Für jeden Comic-Freund und -Historiker ist Krazy
Kat eine der schönsten und wichtigsten Serien. Umso beklagenswerter,
dass bis heute keine auch nur annähernd komplet-te, geschweige denn
historisch-kritische Ausgabe existiert. Zu Herrimans Lebzeiten ist überhaupt
nur ein einziger Band mit gesammelten Krazy Kat-Comics erschienen
(1934 bei Saalfield in New York); es folgten wenige weitere Anthologien
mit Son-ntagsseiten und Strips (wie etwa 1946 beim Verlag Henry Holt oder
1969 bei Grosselt & Dunlap), die allerdings zumeist undatiert, unsortiert
und nicht einmal innerhalb kleinerer Zeiträume einigermassen vollständig
wa- ren. Die erste Anthologie, die zumindest minimale editorische Standards
ein- hielt, wurde 1977 vom Historiker und Sammler Bill Blackbeard herausgegeben.
The Family Upstairs: Introducing Krazy Kat enthielt eine Auswahl
aus den Dingbat Family-Strips, die Herriman in den Jahren
1910 bis 1913 zeichnete; hier traten Krazy und Ignatz erstmals als Nebenfiguren
in einer Familiengeschichte auf.
Bill Blackbeard, der eine Vielzahl von klassischen amerikanischen Zeitungscomics
neu herausgegeben hat (so auch Richard Outcaults Yellow Kid
und Frederick Oppers Happy Hooligan), besitzt nicht nur die
weltweit grösste Privatsammlung an klassischen Sonntagsseiten und
Strips. Er dürfte auch über den weltweit wohl einzigen kompletten
Bestand der Krazy Kat-Serie verfügen. An Universitätsbibliotheken
oder in anderen öffentlichen Archiven sucht man hingegen vergebens
danach. Die billigen Boulevardzeitungen, in denen die frühen Comicstrips
zumeist erschienen, wurden von amerikanischen Bibliothekaren entweder
gar nicht gesammelt oder nur unter der Perspektive der tagespolitischen
Dokumentation, also unter Ausschluss der rein unterhal-tenden Sonntagsbeilagen,
in denen die Comics ihren Platz hatten. Im Fall von Krazy Kat
ist die Lage noch besonders erschwert. Die Serie, die Herriman für
den Verleger William Randolph Hearst zeichnete, wurde von des- sen Vertriebsagentur
International Features Service (später: King Features) an ständig
wech- selnde Zeitungsredaktionen verkauft. Besonders in der zweiten Hälfte
des Herrimanschen Schaffens, etwa seit Mitte der Zwanzigerjahre,
war der Zuspruch des Publikums und der Redakteure allerdings eher gering.
Je nach Gusto und verfügbarem Platz wurde die Serie in einzelnen
Zeitungen aufgenommen und wieder abgesetzt; es gibt keinen einzigen Titel,
in dem Krazy Kat von Anfang bis Ende durchgehend abgedruckt
worden wäre.
Die philologischen Schwierigkeiten bei der Erstellung einer Krazy
Kat-Ausgabe sind also beträchtlich. Vor fünf- zehn Jahren
wagte der Verlag Eclipse Books dennoch den Versuch, auf der Grundlage
des Blackbeardschen Materials eine Sammlung der Sonntagsseiten zu
starten. Neun Folgen hat man damals zusammenbekommen, die Jahrgänge
von 1916 bis 1924. Von diesen liegen die ersten drei Bände auch in
einer allerdings ungeniessbaren - deutschen Übersetzung im
Wiener Comicothek-Verlag vor. Zwei weitere Bände mit farbigen Sonntagsseiten
aus den Jahren 1935 bis 1937 hat der Comic-Historiker Richard Marschall
ebenfalls Anfang der Neunzigerjahre herausgegeben; deren besser
gelungene Übersetzung von Wolfgang J. Fuchs erschien bei Carlsen.
Die schönste deutschsprachige Krazy Kat-Ausgabe ist und
bleibt aber jene, die 1988 im Züricher Ferdydurke-Verlag veröffentlicht
wurde. Im Gegensatz zu den Comicothek- und Carlsen-Bänden führt
sie zwar nur kursorisch durchs
Herriman-Oeuvre. Aber die Übersetzung durch Carl Weissner ist mit
Abstand die beste, die Krazy Kat in Deutschland bisher gegönnt
wurde; als Vorwort findet man die legendäre Hommage an Herriman,
die der Dichter e.e.cummings 1946 für die Henry-Holt-Anthologie verfasst
hatte.
Die Ferdydurke-Ausgabe beim Publikum wenig bekannt, obwohl immer
noch lieferbar! ist leider auch nicht mehr als ein Lichtblick.
Bei der überschaubaren Anzahl von Krazy Kat-Ausgaben
ist es bisher nämlich geblieben. Das hat nicht nur philologische,
sondern auch ökonomische Gründe: Das Interesse der allgemeinen
Leserschaft an klassischen Comic-Stoffen ist gering das gilt für
den deutschsprachigen Raum ebenso wie für die USA. Von einer staatlichen
Subvention historischer Ausgaben, wie bei literarischen Schriftstellern
gang und gäbe, kann im Comic-Fall nicht die Rede sein. Mithin reichen
solche Projekte stets nur so weit wie die Finanzkraft der jeweiligen Verlage.
Gross ist daher die Freude des Publikums, dass die vor elf Jahre abgebrochene
Eclipse-Ausgabe doch noch fortgesetzt wird. Der Fantagraphics Verlag aus
Seattle einer der wichtigsten Independentverlage der USA, der unter
anderem das Comics Journal publiziert - hat das Projekt übernommen;
im April ist der erste Band der neuen Folge mit den Jahrgängen 1925
und 1926 erschienen. Im Vorwort verspricht Herausgeber Blackbeard nicht
nur, dass die noch verbleibenden Strips in regelmässigen Abständen
veröffentlicht werden sollen, auch will man in Gestaltung und Kommentaren
das rein Historische überwinden - und Herrimans bleibende Aktualität
als Autor und Zeichner betonen.
Die Gestaltung des erstes Bandes hat man folgerichtig dem Zeichner Chris
Ware angetragen, einem erklärten Bewunderer und Erben von Krazy
Kat. In seinen grossformatigen Comicblättern (wie etwa in der
ACME Novelty Library) variiert Ware die Enthemmung und die
Verspieltheit, die man in Herrimans Comic-Layouts fin-det, mit der Strenge
des Konstruktivisten. Für den neuen Krazy Kat-Band hat
er einen Umschlag geschaffen, der vom russischen Konstruktivisten Alexander
Rodtschenko inspiriert sein könnte. Und wirklich entspringen
nicht dessen Grafiken und die Comics von Herriman ein und demselben Geist?
Aus der Gemengelage eines weltumspannenden Wahrnehmungswandels, einer
globalen Entgrenzung und Neuordnung der Zeichen am Beginn des letzten
Jahrhunderts?
Die ästhetische Moderne ist unteilbar es wäre gut, wenn
dieser herrliche Band dabei hülfe, diese eigentlich doch so selbstverständliche
Einsicht ein wenig weiter zu etablieren.
Lieferbare Krazy Kat-Ausgaben:
George Herriman: Krazy + Ignatz. The Complete Sunday
Pages 1925 - 1926. Hg. v. Bill Blackbeard. Fantagraphics Verlag,
Seattle 2002. 119 S., $ 14,95 (der Nachfolgeband mit den Jahrgängen
1927 und 1928 ist für den kommenden November angekündigt)
George Herrimans Krazy Kat, aus dem Amerikanischen
übersetzt von Carl Weissner. Ferdydurke Verlag, Zürich 1988.
158 S., Sfr. 42.- (über www.analph.ch erhältlich)
Lesenswerte Sekundärliteratur:
Patrick McDonnell, Karen OConnell, Georgia Riley de
Havenon: Krazy Kat The Art of George Herriman. Harry
N. Abrams Publ., New York 1986. 223 S., $ 14,95
Thierry Groensteen (Hg.): Krazy Herriman. Ausstellungs-katalog
Musée de la Bande Dessinée, Angoulême 1997. 36 S.,
Euro 10,51
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