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MARKUS HUBER
Irgendwann Anfang der 90er tauchte Markus Huber in einem autonomen Seminar über Comic-Strips auf, das an der Hamburger Uni von Germanisten veranstaltet wurde. Herr Huber, schwarzgekleidet, Hornbrille, (wie gesagt: Anfang der 90er), war damals schwer genervt von seinem Sinologiestudium und suchte nach neuer Betätigung. Er sass mit Stefan Westphal, der aussah wie ein sehr kurzgeratener Johnny Rotten, in einer Ecke. Die beiden hörten sich eine Weile schweigend alles an, und dann entschieden sie, es sei Schluss mit Theorie. Sie besorgten Scriptol und jede Menge TippEx und machten ihre Comics selber. Aus den Germanistikstudenten wurde die ArGL, die Arbeitsstelle für grafische Literatur; Stefan Westphal baut heute Cyberwelten, und Markus Huber hat eine ganze Reihe Bilder gezeichnet. Er ist STRAPAZIN-Autor geworden und hat sich inzwischen ein paar hellere Pullover gekauft. "Ausflug nach Saturnia" ist Hubers bislang längste Geschichte. Eigentlich wollte er einen Beitrag für die "Mutanten"-Ausstellung in Düsseldorf ausarbeiten, und weil in seinem Hamburger Atelier dauernd das Telefon klingelt, nahm er sich einen Monat frei, steckte Walter Benjamins "Einbahnstrasse" in den Koffer und reiste nach Italien. Was genau dabei herauskommen würde, war offen, es hätten auch obskure Knetgummifiguren werden können. Doch dann passierte die ganze Geschichte einfach so, wie er sie aufgezeichnet hat. Nun, natürlich ganz anders, in Wirklichkeit. Walter zum Beispiel heisst eigentlich Hardy und ist ein krummbeiniger altersschwacher Rauhhaardackel. Markus Huber zitiert in dieser Geschichte nicht ohne Grund die "Einbahnstrasse". Unverbunden und fragmentiert wie die Prosa, die Aphorismen dieser Sammlung scheinen, ist doch jedes Wort in ihr genau gesetzt. In seinen Textbruchstücken sammelt Benjamin Erfahrungsreste. Obwohl "Ausflug nach Saturnia" ganz chronologisch erzählt ist, zerfällt es dem genauen Blick in viele wohlverbundene Fragmente, die Erfahrung bergen. Im erzählenden Blick zurück auf das Leben erscheinen die Geschehnisse in Hubers Geschichten "undeutlich schattenhaft und desto rätselhafter verschlungen" (Benjamin), eben als Erfahrungen. Das scheint einem verdinglichten Medium wie dem Comic ganz fern zu liegen, aber Huber ist trotzig. Er zeigt, dass es möglich ist. Walter Benjamins Einbahnstrasse beginnt an einer Tankstelle: "Die Konstruktion des Lebens liegt im Augenblick weit mehr in der Hand von Fakten als von Überzeugungen". "97 Oktan", eine frühe Veröffentlichung von Markus Huber, spielt an einer Tankstelle der Kette EC (STRAPAZIN 31). Schon in dieser Kurzgeschichte deutet sich an, was Huber unter Fakten versteht. Die innere, phantasmagorische Wirklichkeit des Tankwarts findet dort Bilder, die nicht weniger real sind, als alle anderen. Die innere und die äussere Welt werden für die kurzen Momente eines Panels kaum unterscheidbar. In der Spannung zwischen dem monologischen Kommentar des Tankwarts und dem Wechsel innerer und äusserer Bilder thematisiert sich das Problem der Erfahrung. Viele der frühen Arbeiten Hubers sind monologisch, verschriftlichte innere Stimmen von subjektiv schattierten Bildern kommentiert. In "Heimat", einer Geschichte aus Hubers Schokoriegel, der leider nie veröffentlicht wurde, weil die Zyankrise vorher pleite ging, wird der Monolog zum Songtext, "Heimat ist, wo ich begraben liege". Worte und Bilder verdichten sich dort gegenseitig, verschlingen sich ungelöst miteinander, obwohl sie so sorgfältig getrennt auf der Seite stehen (STRAPAZIN 45). Während diese Arbeit sichtlich der neueren franko-belgischen Tradition verpflichtet war, orientierten sich Hubers Comics für das Freie Radio in Hamburg formal an amerikanischen Independents. In diesen Geschichten eines Mannes, der versehentlich sein Küchenradio statt eines Schokoriegels verschluckt hat, präzisierte Huber seinen metaphorischen Realismus. Beide Einflüsse verbinden sich in der Antonionischen Phantasie "Ausflug nach Saturnia". Kein Wunder, dass es den Franzosen gefällt: "Promenade à Saturnia" erschien als Band 9 in der Reihe "feu!" der Pariser Amok Editions. Sieben Jahre sind seit Hubers erster Geschichte in STRAPAZIN vergangen. Der lakonische Ton seiner Erzählungen wird noch immer von einer charmanten Beiläufigkeit getragen. Nur die Zeichnungen haben sich geändert. Die satten schwarzen Flächen der ersten Geschichten haben sich nach und nach in feinere Schraffuren aufgelöst. Herr Huber versichert glaubwürdig, das habe nichts mit seinen neuen Pullovern zu tun.
Ole Frahm |