seitige Ausstellungskatalog umfasst neben Arbeiten der genannten Künstler auch Texte von Cuno Affolter und Pierre-Yves Lador.
Junge Komiks- und Zeichentrickkünstler der Westschweiz, Musée de design et d’arts (mu.dac), Place de la Cathédrale 6, CH-1005 Lausanne
Der Ausstellungskatalog kann direkt beim Museum bezogen werden. mu.dac@lausanne.ch/

STRAPAZIN
hilft Deutschland !

 

Deutschland - ein Land am Rande des Abgrunds. Jeden Tag fallen Tonnen von schlechten Comics auf Deutschland, was Kollateralschäden mit sich bringt, wie zum Beispiel, dass viele Deutschländer keine Ahnung haben, wie ein intelligenter Comic aussieht. Deshalb leistet STRAPAZIN seit Jahren humanitäre Soforthilfe:
Ein Abo in Deutschland kostete bis anhin fast 25 Prozent weniger als in der Schweiz! Auch weiterhin wird STRAPAZIN Deutschland unter die Arme greifen, so verzichten wir grosszügig auf eine Bezahlung in Schweizerfranken. Aber wir kommen nicht darum herum, per 1.1.2002 die Abo- und Anzeigenkosten in Deutschland um 12% zu erhöhen.Falls Sie die nächsten zehn Ausgaben von STRAPAZIN noch zum alten Preis beziehen wollen, bieten wir Ihnen folgende Aktion an:
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Tardi / Malet
"Nestor Burma:
Wie steht mir Tod ?"
(Ladenpreis: DM 32.- / Sfr. 28.-)

• Edmond Baudoin
"Die Reise"
(Ladenpreis: DM 39.80 / Sfr. 35.-)

• David B.
"Der Tengu"
(Ladenpreis: DM 29.80 / Sfr. 25.-)

• Tom Dieck / Balzers
"Neue Abenteuer des unglaublichen
Orpheus"
(Ladenpreis: DM 32.- / Sfr. 28.-)

Dieses Angebot gilt bis zum 31.12.2001
Die Abopreise in der Schweiz bleiben unverändert.

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